Wolkenleserin schrieb:Glaubst du nicht daran, dass Tiere voneinander abschauen können?
Oh doch, komplexere Tiere können durchaus lernen und abkupfern, und neben den Säugergruppen der Primaten und der Wale gehören unter den Vögeln die Papageienartigen und die Singvögel zum intelligentesten, lernfähigsten, das die Natur hervorgebracht hat. Nun ist der aschgraue Trauervogel zwar kein Singvogel, aber ein Schreivogel, eine Schwestergruppe der Singvögel innerhalb der Ordnung der Sperlingsvögel. Also auch ein recht intelligenter und entsprechend lernfähiger Vogel.
Darum geht es nicht, ob die Viecher lernunfähig wären. Nein, sondern es geht konkret um das Raupenverhalten der Küken bei Bedrohung. Wie soll das jedes einzelne Küken jeder einzelnen Brutsaison kurz nach dem Eischlüpfen lernen? Bitte schildere mir ein Szenario, wie das möglich sein sollte.
Wie das durch Mutation und Selektion erfolgen kann, ist hingegen simpel: genauso wie das raupenähnliche Aussehen eben. Auch heute noch werden Küken des aschgrauen Trauervogels von Räubern gefressen. Nicht jeder Täuschungsversuch klappt. Aber viele klappen. Und je ähnlicher der Vortäuschende dem Vorgetäuschten ist, desto häufiger klappt es auch. Was zum Ergebnis hat, daß die Tiere mit der besseren Vortäuschung mehr Nachkommen innerhalb ihrer Art durchbringen als dieschlechteren Vortäuscher. Langfristig gesehen, über Generationen hinweg, werden sich also die mit dem besseren Mimikri einen immer größeren Anteil innerhalb der Art bilden und die anderen werden nach und nach verschwinden. Es reicht also völlig aus, wenn eine genetische Mutation das Aussehen wie das Verhalten in Panik ein klein wenig verändert. Wenn eine solche Mutation das Mimikri ein wenig verbessert, setzt sie sich in der Art durch, wenn sie die Ähnlichkeit hingegen versaut ---> Baumschlangenfutter.
Aber ein Erlernen dieses Raupenverhaltens, ein solches Erlernen ist nicht möglich. Nicht weil ich dem aschgrauen Trauervogel das Lernvermögen abspreche, sondern weil
diese Sache keine erlernbare ist. Ein Küken, frisch ausm Ei. Sieht das ne Raupe? Sieht wie die Raupe bedroht wird und sich dann verhält? Und ahmt das dann nach? Wieso das Verhalten dieser Raupe und nicht das eines anderen beobachteten Wesens? Weil das Küken bemerkt, daß die Raupe ihm selbst ähnlich ist, und das, ohne ein Ich-Verständnis? - Oder lehren die Elterntiere sie dieses Verhalten? Zwitschern sie es auf Vöglisch? Oder spielen sie eine Angriffs-Situation vor, Papa bedroht Mama, und Mama wackelt, Papa läßt ab?
Nein, Streß des Angegriffenwerdens führt auch bei uns Menschen dazu, auf Instinktverhalten zurückzugreifen, selbst wenn das schädlich ist. Als Kinder haben wir das gespielt, einen Schlag ins Gesicht vorzutäuschen, und der Betreffende sollte nicht zwinkern. Das war so schwer, es nicht zu tun, obwohl wir ja wußten, daß es keinen Schlag geben wird. Bei sowas greifen Mensch wie Tier auf genetisch eingeschriebene Instinkte zurück. Sowas geht schneller als ein "warte mal, wie war das, was Mami und Papi mir da erklärt haben für diese Situation".