Hier ein paar Auszüge aus:
http://www.trimondi.de/Mittelmeer/Ithaka-Projekt.htmDie mediterranen Matriarchate
Nicht zuletzt dank akribischer archäologischer Vergleichsstudien besteht heute ein Konsensus darüber, dass die Mittelmeerkultur vom späten Neolithikum an bis hinein in die späte Bronzezeit matriarchalisch war. Tausende von Statuetten und Symbolbilder der Großen Muttergöttin sind von Archäologen in Syrien, in Palästina, auf Kreta, auf den Kykladen, in den Pyrenäen, in Spanien, in Anatolien, in Mazedonien, auf Zypern und auf Malta ausgegraben worden. Die erste europäische Hochkultur, die minoische, stand unter dem Zeichen der Göttin.
Das „matriarchale Paradigma“, das vor 4000 Jahren die Mittelmeerregion beherrschte, betonte die Omnipotenz weiblicher Gottheiten, die als unsterblich, unveränderlich und allmächtig angebetet wurden. Natur, Mutterschaft und Sexualität standen im Zentrum des religiösen Lebens. Der Begriff der biologischen Vaterschaft, das heißt die Rolle des Spermas bei der Befruchtung, scheint in den Matriarchaten noch wenig bekannt gewesen zu sein. Allein den Frauen wurde das Mysterium der Geburt und damit der Schöpfung zugestanden. Der Kult der Göttin stand in enger Beziehung zu den jahreszeitlich bedingten Veränderungen im Tier- und Pflanzenreich sowie zu den Phasen des Mondes. In diesen naturhaften Kontext ordnete sich auch das sexuelle Leben ein. Der Religionsphilosoph Walter Schubart spricht von einer Religion des Sexus, die sich promiskuisch und explosiv äußerte und gerade deswegen als sakral empfunden wurde. Bis tief in die patriarchale Phase hinein überlebten diese Kulte in der Tempelprostitution des Vorderen Orients.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass in der frühen Bronzezeit die Männer unter der Omnipotenz und Magie der Großen Muttergöttin gelitten haben. Die ewige Wiederkehr der rituell durch Menschenopfer nachvollzogenen Naturzyklen ließ keine Erneuerung, keine Freiheit, keine Entdeckung, keine Individualität zu. So kam es zu einem gewaltsamen Aufbegehren der männlichen Stammesmitglieder beziehungsweise fremder Eroberer gegen die weibliche Bevormundung, gegen das „matriarchale Paradigma“. Evident werden diese anti-matriarchalen Kämpfe in den Mythen, die davon erzählen wie ein Gott oder ein Held ein weibliches Untier oder ein männliches Monster, das dem Befehl einer Göttin gehorcht, vernichtet oder versklavt: Zeus tötet den Typhon, „das größte Ungeheuer, das je das Licht der Welt erblickte“ und das von der Erdmutter Gaia hervorgebracht wurde, um sich an dem Vater der olympischen Götter zu rächen; Perseus enthauptet die Gorgonen-Göttin Medusa; Apollon unterwirft das Orakel der Erdmutter, die Pythonschlange, und stellt es in Delphi in seinen Dienst. Vorgeprägt wurden diese Mythen in der babylonischen Schöpfungsgeschichte, die erzählt, wie der Lichtgott Marduk die monströse Meeresgöttin Tiamat tötet und aus ihrem geteilten Leib unsere irdische Welt baut. Es ist heute unter Alt-Orientalisten unbestritten, dass die von Göttern und männlichen Helden bekämpften und bezwungenen Mythentiere die als ungeheuerlich empfundene, alte soziale Ordnung der Göttin symbolisieren.
Die Gottesmutter Maria – ein patriarchales Substitut der Großen Göttin
Auch Männergesellschaften benötigen Frauen, um ihre Herrschaft zu festigen, auszudehnen und um sich zu reproduzieren. Frauen und Göttinnen waren unentbehrlich zur Aufrechterhaltung des Imperium Romanum, aber sie wurden den männlichen Machtinteressen unterworfen, wie die jungfräulichen Vestalinnen, die das heilige Feuer der ewigen Stadt hüteten und die mit dem Tode bestraft wurden, wenn sie sich der sinnlichen Liebe hingaben.
