@Laura_Maelle Vorhin habe ich mir noch einmal den Anfangsteil Deines Blogs durchgelesen und bin bei der Berg-Metapher von Marcus Aurelius hängengeblieben. Dabei kam mir folgender Gedanke in den Sinn:
Wenn man sich selbst gleichnishaft als auf einem Berg befindlich begreift und von dort aus das Geschehen in der Welt als unbeteiligter Beobachter überschaut, dann betrachtet man sich selbst ebenfalls aus einer Meta-Perspektive heraus - eben als Jemand, der wie auf einem Berg sitzend, die Welt betrachtet.
Ich spinne den Faden mal weiter, denn ich denke, daraus ergibt sich auch etwas Lebenspraktisches:
Wenn ich mich selbst betrachte als Jemand, der sich selbst betrachtet, dann ergibt sich ein Erkennen desjenigen, der etwas erkennt aus einer Meta-Perspektive heraus. Dieses Erkennen und nachgerade dann Wissen um den, der erkennt und nachgerade weiß, verweist auf etwas, was ich behelfsweise als "kognitiven Zirkel" bezeichne: Wissen, das um sich selbst weiß, indem es um den weiß, der dieses Wissen weiß usw. usf. - der Zirkel perpetuiert sich selbst ins Endlose und bleibt doch beim Begriff des Wissens stehen.
Das Einnehmen der Meta-Perspektive zwecks Wahrnehmung seiner selbst, um zu reflektieren, auf welche Art und Weise die Dinge der Welt mich affizieren, so dass ich mich dazu angemessen verhalten kann, verweist auf einen überindividuellen Aspekt des Daseins, der es mir ermöglicht, diese Meta-Perspektive einzunehmen und aus dieser Meta-Perspektive heraus Schlussfolgerungen zu meiner Art und Weise des Verhaltens und Handelns zu ziehen.
Wenn ich also mich selbst aus der Distanz betrachten und beobachten kann, dann kann ich auch die Dinge der Welt, die mich affizieren, aus dieser Distanz heraus betrachten und beobachten. Ich nehme "mich selbst" also aus dem Geschehen heraus und betrachte mein "Ich" als ein "Du" oder ein "Es" und begebe mich in Gestalt der Meta-Perspektive in einen Bereich, der eine eigene Welt und eine eigene Wirklichkeit darstellt.
Über diesen eigenen Bereich erlange ich Zugang zu "mir selbst" und Zugang zur "Welt" über den Beobachtungsakt und kann diesen Zugang verknüpfen mit gedanklichen Reflektionen bezüglich Werthaftigkeit, Sinnhaftigkeit und Angemessenheit - Aspekte, die sich auf die Welt und auf mein Handeln in der Welt zwar übertragen lassen, aber selber Teil einer eigenen Welt darstellen, zu der wir Zugang haben, wenn es uns gelingt, eine Meta-Perspektive einzunehmen.
In diesem Kontext wird mir der Gedanke verständlich, dass man Ängste z.B. nicht leugnen oder ignorieren kann, weil sie nun mal phänomenologisch unmittelbar die Person affizieren und die Person dadurch unmittelbar affiziert wird, aber man kann lernen, mit diesen Ängsten angstfrei umzugehen (und damit die sich selbst verstärkende Angst-Spirale durchbrechen), wenn man die Ängste aus einer Meta-Perspektive betrachtet und nüchtern konstatiert, dass die Ängste zwar da sind, aber dass sie "mich selbst" nicht stören, weil sie "mich selbst" (also die Person in der Meta-Perspektive) nicht tangieren: sie kommen und sie gehen, aber sie bleiben nicht, denn sie gleichen dem Treiben im Tal, welches aus der Position des Berges überblickt werden kann.
Die "Erlösung" ergibt sich folglich über die Los-Lösung von den "Niederungen" der Leidenschaften und dem nachfolgenden Zugang zur Meta-Perspektive infolge des bewältigten Aufstiegs auf den "Berg", der uns den nötigen Abstand bringt, um auf die "Niederungen" der Leidenschaften herabzublicken, sie zu überblicken und sie in ihrer Niedrigkeit und Oberflächlichkeit zu durchblicken. Dieser "Durchblick" ergibt dann ein hindurchblickendes "Hindurchwissen" (Diagnosis) und ermöglicht dann einen gelassenen und besonnenen Umgang damit.