Link: www.orf.at (extern) (Archiv-Version vom 16.09.2007)"Gott - ein rassistischer, boshafter Tyrann"
Biologe kämpft gegen Religion: "Es gibt mit ziemlicher Sicherheit keinen Gott."
Wenn Richard Dawkins in seinem neuen Buch "Der Gotteswahn" (Ullstein) zu seinem Plädoyer für mehr Vernunft und weniger Religion anhebt, dann wird geklotzt und nicht gekleckert.
"Der Gott des Alten Testaments ist - das kann man mit Fug und Recht behaupten - die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer."
Doch die Liste ist damit noch nicht beendet: "ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann".
"Ethisch anstößig"
Ethisch, so schreibt Dawkins, ist Jesus zwar ein großer Fortschritt gegenüber dem "Ungeheuer aus dem Alten Testament". Aber auch imNeuen Testament gebe es "Prinzipien, die kein anständiger Mensch unterstützen sollte", allen voran die Erbsünde. "Diese Lehre ist ethisch fast ebenso anstößig wie die Geschichte von Abraham, der sich anschickt, Isaak zu grillen."
Rhetorik-Kärcher statt feine Klinge
Zitate wie diese aus dem neuen Buch "Gotteswahn" von Richard Dawkins beweisen: Hier wird nicht immer mit der feinen Klinge gefochten. Im Kampf des leidenschaftlichen Atheisten gegen die Religion greift der Evolutionsbiologe mitunter auch zum rhetorischen Kärcher.
Seine Gegner sind allerdings auch keine Waisenknaben: Sie reichen von den afghanischen Taliban und ihren islamistischen Selbstmordbrüdern bis zu den "Wiedergeborenen" in den evangelikalen Gemeinden der USA, die auf ein modernes Armageddon nach biblischem Vorbild hoffen.
Eine Million englische Exemplare verkauft
Weltweit, so die Diagnose von Dawkins, sind die Religionen mit ihren irrationalen Weltanschauungen auf dem Vormarsch,die Atheisten würden dem öffentlich bisher viel zu wenig entgegentreten und seien mittlerweile eine bedrohte Art wie einst die Homosexuellen.
Deshalb hat Richard Dawkins 2006 das Buch "The God Delusion" herausgebracht, das sich seit knapp einem Jahr in der Bestsellerliste der "New York Times" befindet und weltweit laut "Sunday Times" bereits über eine Million Exemplare verkauft hat. Am Dienstag ist es auf Deutsch erschienen.
Kampf gegen "Intelligent Design"
Zielscheibe des Buchs sind nicht nur die religiösen Extremisten, sondern der Glaube an sich, der den Fundamentalisten erst den Weg bereitet, wie Dawkins es ausdrückt.
Besonders jene Religionsvertreter haben es ihm angetan, die auf seinem eigenen Terrain, der Naturwissenschaft, herumdilettieren: die Kreationisten und ihre pseudowissenschaftlichen Abkömmlinge, die das Leben als Produkt eines "intelligenten Designers" verstehen.
"Gott ist eine Hypothese"
Deren Gotteshypothese mit den Mittelnder Naturwissenschaften zu widerlegen, zählt zum innovativsten des Buchs - und scheitert dennoch, wie Kritiker anmerken. Der Ausgangspunkt von Dawkins' Überlegungen: "Die Existenz Gottes ist eine wissenschaftliche Hypothese wie jede andere." Dementsprechend behandelt er sie auch.
Während er eine Reihe von klassischen Gottesbeweisen von Anselm von Canterbury bis Thomas von Aquin quasi im Handumdrehen niederschmettert, beißt sich Dawkins in das sogenannte Unwahrscheinlichkeitsargument fest. Dieses Argument besagt, dass komplizierte Dinge - wie das Leben auf der Erde - nicht durch Zufall entstanden sein können.
Gott ist unwahrscheinlicher als die Welt
Anhänger des "Intelligent Design" folgern daraus, dass das Leben ein Produkt eines "intelligenten Schöpfers" sein muss. Etwas so Unwahrscheinliches wie das Universum, die Erde oder der Mensch kann ihnen zufolge nur das Ergebnis einer Schöpfung sein. Demgegenüber hält Dawkins fest: "Gestaltung ist nicht die einzigeAlternative zum Zufall."
"Bei genauer Betrachtung führt die These von der intelligenten Gestaltung nur zu einer Verdoppelung des Problems, denn der Gestalter wirft sofort die weitergehende Frage nach seiner eigenen Entstehung auf. Ein Etwas, das etwas so Unwahrscheinliches wie ein Universum intelligent gestalten kann, muss noch unwahrscheinlicher sein. Die Lösung 'Gott' beendet also nicht die unendliche Regression, sondern verstärkt sie ganz gewaltig", lautet die zentrale These von Dawkins.
Natürliche Selektion als Ausweg
Um aus dieser Regression herauszukommen, gebe es seit Charles Darwin etwas viel Besseres: die natürliche Selektion der Evolution. Sie ist "jener Prozess, der nach heutiger Kenntnis als einziger letztlich in der Lage ist, Komplexität aus Einfachem entstehen zu lassen. Die Theorie der natürlichen Selektion ist wirklich einfach ... Was sie erklärt, ist über alle Maßen komplex, ... aber immer noch nicht so komplex wie ein Gott, der in der Lagesein sollte, Komplexität zu gestalten."