Ebenso gelang es dem Christentum, nachdem es Rom und das Mittelmeer erobert hatte, nicht, die mediterrane Göttin vollständig auszurotten. Die Erinnerung an sie blieb über die Jahrhunderte hinweg lebendig. Deswegen suchten die Kirchenväter und Bischöfe nach einem weiblichen Substitut, das ihren patriarchalen Machtinteressen keinen Schaden zufügte, das aber dennoch die tiefe Sehnsucht der Menschen nach einer weiblichen und mütterlichen Gottheit befriedigen konnte. Mit großem Geschick gelang ihnen dies, als sie die Mutter Jesu, neu entdeckten und sie als heilige Jungfrau, als Gottesgebärerin und als Heilsbringerin mythisierten. Auf der Synode zu Alexandrien im Jahre 430 und auf dem Konzil zu Ephesus im Jahre 431 begann der Siegeszug der Maria. Ephesus ist kein Zufall, dort gab es noch in frühchristlicher Zeit einen Hochkult der mediterranen Göttin Artemis. Die ‚große Artemis der Epheser’, wie ihr Titel lautete, verwandelte sich nun in die ‚große erhabene, ruhmreiche Gottesmutter Maria’ des Christentums. Bei dieser Metamorphose änderte die alte Göttin aber nicht nur ihren Namen, sondern auch ihr Wesen. Maria erhielt zwar von nun an den Status eines über allem Menschlichen erhabenen göttlichen Bildes, aber sie unterstand strikt der Vormundschaft des dreieinigen Gottes. Die christliche Himmelskönigin blieb auch nach ihrer Apotheose weiterhin die „Magd des Herrn“.
Selbst im muslimischen Kulturkreis vernehmen mystische Dichter den Ruf der mediterranen Göttin. Schon zwei Generationen vor Dante hatte der arabische Gelehrte Muhammed Ibn al- Arabi aus Córdoba die Religion als die Sehnsucht nach dem Weiblichen definiert. Auch ihm offenbart sich die Göttin in der Gestalt eines jungen Mädchens. Mehrmals begegnet er ihr, sogar einmal beim Umschreiten der Kaaba. Um seine Vision mit dem monotheistischen Glauben zu vereinbaren, sah er sie als „Gott manifestiert in der Gestalt der Frau“. Doch seine Einsichten hatten ebenfalls keine politischen Konsequenzen für die soziale Gleichberechtigung der Frau im Islam.
Die Apokalypse des Johannes – eine misogyne Weltvernichtungsphantasie
Das katastrophalste literarische Werk der christlich-patriarchalen Mittelmeerkultur ist die auf der griechischen Insel Patmos verfasste christliche Offenbarung des Johannes, die so genannte Apokalypse. Dabei handelt es sich um eine „messianische Eschatologie“ im Sinne von Max Weber, da diese Prophezeiung keineswegs nur auf das Jenseits verweist, sondern einen durchaus noch im Diesseits stattfindenden Krieg zwischen Gut und Böse prognostiziert. So ist die Johannesoffenbarung mehr als einmal in der Menschheitsgeschichte als „politisches Programm“ benutzt worden, um den Endkampf gegen eine wie auch immer geartete „Achse des Bösen“ einzufordern. Seit Jahrhunderten dient sie christlichen Fundamentalisten dazu, fanatische Religionskriege ideologisch zu legitimieren und das bis hinein in unsere Gegenwart.
Auch hinter diesem endzeitlichen Drama, diesem unsäglichen Horror einer gnadenlosen Weltvernichtung und dieser gequälten Sehnsucht nach einem Paradies, verbirgt sich ein Geschlechterkrieg. Die gewalttätigen und gnadenlosen Licht- Feuer- und Engelskräfte repräsentieren die männliche Partei der Guten. Ihr oberster Feldherr verkörpert sich in dem wieder auferstandenen, militanten Christus, der auf einem weißen Pferd reitend die Welt mit einem totalen Krieg überzieht.
