@tris Huiuiui, welch Rundumschlag. Das schreit ja nahezu danach auseinandergenommen zu werden.
tris schrieb:Sicher, dadurch entstehen einige mehr als idiotische Widersprüche. Aber dann die Religion der Germanen für besser zu halten?
Der Inhalt des germanischen Heidentums ist ja an dieser Stelle erst einmal zweitrangig. Es geht ja gar nicht darum, zu wetteifern, welche Religion weniger Widersprüche hat. Natürlich lasse ich mich über das Christentum aus und stürze ich auf jeden "Fehler", den ich finden kann. Für mich ist das ein Feindbild. Wie es mit dem Heidentum aussieht, steht in diesem Moment gar nicht zur Debatte.
Aber da du es ja hier angesprochen hast ...
tris schrieb:Mal ehrlich, was wissen wir denn von der? Doch nur das, was teilweise hunderte Jahre später Einzelpersonen, die teilweise nicht einmal mehr daran geglaubt haben, zusammengetragen haben.
Mag sein, dass uns von Heidentum keine Bibel vorliegt. Und es mag auch sein, dass unsere Quellen eher mager sind. Dennoch finden sie Übereinstimmung; Lieder-Edda mit Snorra Edda, diese Schriftstücke mit Runeninschriften (auf denen z.T. Strophen rezitiert werden), Verwandtschaften zu Heldensangen unterschiedlicher Völker (Sigurdlied, Nibelungenlied, Atlilied usw. usf.)
Wir wissen wenig, aber nicht gar nichts.
tris schrieb:Natürlich halten sich da die Widersprüche in Grenzen, denn wenn man ohne wissenschaftlichen und maximal mit einem literarischen Anspruch an die Sache ran geht, haut man natürlich alles raus, was sich widerspricht.
Da muss ich dir widersprechen: Das Heidentum widerspricht sich in einer Tour. Der unsterbliche und "ewig lebende" Allvater stirbt bei der Ragnarök. Der unbesiegbare Thor scheitert in ein paar Sagen an seinen Gegnern (allen voran die Midgardschlange). Der Ehrenkodex der Germanen spricht von Ehrlichkeit, aber schaut man sich die Göttersagen an, wird da gelogen und betrogen; am laufenden Bande.
[...]ist jetzt ja nun wirklich nichts, was ein halbwegs verständiger Mensch ernst nehmen kann. Mag ganz lustig anzuhören sein, ich weiß allerdings nicht, wieso das letztlich dann kein "Müll" sein soll.
Hui, hier wird es ja richtig feindlich.
Ich glaube nicht, dass man die Mythen wortwörtlich nehmen sollte. Ich wage es stark zu bezweifeln, dass der Riese Ymir als Riese Ymir steht. Vielmehr ist er wohl eine Metapher - ich deute sie als das große Urchaos, das die Götter überwunden und aus deren Einzelteilen sie die Welt geschaffen haben. Bezeichnenderweise aus den Elementen dieses Urchaos.
Genau solche Deutungsweisen sind in meinen Augen auch die Stärke einer Religion, die man nicht festgefahren auf Dogmen auslegen muss: Sie lässt viel Raum, um zu interpretieren, um seine eigene Weltanschauung hineinzulegen, um individuell verstanden zu werden. Sie fördert also den menschlichen Geist und fordert sein Verständnis für die Natur.
Etwas, das ich am Heidentum schätze - was es aber nicht einzigartig macht. Genau genommen könnte jeder Christ die Bibel etwas anders auslegen und wenn ich mich nicht irre, gibt es eigene Wissenschaften, die sich damit befassen.
tris schrieb:Dazu eine Götterriege, die mehr ein arroganter Rauf- und Saufverein ist und scheinbar nur zu dem Zweck erschaffen worden ist, um das schlechte Benehmen der Menschen göttlich zu legitimieren.
