@holz-haqq-erHallo,
wie ich lese, hast du dich scheinbar auch mal mit der Thematik befasst und auch bei mir war sie mal ganz großes Interessensgebiet, und Inhalt zweier Semester.
Natürlich müssen wir für eine vernünftige Diskussion ersteinmal den Begriff Sklaverei definieren und dazu habe ich mir mal die Mühe gemacht, einen Definitionsgrundsatz für uns beide zu schaffen, der uns sicherlich helfen wird, nicht in unnötige Bereiche abzudriften.
Will man die Sklaverei als äußerste Form von Unfreiheit begrifflich bestimmen, dann kommt man nicht umhin, sie mittels prägnanter Unterschiede abzugrenzen. Ich verdeutliche das mal an einem Beispiel. Zum ersten am stalinistischen Gulag: Er entstand als Agglomeration von Lagern in einer Phase außerordentlicher politischer Repression; die Häftlinge waren meist durch Justizwillkür Verurteilte. Das Gulag-System, welches anfänglich (1930-1940) sechs Millionen, dann (1941-1945) vier, schließlich (1945 bis 1954) fünf Millionen Insassen zählte, beruhte somit auf der
gesetzlichen Form der Strafgefangenschaft, willkürlich verlängert oder verkürzt. Zum zweiten am NS-Konzentrationslager: Ihre Insassen stellten drei verschieden Schnittmengen dar: die Opfer von interner politischer Repression, von kriegerischer Unterwerfung, von einer Politik des Völkermords. Die Inhaftierung war nicht rechtsförmig, daher war die Unfreiheit lebenslang, der frühe Tod der Häftlinge - etwa durch Überarbeitung - nicht bloß in Kauf genommen, sondern großenteils bezweckt.
In beiden Fällen machten die Repressionsorgane totalitärer Staaten, aus freien Menschen Unfreie und hielten diese mit Zwangsmitteln in ihrem Zustand - vorwiegend segregiert in La-gern. Der Gewalteinsatz gegen Widerstand - latenten oder offenen - war enorm; doch die private Verfügung über die Gefangenen blieb minimal. Die Opfer regelrecht zu verkaufen, wie eine Ware, war völlig ausgeschlossen. Diese Systeme endeten, sobald der betreffende Staat seine Politik änderte, bzw. militärisch zerschlagen wurde.
Ein anderes Bild bieten die Formen von weltweit zunehmender persönlicher Unfreiheit unserer Gegenwart.
Erstens die Vertrags-Knechtschaft: Unternehmen locken mit Arbeitsverträgen Menschen in entlegene Regionen, wo sie den Arbeitgebern hilflos ausgeliefert sind und in Unfreiheit fallen, die sich eventuell über Jahrzehnte erstreckt. Das passiert vor allem in Brasilien und Südostasien, Teilen Indiens und einigen arabischen Ländern. In vielen dieser Länder ist die Praxis zwar gesetzlich verboten, doch die lokalen Behörden sind nicht fähig oder willens, sie zu unterdrücken (siehe dazu W.S. Heinz, Von der Sklaverei zum Menschenhandel, in: Hermann-Otto, 2005, S. 300 ff).
Zweitens die Schuldknechtschaft: Menschen verpfänden sich selber, um mit einem Darlehen aus einer Notlage herauszukommen. Wenn Art und Dauer des Dienstes nicht fixiert sind, bleibt die Schuld bestehen, die Abhängigkeit wird lebenslänglich und kann sich auf die Kinder ausweiten. Das dürfte die weltweit am meisten verbreitete Form von persönlicher Unfreiheit sein; sie ist besonders in Indien - mit 15 bis 20 Mio Betroffenen - anzutreffen. Es handelt sich um ein privates Verhältnis ökonomischer Ausbeutung, welches jedoch über hohe soziale Akzeptanz verfügt. Solange die Behörden darin keine Unfreiheit erkennen wollen, ist polizeiliche Intervention nicht erwartbar (siehe dazu Jahrbuch Menschenrechte, Schwerpunkt: Sklaverei, Frankfurt 2007, S. 176-185; Bales 1999).
Drittens der Kinderverkauf: Kinderarbeit leisten weltweit rund 200 Millionen; es bleibt im Dunkeln, wie viele davon regelrecht verkauft wurden. Die meisten Opfer stammen aus Südostasien, doch auch in Westafrika ist das Phänomen verbreitet. Diese private Ausbeutung von heranwachsenden verschleppten Menschen mündet in lebenslange Unfreiheit, obwohl die betreffenden Staaten meist internationale Abkommen unterzeichnet haben und polizeilich eingreifen müssten. Viertens die erzwungene Prostitution: in Westeuropa werden jährlich zwischen 120000 und 500000 Frauen zur Prostitution gezwungen, die Mehrheit von ihnen stammt aus Osteuropa. Die Einschleusung der durch Pseudo-Verträge gelockten oder regelrecht geraubten Frauen übernehmen kriminelle Banden, die praktisch Menschenhandel betreiben. Zwar ist durch polizeiliche Intervention diese Verknechtung sofort beendbar, aber grausame Exempel schrecken die Opfer davon ab, die Behörden zu Hilfe zu rufen. Die Unfreiheit kann darum - inmitten von Gesellschaften, die polizeilich pazifiziert sind - über Jahre gehen (siehe dazu EUROPARAT, Sklaven inmitten
Europas, Europäische Union, Bericht der EU über organisierte Kriminalität, Brüssel 2003, S.15)
In diesen vier Fällen wäre erwartbar, dass die Behörden - sofern solche existieren - die Unfreiheit polizeilich beenden. Das Verhältnis ist nicht legal. Somit handelt es sich in diesen Fällen nicht um eine Institution. Aber Sklaverei ist eine soziale und politische Institution.
