Der Buddhismus gilt als besonders friedliche Religion
Dürfen Buddhisten Gewalt anwenden?
Tumultartige Szenen und Auseinandersetzungen mit der Polizei beim olympischen Fackellauf in London und Paris - die Proteste gegen die Gewalt im buddhistischen Tibet eskalieren. Buddhismus und Gewalt - wie passt das zusammen? Das fragte WDR.de den Buddhismusexperten Michael Zimmermann.
Michael Zimmermann ist Professor für indischen Buddhismus und Direktor des Zentrums für Buddhismuskunde an der Universität Hamburg. Er hat unter anderem zum Thema Gewalt und Konflikte im Buddhismus geforscht.
WDR.de: Der Buddhismus gilt als friedliche Religion. Wie passt das zu den gewalttätigen Olympia-Protesten in Tibet?
Michael Zimmermann: Der Ruf des Buddhismus als weitgehend konfliktfreie Religion ist maßgeblich geprägt durch den Dalai Lama in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wenn man in diesen Tagen in der Öffentlichkeit über Buddhismus redet, wird damit oft die tibetische Tradition gemeint. Der Dalai Lama selbst sagt, dass Gewaltlosigkeit im Moment der einzige Weg ist. Er sagt aber auch, dass es um die Motivation geht. Es könne Situationen geben, wo es nötig ist, Gewalt anzuwenden. Wichtig ist die Gesinnung: Warum tue ich das? Wenn ich Gewalt anwende aus Hass, aus Ärger, um anderen zu schaden, dann ist es schlecht. Wenn ich Gewalt anwende, um anderen Lebewesen zu helfen, dann kann das durchaus eine Position sein, die ein Buddhist einnehmen muss.
Allerdings sagt er im Fall von Tibet ganz klar: "Wir haben keine Chance gegen die Übermacht der Chinesen, es wäre reiner Selbstmord, dort Gewalt anzuwenden." Und das haben wir in den letzten Tagen auch im Fernsehen gesehen. Der Dalai Lama sagt: "Wenn die Lage in Tibet in Gewalt umschlägt, stehe ich nicht dahinter und trete als politischer Repräsentant der Exilregierung zurück."
WDR.de: Wir nehmen Buddhisten generell als sehr friedliche Zeitgenossen wahr. Gibt es bei ihnen so wenige Probleme oder sehen wir sie nur nicht?
Zimmermann: Man sollte strikt trennen zwischen buddhistischen Laien und Mönchen. Laien sind Menschen, die ein normales Leben führen, in irgendwelchen Berufen. Wenn Sie von "friedlichen Zeitgenossen" sprechen, haben Sie wohl eher Mönche im Auge. Die Mönchs- und Nonnenorden im Buddhismus unterliegen bestimmten Verhaltensregeln, ähnlich wie christliche Nonnen und Mönche hier im Westen. Einer der Punkte ist von frühester Zeit an die Gewaltlosigkeit.
Bei den Laien wird differenziert. Einerseits ist ganz klar: Sie sollen keine lebenden Wesen töten. Das bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auf alle fühlenden Lebewesen. Sie dürfen nicht einfach auf den Moskito hauen, der bei ihnen Blut saugen will. Wenn wir aber in die gesellschaftliche Perspektive, in die politische Dimension gehen, können Sie sich leicht vorstellen, dass man mit so einer absoluten Haltung der Gewaltlosigkeit nicht sehr weit kommt.
WDR.de: Beobachten Sie eine selektive bzw. einseitige Wahrnehmung im Westen?
Zimmermann: Ja. Als ich zum Beispiel den Sammelband "Buddhismus und Gewalt" herausgegeben habe, wurde ich gefragt, ob das nicht ein Druckfehler sei. Es müsse doch heißen: "Buddhismus und Gewaltlosigkeit". Für viele Leute war es unfassbar, dass Buddhismus etwas mit Gewalt zu tun haben könnte. Aber das genau war ja mein Anliegen, zu zeigen: Es gibt auch Fälle, in denen Buddhisten, buddhistische Mönche sogar, mit Gewalt reagiert haben. Das darf man nicht leugnen. Aber die Dimension ist eine ganz andere im Vergleich mit der christlichen in Europa.
WDR.de: Darf der buddhistische Laie Gewalt anwenden?
Zimmermann: "Der buddhistische Laie" - wer ist das? Jemand, der im Hochland von Tibet lebt? Ein Thailänder oder ein Buddhist in Deutschland? Die buddhistische Tradition ist wahnsinnig vielfältig. Insgesamt würde ich die Wirkung des Buddhismus auf eine Gesellschaft nicht überschätzen, besonders bei Fragen zu Konflikten oder Konfliktlösungspotentialen.
Dazu als Hintergrund: Es ist ursprünglich eine Asketen-Religion gewesen. Buddha und seine engsten Vertrauten sind aus der Gesellschaft ausgestiegen. Sie haben gesagt: "Das ist alles Samsara hier, wiederkehrendes Leid. Es hat überhaupt keinen Wert, sich da noch weiter zu verausgaben. Wir wollen durch den Ausstieg aus der Gesellschaft einen Weg zum Nirwana finden." Sie haben die Gesellschaft verlassen, die Totenrituale wurden vollzogen. Sie haben dann wenig Interesse daran gezeigt, die Gesellschaft in irgendeiner Weise zu reformieren.
WDR.de: Das klingt nach Ausweichen vor Konflikten.
Zimmermann: Ja, das kann man so sehen. Im Buddhismus ist die Tendenz sich auszuklinken, in ein Kloster zu gehen und dort auf die eigene Erlösung zu hoffen, recht stark ausgeprägt. Insofern hat für mein Geschichtsverständnis der Buddhismus nie eine bedeutende gesellschaftspolitische Dimension entwickelt.
WDR.de: Wird Buddhismus politisch instrumentalisiert?
Zimmermann: Klar, wie jede andere Religion auch. Religionen haben immer, wenn sie über den persönlichen Bereich hinaus gehen, eine gewisse politische Dimension. Ein gutes Beispiel ist Sri Lanka. Dort herrscht schon seit über 20 Jahren ein Bürgerkrieg zwischen der singhalesischen Mehrheit und Tamilen im Nordosten der Insel. Viele Buddhisten hört man dort sagen: "Der Buddha war selbst drei Mal in Sri Lanka", - das beruht auf einem Mythos, er war gar nicht dort - "deshalb ist die gesamte Insel eine heilige buddhistische Insel und es ist unsere Pflicht als Buddhist, diese Insel auch als buddhistisch zu erhalten bzw. buddhistisch zu machen." Und damit liefern sie den Fundamentalisten und den Militaristen beste Argumente, um gegen die "Minderheit der Hindus in einem buddhistischen Land" vorzugehen.
http://www.wdr.de/themen/kultur/religion/buddhismus/konflikte/interview_kurz.jhtml (Archiv-Version vom 14.04.2009)