Spätestens nach Feuerbach oder Marx sollten wir wissen, dass das keine Eigenheit des Heidentums ist, sondern von allen Religionen praktiziert wird. Auch im Christentum wird der Mensch auf ein göttliches Wesen projiziert; aber wo es im Heidentum reale Fehler sind, die wir vergöttlichen, sind es im Christentum Eigenschaften, die man so bei keinem Menschen findet. Ich würde also behaupten, dass das Heidentum seine Jünger in ihrem Wesenskern, in ihrer Natur bestärkt, während das Christentum ihnen permanent ihre Fehlerhaftigkeit vorwirft und Gott (bzw. dessen Sohn) als leuchtendes Beispiel vorhält.
tris schrieb:Nicht zu vergessen ein wichtiger Teil wohl jeder Religion: Das Jenseits.
Willkommen im 21. Jahrhundert. Wir haben uns mit der Zeit so sehr von der Idee des Kriegertums und dessen Ruhm entfernt, dass deine Meinung nicht weiter erstaunlich ist. Aber zur Zeit der Germanen war das eben die größte Ehre und ich weiß nicht, was daran verwerflich sein soll. Heute wird Walhall nur noch von Romantikern, Fanatikern oder Idealisten gerühmt - aber für Leute wie dich steht die Pforte nach Helheim ja auch jederzeit offen
:)Achja - wenn ich überlege, was würdiger, glorreicher und ehrbarer ist - der Himmel im Christentum oder Walhall (als ein Beispiel vieler Möglichkeiten) im Heidentum - dann fällt mir das nicht weiter schwer. Ein Leben lang vor einem Gott zu kriechen, ganz nach dem Motto "Scheiß auf das Leben - im Himmel wird alles besser!" ... naja. Es ist nicht nur menschen- und lebensverachtend, sondern in meinen Augen auch höchst fahrlässig. Eine Religion, die ihren Mitgliedern klar macht, dass nicht das Leben, sondern der Tod eine Rolle spielt, ABER natürlich darf keiner Selbstmord begehen, weil man dann in der bösen, bösen Hölle landet
:Y:Ernsthaft? Diese Wahl findest du besser?
tris schrieb:Ich würde mich allerdings niemals für eine Religion entscheiden, deren Kern das Abmetzeln und Abgemetzelt werden ist.
Mmmmh, wie war das eben nochmal, dass wir über diese Religion im Prinzip nichts wissen? Du reduzierst das Heidentum gerade ganz drastisch auf Walhall, aber das ist nur eine winzige Facette. Hättest du zumindest das Hávamál einmal gelesen, dann wüsstest du, dass es sehr viel mehr Ansätze gibt.
Außerdem - wie schon gesagt, andere Zeiten, andere Sitten. Dass das Heidentum den Kampf nicht dämonisiert, ist nicht weiter erstaunlich, schauen wir uns nur an, in welcher Epoche es praktiziert wurde. Viel erschütternder finde ich, dass du offenbar vergisst, dass im Christentum a) ebenfalls Mord glorifiziert wird (hier allerdings nicht am Feind, sondern am Ungläubigen ganz generell) und b) das Christentum
weit mehr Opfer gefordert hat, als das Heidentum. Jetzt kann man sich natürlich aussuchen, was man besser findet: Eine Religion, die das Töten an sich nicht verurteilt und es auch praktiziert; oder eine Religion, die das Töten verteufelt ("Du sollst nicht töten!" - dass ich nicht lache), aber schiere Gemetzel im Namen des Einen Wahren Gottes anfacht
:shot:Ganz ehrlich - angesichts dieser Heuchelei kommt mir das Brechen.
tris schrieb:Ganz ehrlich, da kann ich auch gleich irgendwelche Menschen anbeten, für schlechtes Benehmen muss ich nicht erst Götter erfinden.
Letztendlich ist es ja ohnehin jedem selbst überlassen, wen oder was er anbeten möchte. Aber wie vor wenigen Tagen bereits erläutert, ist das Entscheidende, dass man heidnischen Göttern auf Augenhöhe begegnen kann, während man vor der Allschaffenden Höchsten Göttlichen Instanz des Christentums immer schön Knie und Seele beugen muss.