Diagnostiker schrieb am 13.02.2020:Ich denke, hier sollten wir ansetzen.
Ich denke, wir sollten zunächst bei den
Voraussetzungen unseres philosophischen Diskurses ansetzen, u.a. etwa Sprache, Semiotik und logisch-semantische Propädeutik. Leider fehlt uns (mir) hierfür die Zeit. Und es soll ja eigentlich auch nicht Thema sein. Und ich hatte wohl auch schon was dazu geschrieben.
Auf der anderen Seite kommt man kaum drumherum, auf gewisse Dinge immer wieder hinzuweisen bzw. hinweisen zu müssen. Die naive Erfahrung und Erkenntnis lehrt ja, dass es - grob - mindestens diese drei "Dinge" oder "Welten" gibt:
- die Welt der Dinge
- die Welt unserer Sprache
- die Welt unserer Gedanken
Also im Prinzip die klassische Dreiteilung in
Logos, Psyche und Physis, wie sie sich insbesondere auch im sog.
Semiotischen Dreieck widerspiegelt:
Ding, Symbol, Begriff (allerdings bevorzuge ich persönlich eher 'Faktum' statt 'Ding' und 'Konzept' statt 'Begriff'). Man muss nicht unbedingt den Wittgenstein lesen, aber sollte sich zumindest bewusst sein, dass unser Bezug zur Realität immer nur
mittelbar via Sprache/Gedanken besteht, was ich mal noch einmal an ein paar Beispielen näher zu beleuchten versuchen will:
Diagnostiker schrieb am 13.02.2020:Ganz grob könnte man die Dinge der Natur einteilen in lebendige Dinge (Lebewesen) und in nicht lebendige Dinge (der große Rest).
Hier gehe ich durchaus mit. Nur muss man hier bereits verstehen, dass es diese Einteilung natürlich nicht
per se gibt, sondern nur in unserem Kopf. Eine andere Einteilung wäre etwa:
katzenartige Dinge und
nicht katzenartige Dinge. Oder auch: Geist und Materie. Oder, innerhalb unser Gesellschaft: männlich/weiblich (und neuerdings das "dritte Geschlecht"...). Nicht nur, dass jedwede Einteilung, Klassifikation usw. der Realität lediglich ein Produkt des menschlichen Verstandes sind, sondern natürlich gilt es vor allem auch für die dabei verwendeten Konzepte selbst: Ding, Natur, Geist, Materie, Geschlecht usf. Die Natur selbst kennt all diese Konzepte nicht. Und wir Menschen sind zwar verdammt gut darin, Konzepte wie am laufenden Fließband zu erfinden, um uns die Realität irgendwie begreifbar zu machen, allerdings sind der Realität unsere ganzen Schublädchen herzlich egal.
Diagnostiker schrieb:Einverstanden, dann also zunächst mal die Klassifizierung der Naturobjekte.
Einspruch. Was genau ist bzw. meint "Naturobjekt"...? Und vor allem: Wer oder was entscheidet, was genau alles zu "Naturobjekt" zählt und was nicht...? Was ist bspw. mit Sternhaufen, Ozeanen, Wäldern, Atomen, Teilchen (ggf. virtueller oder verschränkter Natur), Feldern, Observablen, Spin, Ladung oder einem banalen Loch...?
:)Um hier Missverständnissen vorzubeugen: Mir geht es weniger um eine nähere Bestimmung der Bedeutung von "Naturobjekt". Ich hinterfrage vielmehr, inwieweit "Naturobjekt" überhaupt ein viables Konzept ist im Sinne von geeignet, Realität zu begreifen. Zumal hier implizit eine Ding-Ontologie mitschwingt, die ich ebenfalls nicht für hinreichend viabel halte.
Diagnostiker schrieb:Wir haben also 1. Dinge (Objekte, abgrenzbare Strukturen usw.)
Genau das haben wir ja eben
nicht. Deshalb finden wir in einer langen
Liste von Atommodellen u.a. auch so etwas wie das sog.
Orbitalmodell, weil hier nämlich unser (immer noch erfundenes und subjektives)
Konzept von "Ding", "Objekt" oder einer abgrenzbare "Struktur" schlichtweg versagt (siehe Link). Es gibt weder Dinge, noch Objekte oder Strukturen, auch keine Eigenschaften, Prozesse or whatever. Etwas ist Sache ("Fakten") und wir nutzen Konzepte, um
das, was Sache ist, zu begreifen.