Zwei Beispiele illustrieren den Unterschied. Zum einen die „
Pseudo-Leibeigenschaft“: Die Nachkommen der schwarzen Sklaven in Mauretanien werden bis heute als solche „
Leibeigene“ gehalten. Leibeigene Kinder können wie Sklaven verkauft werden; sie sind bis heute beliebte Geschenke auf maurischen Hochzeiten. Ähnliches geschieht anderswo in Nord- und Westafrika, auch in einigen arabischen Ländern. Zum anderen die private Aneignung von Kriegsgefangenen: im Sudan führt das islamische Regime einen immer wieder unterbrochenen Dauerkrieg gegen die nichtmoslemischen Stämme des Südens; dabei üben die islamischen Stämme ihre vorkoloniale Praxis, blutige Razzien gegen die Dörfer der Dinka und anderer durchzuführen und diese Menschen zu deportieren, zu verteilen, zu verschenken oder zu verkaufen. Über 80 000 Opfer haben die christlichen Hilfsorganisationen inzwischen freigekauft (siehe dazu Jok, 2001)
Offensichtlich unterscheiden sich die letzten beiden Phänomene grundsätzlich von allen anderen: hier ist die Unfreiheit eine sozial akzeptierte Institution; und eben aus diesem Grunde ist es auch hier allein möglich, völlig legal die Opfer zu verkaufen wie eine Ware. Wir müssen also diese beiden Fälle unter die Kategorie „
Sklaverei“ stellen. Folglich ist es nicht zulässig, erzwungene Prostitution oder Vertragsknechtschaft als Sklaverei zu bezeichnen;
denn eine sklavenähnliche Situation ist noch keine Sklaverei. Die obigen Formen der Unfreiheit unterscheiden sich erheblich voneinander; sie stellen jeweils soziale Verhältnisse eigener Art dar. Sie zu untersuchen verlangt nach scharf umrissenen Begriffen, und dabei kommt es nicht darauf an, was die Betroffenen erleiden.
Das Ausmaß des Leidens ist von außen nicht zurechenbar, und es ist kein Kriterium für Sklaverei. Zwar lassen sich Grade von Zwang und Entbehrung abschätzen. Im stalinistischen Gulag und in den NS-Konzentrationslagern waren Entbehrung und Diszi-plinierung schlimmer als in den meisten sklavistischen Systemen. Doch diese Formen der Unfreiheit gleichzusetzen mit Sklaverei hieße einen Begriff metaphorisch verwenden.
Im Römischen Recht findet sich der Satz des Juristen Ulpian: „
Die Sklaverei setzen wir dem Tode gleich“(siehe dazu „servitutem mortalitati fere comparamus (Digesten 50, 15, 209)). Diese Gleichsetzung hat der Soziologe Orlando Patterson aufgegriffen: „
Das Wesen der Sklaverei besteht darin, dass der Sklave - in seinem sozialen Tod - am Rande lebt: zwischen Gemeinschaft und Chaos, Leben und Tod, dem Heiligen und dem Profanen“( siehe dazu Patterson, 1982, S.51). Ganz ähnlich bezeichnet der Anthropologe Claude Meillassoux die Sklaven als „
Nichtgeborerene und Tote auf Bewährung“. In einem Prozess der „
Verfremdung“ werden Versklavte ständig zum Fremden gemacht, wobei vier Vorgänge das Verfremden in Gang halten (siehe dazu Meillassoux, 1989, S.99 ff):
1.) Entsozialisierung: Sie verlieren ihre Heimat, werden aus den Sozialisationsarealen herausgerissen, welche den Menschen schützen und erziehen.
2.) Entpersönlichung: Sklaven werden zu käuflichen und verkaufbaren „
Dingen“; als solche bezeichnet man sie auch; demgemäß erleiden sie vorwiegend körperliche Strafen, womit man sie einer „
Vertierung“ aussetzt.
3.) Entsexualisierung: Vor allem die afrikanischen Sklavereitypen transformieren die versklavten Frauen in geduldige, fügsame und ausdauernde Arbeitskräfte, indem sie sie abtrennen von ihren reproduktiven Fähigkeiten. Ihre Mutterfunktion wird stillgelegt, es sei denn, die Herren wollten absichtlich Sklaven züchten.
4.) Entzivilisierung: Der versklavte Mensch ist verwandtschaftslos und ohne anerkannten sozialen Status. Er ist ausschließlich abhängig von seinem Herrn, daher kein Element eines kulturellen „
Netzes“, sondern sozial atomisiert (siehe dazu Meillassoux, 1989, S. 53)
Zur weiteren Geschichte der Sklaverei schreibe ich dann am Wochenende etwas, um dann schlussendlich auch zur Thematik der Sklaverei im Islam zu kommen. Aber ich denke, das hier vorgestellte Grund(definitions)wissen und die noch folgende (Kurz)Geschichte der Sklaverei ist nötig, damit du nicht den Eindruck erhälst ich wolle nur deinen Glauben schlecht machen. Es geht (mir) hier einfach darum, auf einen doch ziemlich unaufgearbeiteten Teil der islamischen Geschichte hinzuweisen.
Da ich noch einige andere Dinge an Arbeit zu erledigen habe (
:( ), komme ich die nächsten 2 oder 3 Tage nur dazu Kurzkommentare zu schreiben und auf dumme und provokante Äußerungen werde ich hier erst gar nicht eingehen. Du,
@holz-haqq-er, machst mir allerdiings den Eindruck eines ernsthaften und sachlichen Diskussionsteilnehmer und somit werde ich meine Beiträge auf dich konzentrieren und verbleibe bis dahin mit einem aleikum salam