Der Fall Uwe Barschel
10.12.2020 um 16:15EdgarH schrieb:Wenn die Hämatome, so ja P., tatsächlich erst postmortal entstanden sind, und die rötliche Punktierung der Speiseröhre und die Blutanhaftungen in der Nase gar nicht in einem Obduktionsbericht (weder Genf noch Nachsektion in HH) erwähnt werden, dann gibt es keinen Spuren am Leichnam, die auf Beibringung unter Zwang verweisen würden.Und das ist ein ganz wichtiger Punkt. Kriminalistisch betrachtet ist damit ein Mord noch nicht ausgeschlossen, aber in den Obduktionsergebnissen finden sich nicht nur dafür keine Anhaltspunkte, sondern dem diametral entgegenstehende Ergebnisse.
Also bedarf es anderer Anhaltspunkte, um eine entsprechende Mordthese zu stützen. Die müssen - nach zwei Obduktionen - auch einiges Gewicht aufweisen. Selbst z.B. eine Kanüle oder leere Spritze am Tatort gefunden worden, oder Spuren von K.O.-Tropfen, dann stünde diesen der Umstand entgegen, dass der Körper des Opfers keine Einstichstellen aufwies und die Toxikologie keine Spuren von solchen Mitteln nachweisen konnte.
Was bleibt also? Ich zähle mal auf:
- Der abgerissene Hemdknopf.
- Das Brandenberger-Gutachten.
- Die Lage der Schuhe.
- Die Abfärbungen der Schuhe.
- Die verschwundene Weinflasche.
- Das Whiskeyfläschchen mit Wasser und den Antihystamin-Spuren.
- Barschels Notizen mit Erwähnung von Mr. Roloff.
Sind das Anhaltspunkte für Mord? Obwohl die Obduktionen keine Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung ergeben haben? Die StA Lübeck ging von der Arbeitshypothese "Mord" aus und konzentrierte sich auf alle Spuren, die als Spur eines Mordes interpretiert werden konnte - egal wie weit entfernt.
Das führte zwangsläufig zu Ergebnissen, die weit hergeholt sind. Letztlich ist die Tatsachengrundlage noch viel unsicherer wie eine Mordermittlung ohne Leiche. Denn die hier konkret vorhandene Leiche spricht eben gerade gegen eine solche Tat. Die wesentliche Evidenz, dass eine solche Tat geschehen ist, die fehlt. Und damit die Grundlage, auf der eine Mordermittlung sonst stattfindet.
Nun kann man auch ohne Leiche ermitteln, aber dann ist die Person zumeist nicht auffindbar oder vermisst. Und es gibt eben starke Hinweise, dass das Verschwinden mit einer Gewalttat zusammen hängt. Somit hat man den Vermisstenfall als Indiz und die Qualität der Anhaltspunkte müsste trotzdem noch immer stärker sein, als alles im Fall Barschel (siehe Fall Rebecca Reusch).
Wenn man dagegen diese Spuren im Lichte der Obduktionsergebnisse interpretiere und von der Arbeitshypothese "Suizid" ausgehe, dann kommt man in jedem Punkt zu einer Erklärung, die weitaus wahrscheinlicher ist als eine feindliche Dritteinwirkung. Dann war mit hoher Wahrscheinlichkeit Barschel selbst der Spurenverursacher (im Falle der Weinflasche das Personal). Dabei ist es völlig normal, dass Ursache und Ablauf der Spuren (Hemdknopf oder Schuhe) nicht ex post geklärt werden können.
Aber damit wird ein Fall noch nicht zum Rätsel.
EdgarH schrieb:Es ist interessant, dass der Bericht nie veröffentlicht wurde. Die Fam. B. könnte das natürlich tun.Hat sie nicht und wird sie nicht tun. Stattdessen hat der Bruder Barschels gegen Prof. Janssen wegen Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht Strafanzeige gestellt.
Und auch OStA a.D. Wille war not amused über dessen Weg in die Öffentlichkeit:
Auch der ehemalige Chefermittler Heinrich Wille kritisierte das Verhalten des Rechtsmediziners Janssen: „Ich verstehe nicht, warum er jetzt seine Schweigepflicht bricht“, so Wille. Die Suizidbegründung des Pathologen findet der langjährige Leiter der Lübecker Staatsanwaltschaft außerdem unplausibel. (...) „Janssen geht von der falschen Annahme aus, dass Barschel Tabletten eingenommen hat“, so Wille nun. „Dabei müsste auch er wissen, dass die Substanz von professionellen Mördern auch in flüssiger Form verabreicht worden sein könnte. Im Zimmer von Barschel sind jedenfalls weder Tabletten noch Tablettenverpackungen gefunden worden.“Quelle: https://www.welt.de/kultur/article153082998/Barschels-Bruder-zeigt-Rechtsmediziner-an.html
Zu OStA Willes Aussage drei Anmerkungen (weil die ärgerlicher Quatsch ist):
1. Janssen/Püschel gingen zu Recht von Tabletten aus, weil die Mittel im Magen nur als Tabletten erhältlich waren. Das tödlich Cyclobarbital ist auch nicht wasserlöslich.
2. Wenn es keine Anhaltspunkte auf eine Beibringung flüssiger Lösungen gibt, ist es plausibel, diese nicht anzunehmen. Und eben nicht unplausibel.
3. Die Schweizer Polizei hat Medikamente im Zimmer protokolliert. Es stimmt nicht, dass im Zimmer weder Tabletten noch Tablettenverpackungen gefunden worden sind.
Und da wundern sich Leute, dass man sich über diesen braven deutschen Beamten ärgert?