Schon längst reden Elementarteilchenphysiker gar nicht mehr über Teilchen, sondern Felder, Observablen. Und für Vertreter des Ontologischen Strukturenrealismus sind alles, was es gibt,
Strukturen:
"Die Diskussion um den Strukturenrealismus erhielt durch einen Aufsatz von James Ladyman (1998) einen neuen Impuls. Ladyman unterscheidet darin zwischen einer epistemischen Variante (ESR) und einer ontischen Variante (OSR) des Strukturenrealismus. Während ESR-Vertreter wie Worrall annehmen, dass sowohl die Relationen zwischen den Objekten und die darauf aufgeprägte Struktur einerseits als auch die die den Objekten zugrundeliegenden intrinsischen Eigenschaften andererseits existieren, wir aber zu diesen epistemisch keinen Zugang haben, behaupten dagegen OSR-Vertreter, dass es solche Objekte als Träger einer Struktur gar nicht gibt. In einem eliminativen Sinne existieren demnach ausschließlich Strukturen, und zwar Strukturen als physikalische Relationen, jedoch keine Objekte, die als Relata in den Relationen fungieren und durch ihre intrinsischen Eigenschaften die Relationen und damit die zwischen ihnen bestehenden strukturellen Beziehungen begründen (Ladyman 1998)."Wikipedia: StrukturenrealismusMein eigener Standpunkt ist hier kurz und knapp: Auch hinter "Struktur" steckt letztendlich wieder nur ein (erdachtes und erfundenes)
Konzept, wo sich weniger die Frage nach dem ontologischen Status stellt, sondern vielmehr die Frage nach der
Viabilität. An und für sich ist ja auch schon das klassische "Ding" ein recht viables Konzept, um sich im Alltag bzw.
Mesokosmos zurechtzufinden. Aber es versagt bereits in Kombination mit simplen anderen Konzepten wie etwa
Ozean, Gebirge oder Wald, die sich offenbar schlecht als "Dinge" konzeptionalisieren lassen, nichtsdestotrotz aber genauso real sind wie Elektronen oder Quarks.
Diagnostiker schrieb:TangensAlpha schrieb:D. Räume & Zeit
Realer 3D-Ortsraum; mathematischer Phasen-, Riemann-, Hilbertraum, etc.
Zeit: problematisch, weil keine Observable, nicht direkt messbar => kein Element der Natur sondern mathem. Hilfsgröße?
Hier haben wir dann schon Hilfskonstrukte, aber keine Dinge mehr.
Naja, genau genommen hat sich nix geändert, wir reden - auch hier - immer noch über
Konzepte, insbesondere
mathematische Konzepte. Ontologisch unterscheiden sie sich aber nicht von
physikalischen Konzepten - Stichwort "Atommodell" (s.o.). Und natürlich sind mathematische Konzepte nicht real, physikalische Konzepte aber auch nicht. Nicht das Orbitalmodell selbst ist real, sondern nur das,
was Sache ist ("Ding") und mit Hilfe von Konzepten bis hin zu ganzen Modellen wie jenem Orbitalmodell begreifbar gemacht, beschrieben oder gedacht werden soll.
Diagnostiker schrieb:Wir erkennen, dass sich Dinge irgendwo befinden und ihren Aufenthaltsort verändern, wenn sie sich bewegen. Wir erkennen weiterhin, dass die Ortsveränderung allmählich - also mit einer bestimmten Dauer - vonstatten geht. Aus beiden Phänomenen (Ort und Dauer) schließen wir auf das Vorhandensein eines Raumes und einer Zeit, in die das beobachtbare Geschehen der beobachtbaren Objekte eingebettet ist.
Das Verständnis für die meisten (einfachen, alltäglichen) Konzepte entwickelt man ja schon im Kindes- und Jugendalter, insofern kann ich dir hier bei deinen nachfolgenden Ausführungen natürlich folgen und stimme dem - auch vor dem Hintergrund meiner bisherigen Ausführungen - soweit auch zu. Und letztendlich haben wir Menschen ja auch keine andere Wahl, als uns eben irgendwelcher Konzepte, die uns gerade zur Verfügung stehen (wie "Ding", "Raum", "Zeit", "Ort", "Lage", "Bewegung"...), zu bedienen, um Realität zu konzeptionalisieren und zu begreifen.
