ayashi schrieb:Was denkt ihr was in den Köpfen der Zuhörer während der Rede von Greta abging?
Dass sie gute Miene zum bösen Spiel machen und ihr zujubeln müssen, egal, was sie wirklich denken. Zumindest die Politiker aus Demokratien, die auf das Wohlwollen der Bevölkerung ihrer Länder angewiesen sind. Denn wer das nicht täte, sondern vorsichtig Kritik üben würde, zum Beispiel an der Machbarkeit, würde sofort als unempathisch, egoistisch, als Feind der Jugend und als Feind der Umwelt hingestellt.
Ein Politiker, der nicht ganz dumm ist, weiß das.
ayashi schrieb:Wie viele der Entscheidungsträger konnte sie zum nachdenken anregen, den eigenen Kurs jetzt zum Wohle des Klimas und gegen Wirtschaftsinteressen zu lenken?
Wieso sollte die Rede eines minderjährigen Mädchens, die voller Vorwürfe ist, zum Nachdenken anregen? Es ist ja nicht so, dass das Thema Umwelt vor Greta Thunbergs Aktivi-werden noch keine Rolle gespielt hätte, auch wenn das gern so hingestellt wird.
Aber wer nicht nur fordern darf (wie Greta und andere Laien), sondern wirkliche Politik machen muss, der muss auch an mögliche Folgen denken, wenn er solchen Forderungen nachkommt. Folgen, die Greta und ihre jungen Mitstreiter sich wahrscheinlich nicht vorstellen können, einfach, weil sie noch zu jung und unerfahren sind. Die denken eben, das Leben wäre ohne machtbesessene Politiker und Konzerne, die die Umwelt zerstören, eine Idylle, und alles wäre wunderbar, wenn nur alle Welt täte, was Greta und ihre Mitstreiter wollen.
Cherokeerose schrieb:Mach ihr das erstmal nach was Greta mit 16 erreicht hat
Ich bin zwar nicht angesprochen, antworte aber trotzdem: Ich könnte das nicht. Aus mehreren Gründen:
1) Es gibt zwar auch Dinge, die mich in der Welt extrem stören, und wo ich nicht begreifen kann, dass da seit Jahrhunderten nichts gegen unternommen wird. Aber die eignen sich nicht dazu, weltweit für Begeisterung zu sorgen. Es fehlt nämlich die idyllische Vorstellung von Fuchs und Kaninchen in einem naturbelassenen Wald. Und damit für viele Menschen die Identifikationsmöglichkeit beziehungsweise Fähigkeit, von einer schöneren Welt zu träumen, sollten sich die Forderungen jemals erfüllen.
2) Ich bin zu alt. Gretas Erfolg beruht zu einem großen Teil darauf, dass sie eben noch so jung ist und noch viel jünger aussieht. Da wirkt noch das Kindchenschema. Da ihre Reden ihrem Aussehen nicht entsprechen, wird sie automatisch für weise gehalten. All dies kann ich nicht mehr beanspruchen.
Wäre Greta nicht 16, sondern 36, wäre sie nur eine von vielen, selbst wenn sie jeden Freitag zu Protestzwecken der Arbeit fernbleiben würde - die sie spätestens nach ein paar Wochen verloren hätte.
Aber Jung sein und Forderungen stellen macht eben Eindruck. Und viele Erwachsene sind (jedenfalls hier in Deutschland) ganz begeistert, wenn Kinder und Jugendliche die Erwachsenen allgemein (oder besser noch: Politiker) beschimpfen. Solange das Thema nicht nur ein vorenthaltenes Spielzeug ist und mehr als den häuslichen Frieden stört.
3) Ich könnte, selbst wenn ich gut reden könnte (was ich nicht kann), gar nicht so auftreten. Mir hat man beigebracht, dass über gesellschaftliche Probleme reden, bedeutet, dass zwar jeder seine Meinung vorbringen darf, dass dann aber in einem vernünftigen, sachlichen Ton diskutiert wird, und dass man andere Meinungen auch dann anhören soll, wenn sie einem nicht gefallen.
Das ist anscheinend nicht mehr so. Heute werden die, die die "falsche" Meinung haben, mit der vollen Überzeugung, im Recht zu sein, beschimpft und werden Moralkeulen geschwungen. Aber ich kann da nicht aus meiner Haut, denn ich halte ein anständiges Miteinander immer noch für richtig.
Auch früher wurde natürlich nicht nur anständig miteinander gesprochen, sondern auch polemisiert, unliebsame Meinungen unterdrückt und so weiter. Und das nicht nur in Diktaturen, sondern auch am Stammtisch oder Familientisch. Aber DASS der Umgangston eigentlich wertschätzend sein sollte von allen Seiten, war wenigstens theoretisch Konsens.
ayashi schrieb:Kommt zwar jetzt gleich der Hinweis das Greta damit wohl den Nerv getroffen hätte
Was an ihrem Auftreten so nervig ist, ist nicht das Thema, sondern die Art dieses Auftretens. Manche Menschen glauben, wenn man seine Wünsche sagen, ja sogar einer größeren Menge vortragen darf, würde das automatisch bedeuten, dass diese Wünsche unbedingt erfüllt werden müssten. Und alle, die das nicht sofort tun, wären böse und wollten den Vortragenden ärgern. Und deswegen müsste der eigene Ton schärfer, ja beledigend werden. Was anscheinend wohl der Fall ist.
Leider wird dieses Verhalten nicht nur immer häufiger, sondern auch noch von Politikern und anderen Prominenten gefördert. Weil diese wissen, dass sie, wenn sie das Verhalten nicht loben, nicht nur für die Forderer die Bösen sind, sondern auch für einen großen Teil der Bevölkerung, riskieren sie lieber, dass es noch schlimmer wird, es im schlimmsten Fall sogar zu Gewalt kommt. Denn sie sehen ja, wie es die medial behandelt werden, die nicht sofort auf den Zug aufspringen, sondern abwägen.