Link: www.diepresse.com (extern) (Archiv-Version vom 17.11.2006)Christen in Türkei nur "Bürger zweiter Klasse"
(Die Presse) 14.11.2006
Vor Papst-Besuch. Orthodoxer Patriarch beklagt Diskriminierung.
Wir sind Bürger zweiter Klasse. Wir kommen un seren Pflichten nach, haben aber nichtalle Rechte, die anderen türkischen Staatsbürgern eingeräumt werden."
Dergriechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomaios I. kann viele Probleme nennen, mit denennicht-moslemische religiöse Minderheiten in der Türkei kämpfen müssen. Wenn PapstBenedikt XVI. im November die Türkei besucht, "wird es sich nicht vermeiden lassen, dasser die Probleme der Minderheiten sowie Religionsfreiheit und Menschenrechte anspricht".
Bartholomaios I. unterstehen weltweit auch die Metropolien, die zu keinemanderen eigenständigen Patriarchat gehören - darunter auch die österreichische. Umsoherzlicher wurde in Istanbul Montag eine Delegation religiöser Vertreter aus Österreichempfangen.
Am Bosporus ist die griechisch-orthodoxe Gemeinde auf rund 2000Gläubige geschrumpft, das Patriarchat bangt um Nachwuchs. Vor 35 Jahren schloss dieRegierung das Priesterseminar Halki; seither kämpft man um die Neueröffnung. "Wir sindnicht optimistisch, geben aber die Hoffnung noch nicht auf", so Bartholomaios.
Der Patriarch klagt, dass Ankara darauf bestehe, dass sein Nachfolger nicht nur dastürkische Priesterseminar absolviert haben, sondern auch türkischer Bürger sein muss. Dasist in der Realität immer schwieriger. Sein Vorschlag an die Regierung, einenausländischen Nachfolger zu wählen und ihm die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wurdenicht einmal beantwortet.
Probleme gibt es auch mit dem Vermögen desPatriarchats und der Gemeinden. Die Kirchen haben keinen Rechtsstatus und können nur überStiftungen öffentlich wirken. Bei den häufigen Enteignungen haben sie kaum Chancen.Bartholomaios erzählt von einem in den 90er-Jahren enteigneten Waisenhaus, wo dasPatriarchat nach verlorenen Prozessen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechteanrief. Ankara erließ zwar jüngst ein Gesetz, das Grundeigentumsrechte nicht-muslimischerGruppen stärkt; für den Patriarchen und andere Minderheitenvertreter ist es aber zuwenig.
Brisante Themen also für den bevorstehenden Papstbesuch, der auchvon der Aufregung über dessen islamkritische Rede in Regensburg überschattet wird. Lautdem Patriarchen sollte der Ausdruck des Bedauerns durch den Papst reichen, dass man nichtmehr darüber spreche. Ein wohl frommer Wunsch: Auch wenn sich die Wogen seither geglättethaben, ist das Thema nicht vom Tisch. Unter anderen kündigte Ali Bardakoglu, Chef derstaatlichen Religionsbehörde, an, gegenüber dem Papst seine Meinung äußern zu wollen.
Sicher steht Benedikt XVI. bei seinem Besuch, dem ersten in einemmehrheitlich islamischen Land, unter Druck, die angeschlagenen Beziehungen zurmuslimischen Welt zu verbessern. Von der Regierung wird der Besuch mit Argwohnbetrachtet: Man glaubt, Benedikt XVI. besuche in erster Linie nicht die Türken, sondernden Patriarchen und seine Leute. Tatsächlich hatte ursprünglich Bartholomaios dieEinladung ausgesprochen, worauf Ankara sauer reagierte. Darauf sprach der türkischePräsident die Einladung aus.