Die weibliche Partei in der Johannesoffenbarung ist gleich durch mehrere Frauengestalten repräsentiert. Was die bösen, matriarchalen Gegenmächte anbelangt, so verdichten sich diese in dem „apokalyptischen Tier“ mit zehn Hörnern und sieben Köpfen, das dem Wasser entsteigt und das den Himmel und die Welt erobern will. „Es wurde ihm auch die Macht gegeben über alle Stämme, Völker, Sprachen und Nationen. Alle Bewohner der Erde fallen nieder vor ihm.“ – heißt es in der Offenbarung (13: 7, 8). Diese Bestie symbolisiert erneut die alte archaische Göttin, die schon, wie wir eingangs erwähnt haben, in der Mythenwelt der Babylonier, der antiken Griechen und der Hebräer in der Gestalt von Untieren und chaotischen Monstern gegen das „patriarchale Paradigma“ antritt und die am Ende von männlichen Lichthelden getötet und zerstückelt wird wie Tiamat durch Marduk, Typhon durch Zeus, Medusa durch Perseus, der Minotaurus durch Theseus und in späterer Zeit der Drache durch St. Georg. Noch deutlicher zeigt sich die Präsenz der Göttin im Auftritt der „Großen Hure Babylon“, die im 17. Kapitel der Offenbarung auf der apokalyptischen Bühne erscheint. Mit ihren sexuellen und erotischen Verführungskünsten zieht sie die Männer in den Abgrund – Reminiszenzen an die alten matriarchalen Kulte, in denen Promiskuität, Orgien, Männeropfer und Tempelprostitution heilig waren, aber auch Erinnerungen an die tiefsten Ängste des Mannes vor der Frau werden geweckt.
Als lichter Kontrapunkt zu den dunklen matriarchalen Mächten, strahlt im 12. Kapitel der Johannesoffenbarung die transzendente, dem Patriarchat dienende überweltliche Frau in der Gestalt eines, wie es heißt, „mit der Sonne bekleideten“ Weibes, die den kommenden Messias in ihren Armen hält. Das apokalyptische Sonnenweib ist keine andere als Maria, die Magd ihres Herrn, die Frau, die sich dem „patriarchalen Paradigma“ bedingungslos unterworfen hat, ein weiteres Substitut für die mediterrane Göttin.
Am Ende der Vision, nach der totalen Weltvernichtung, erscheint dann - ganz unerwartet - ein Versöhnungsbild: die Hochzeit zwischen Christus, als das „Lamm“ bezeichnet, und der „Braut“. Aber diese apokalyptische Braut ist erneut ein symbolisches Substitut für die Göttin, sie ist überhaupt keine als Person verstandene Gottheit oder Frau, sondern eine Stadt, die heilige Stadt Jerusalem. Diese abstrakte Entpersonifizierung des Weiblichen hat ihren Anfang in der Hebräischen Bibel, wo das Volk Israel als Jahwes Braut vorgestellt wird, im Neuen Testament verwandelt sich diese Abstraktion in das dogmatische Bild von der Hochzeit Christi mit seiner Kirche. Was für einen extrem misogynen Charakter die Johannesoffenbarung aufweist, zeigt sich weiterhin daran, dass die 144 000 Auserwählten, die nach dem Endzeit-Massaker erlöst werden, nur Männer sind, „die sich nicht mit Weibern befleckt haben“. Die Szene gilt als die frauenfeindlichste in den ganzen Evangelien.
Die Eroberungs- und Untergangs-Visionen der Johannesoffenbarung haben verheerende Auswirkungen auf die Geschichte gehabt. Immer wieder wurde dieses Schreckensdokument des Mittelmeeres beschworen: in den christlichen Kreuzzügen gegen den Islam, in den europäischen Religionskriegen zwischen Katholiken und Protestanten, selbst einflussreiche Nazis ließen sich daraus inspirieren. Doch dieser Wahn gehört keineswegs der Vergangenheit an. In den letzten Jahren haben Weltuntergangsideologien bei islamischen, christlichen und jüdischen Fundamentalisten Hochkonjunktur - in den USA ist es die Christian Right, in Israel sind es die Religiösen Zionisten und in den muslimischen Ländern sind es Islamisten aller Schattierungen, die heute den Konflikt im Nahen und Mittleren Osten als die sich erfüllenden apokalyptischen Prophezeiungen eines globalen Krieges zwischen Gut und Böse, zwischen Gläubigen und Ungläubigen interpretieren. Wer die Rolle der Frauen in diesen fundamentalistischen Gruppierungen unter die Lupe nimmt, der wird sofort erkennen mit welcher Radikalität dort das „patriarchale Paradigma“ weiterhin durchgesetzt wird.