Diagnostiker schrieb:Über den ontologischen Status von Raum und Zeit müssten wir noch genauer nachdenken. Vorerst lassen wir die Existenz von Raum und Zeit einfach mal unhinterfragt im Raum stehen ... ;)
Nun... Raum besteht offensichtlich aus vier Buchstaben, genauso wie Zeit, so dass wir die Problematik ganz offensichtlich vereinfachen und auf die Frage nach dem ontologischen Status von Buchstaben reduzieren können.
;)Wir haben uns natürlich längst angewöhnt, Worte bzw. Bezeichnungen in Anführungszeichen zu setzen, wenn wir Missverständnisse vermeiden und deutlich machen wollen, dass die
Bezeichnung (im Semiotischen Dreieck: "Symbol") selbst gemeint ist, also weder das Faktum ("Ding"), noch das Konzept ("Begriff"). Ich hab sie hier absichtlich weggelassen. In der Regel geht das auch aus dem Kontext hervor, wenn die Bezeichnung selbst gemeint ist (wie in obiger Aussage). Schwieriger ist es bei der Unterscheidung von
Konzepten und
Fakten, wo wir syntaktisch nicht, selten oder nur dürftig unterscheiden tun (und wenn mich nicht alles täuscht, entzündet sich auch der komplette Universalienstreit daran...). Allerdings sind wir gewohnt, bei
mathematischen Bezeichnungen (bspw. 'Hilbert-Raum' oder 'Kreis') stets an (gedachte)
Konzepte zu denken, bei physikalischen Bezeichnungen (bspw. 'Atom' oder 'Ladung') hingegen an (reale) Dinge bzw.
Fakten (etwas, das Sache ist). Entsprechend ziehen wir so unsere (Fehl-)Schlüsse und sagen, dass
Atome existieren,
Kreise hingegen nicht. Und Zahlen schon mal gar nicht (was allerdings und übrigens problematisch vor dem Hintergrund des Begriffs der
Messung und der
physikalischen Größe ist...). Mindestens im Falle des Atoms sollte aber einleuchtend sein, dass wir es hier sowohl mit realen Sachverhalten zu tun haben (Fakten), wie auch mit gedachten Vorstellungen und Modellen (Konzepten) - siehe noch einmal die Liste der Atommodelle. Und Gleiches gilt natürlich auch für den Meso- und Makrokosmos (wie schon anhand vom Ex-Planeten "Pluto" dargelegt...).
Aber ich schweife etwas ab. Lange Rede, kurzer Sinn: Mit Blick auf's Semiotische Dreieck reden wir auch hier über
Bezeichnungen, Konzepte und Fakten. Dass die
Bezeichnungen 'Raum' und 'Zeit' aus vier Buchstaben bestehen, hatten wir ja schon festgestellt. Dann haben wir noch die
Konzepte von Raum und Zeit, welche zunächst vor allem von Newton ausgearbeitet wurden, später durch Einstein & Co. aber verworfen bzw. grundlegend überarbeitet und durch das vereinheitlichte Konzept einer
Raumzeit ersetzt. Die Frage nach dem ontologischen Status von
Konzepten ist relativ leicht und schnell zu beantworten: ontologisch gleichwertig mit allem, was sich sonst so in unserem Kopf abspielt. Also irgendwie schon real (in meinem Kopf, in deinem Kopf... in Newtons Kopf, in Einsteins Kopf...), aber eben nur als "Konzept", "Gedankending", "Vorstellung"... whatever. Aber was anderes haben wir nicht, um uns das, was Sache ist (Realität, Fakten...), so gut es geht begreifbar zu machen. Und der ontologische Status von dem, was Sache ist (Realität, Fakten...), dürfte klar sein.
;)Oder anderes gesprochen: Es gibt nicht Raum und Zeit, sondern nur etwas, das wir uns mit Hilfe von Konzepten wie "Raum" und "Zeit" begreifbar zu machen versuchen (wobei dieses Etwas quasi per definitionem real ist).