Angst ist vererbbar laut neuester Forschung
13.12.2013 um 13:12Was ist dran an der Meldung? Wenn das wahr ist, ist das schon eine grosse Nummer. Damit wäre Kultur sozusagen in Teilen vererbbar.
Angst ist vererbbar
Versuche an Mäusen zeigen: Traumatische Erlebnisse haben in der Psyche von Kindern und Enkeln ein verstörendes Echo. Wie die Vererbung der Angst funktioniert, ist offen. Forscher haben die Epigenetik im Verdacht.
Kategorie:
Epigenetik
Erstellt am
03.12.2013.
Uns läuft das Wasser im Munde zusammen, bei Hunden läuft es bisweilen auch aus dem Mund heraus. Schuld ist der Anblick guten Essens. Der Russe Iwan Pawlow hat diesen Reflex zu Beginn des 20. Jahrhunderts systematisch untersucht. Er setzte Hunden einen Napf Futter vor die Nase und lies gleichzeitig eine Glocke erklingen. Irgendwann ließ er das Futter weg. Die Hunde speichelten auch dann, wenn nur die Glocke ertönte - die klassische Konditionierung war geboren.
Pawlow wiederholte die Versuche später an Mäusen und stellte erstaunt fest: Die erste Generation benötigte für die Verknüpfung von Futter und Glockenton 300 Versuche, die zweite 100, in der dritten Generation waren es gar nur mehr 30. "Konditionierte Reflexe können vererbt werden", schloss der russische Pionier anno 1923 im Fachblatt "Science". Einen Reim auf seine Ergebnisse konnte er sich damals freilich nicht machen.
Versuch: Geruch macht Angst
Nun, 90 Jahre später, haben zwei US-Biologen ähnliche Versuche durchgeführt und erneut eine seltsame Vererbung erworbener Eigenschaften festgestellt. Brian Dias und Kerry Ressler verabreichten Mäusen, wie sie in einer aktuellen Studie schreiben, "milde Elektroschocks" und begleiteten diese unangenehme Pozedur mit einem an sich gar nicht unangenehmen Duft, nämlich dem süßlichen Aroma von Acetophenon.
Nach einigen Durchgängen ließen die Forscher die Elektroschocks weg. Die Mäuse zitterten auch dann, wenn nur der Duft in ihren Käfig strömte. Wie zu erwarten war. Nicht zu erwarten war indes die Tatsache, dass auch die Kinder und Kindeskinder der Mäuse auf den Duft schreckhaft reagierten, obwohl sie überhaupt nicht konditioniert worden waren.
Die Reaktion ließ sich auch im Gehirn der Tiere sichtbar machen. Die verängstigten Mäuse hatten mehr Neuronen mit entsprechenden Duft-Rezeptoren ausgebildet und diese Eigenschaft offenbar auch an ihre Nachkommen weitergegeben. "Weitergegeben" heißt in diesem Fall tatsächlich vererbt, wenngleich nicht klassisch, nach Art der Mendel'schen Vererbungsregeln.
Wie Dias und Ressler im Fachblatt "Nature Neuroscience" schreiben, hatten sich auch die Eizellen und Spermien der konditionierten Mäuse verändert: Ihre DNA wies just in jenem Bereich weniger Methylgruppen auf, wo das Gen für den duftempfindlichen Rezeptor liegt. Also keine Mutation, sondern eine chemische ("epigenetische") Modifikation der DNA. Gleichwohl dürfte auch diese konkrete Auswirkungen haben. Sie könnte nach Ansicht der beiden Forscher der Grund dafür sein, dass auch die Kinder der Versuchsmäuse mehr Rezeptoren für Acetophenon besaßen.
"Wie soll das funktionieren?"
"Die Reaktion der meisten Fachkollegen war: 'Wow! Aber wie um alles in der Welt soll das funktionieren?'", erzählt Diaz gegenüber "Nature". Das ist die Frage, denn zwischen der Konditionierung und der DNA der Spermien bzw. Eizellen klafft eine große Lücke.
Diaz vermutet einen Konnex zu den Rezeptoren an der Oberfläche von Spermien. Auch letztere würden auf Düfte ansprechen, sagt er. Möglicherweise sei das Acetophenon über den Blutstrom zu den Spermien gelangt und habe sie auf diese Weise sensibilisiert.
Timothy Bestor von der Columbia University in New York zeigt sich von dem Erklärungsversuch nicht überzeugt. Er führt ins Treffen, dass die festgestellten epigenetischen Veränderungen gar keine Auswirkungen haben können, weil das Gen in den entscheidenden Bereichen "nackt" ist, also keine Methyl-Gruppen trägt, die seine Aktivität verändern.
Dias und Ressler hingegen vermuten, dass auch psychische Störungen und Stoffwechselprobleme auf diese Weise übertragen werden könnten. Der Befund ist da, aber der Mechanismus bleibt im Dunklen.
Robert Czepel, science.ORF.at
http://science.orf.at/stories/1729349/