Das Universum eines intelligenten Schöpfers, so Dawkins weiter, würde ganz anders aussehen als das Universum, das aufgrund von Evolution entstanden ist. Kreative Intelligenz bilde sich in der Evolution erst sehr spät und könne ihr nicht vorausgehen.
Religion - ein Wahn, ausgelöst durch "Viren"
Gegen diese Beweise für die Nichtexistenz Gottes wurden bereits heftige Einwände vorgebracht: Dawkins stülpe der Religion eine naturwissenschaftliche Erkenntnistheorie über, die ihrer Sache nicht angemessen sei; der Glaube setze nicht bei der Frage an, ob Gott komplex oder einfach sei; und es gebe nicht nur eine einzige Form von Wissen, die Rationalität.
Dieses "Außerhalb der Vernunft" will Dawkins freilich nicht anerkennen. Wenn etwa menschliche Gehirne glauben, via Beten mit "Gott" kommunizieren zu können, so sei das eine wissenschaftliche Frage.
Dawkins hält die Religion für einen Wahn, wie es schon der Titelseines Buchs verrät, ausgelöst durch "geistige Viren", die Milliarden Menschen befallen haben.
Nebenprodukt der Evolution
Fragt sich, warum dieser Virus so nachhaltig erfolgreich ist. Dawkins wäre kein Evolutionsbiologe, wenn er darauf nicht auch eine biologische Antwort hätte. Religion ist für ihn ein Nebenprodukt der Evolution.
So wie sich die Motten anhand der Himmelskörper orientieren und deswegen mitunter unbeabsichtigt im Feuer landen, verhalte es sich auch mit der Religion des Menschen.
"Die natürliche Selektion stattet das Gehirn eines Kindes mit der Neigung aus, den Eltern oder Stammesältesten alles zu glauben, was sie erzählen. Ein solcher vertrauensvoller Gehorsam dient wie bei der Motte, die sich am Mond orientiert, dem Überleben. Aber die Kehrseite des vertrauensvollen Gehorsams ist sklavische Leichtgläubigkeit. Das unvermeidliche Nebenprodukt ist die Anfälligkeit für Infektionen mit geistigen Viren."
Einer dieser Viren ist fürDawkins die Religion. Das Kind, das seinen Eltern vertraut, könne nicht unterscheiden zwischen guten oder - wie in diesem Fall - schlechten Ratschlägen.
Darwin - der erkenntnistheoretische Burka-Öffner
Richard Dawkins entpuppt sich in seinem Buch als Aufklärer im alten, wie Kritiker meinen im überholten Sinne des 19. Jahrhunderts. Nirgendwo wird das offensichtlicher als in seinem leidenschaftlichen Plädoyer gegen die Burka, die "zum Unerfreulichsten gehört, was man heutzutage auf unseren Straßen zu sehen bekommt".
Sie ist für ihn nicht nur ein Zeichen für die Unterdrückung der Frauen und "empörend männlicher Grausamkeit". Er sieht in den Sehschlitzen der Burka auch ein erkenntnistheoretisches Symbol: Unsere Augen, schreibt Dawkins, sehen die Welt durch einen schmalen Schlitz im elektromagnetischen Spektrum. Das sichtbare Licht ströme wie bei der Burka nur durch eine kleine helle Ritze herein.
Und "die Naturwissenschaft tut uns den Gefallen, dasFenster zu vergrößern. Sie öffnet es so weit, dass das Gefängnis aus schwarzem Stoff fast völlig von uns abfällt und unseren Sinnen eine luftige, heitere Freiheit verschafft. Darwin packte den Sehschlitz der Burka, riss ihn auf und ließ das Licht der Erkenntnis hereinströmen."
Aufklärung des alten Stils
In der Burka-Metapher wird Aufklärung buchstäblich zum englischsprachigen "enlightenment", zur Aufhellung von dunklem Unwissen. In diesen Sätzen merkt man, dass Dawkins nicht nur ein innovativer Biologe ist, sondern auch ein guter Vertreter seines Lehrstuhls, der an der Universität Oxford den Titel "Public Understanding of Science" trägt.
Popularisierung der Naturwissenschaften ist sein Ziel und Polarisierung dazu oft sein Mittel, eine Prise Humor würzt das Ganze und macht das Lesen seines Buchs zum Vergnügen.
Nur mit biologischen Waffen
Dass die von Dawkins favorisierte Aufklärung allerdings auch dialektisch verlaufen kann, davon erfährt man inseinem Buch nichts. Genau hier liegen die Schwächen des Evolutionsbiologen.
Von wissenschaftstheoretischer Kritik sowie sozial- und geisteswissenschaftlichen Beiträgen zu Funktion und Entstehung des Glaubens zeigt sich Dawkins ziemlich unbeleckt. Eine gesellschaftliche oder politische Analyse von Religion erscheint mit seinen Werkzeugen der Biologie allerdings auch wenig sinnvoll.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at
Buchhinweis:
Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Ullstein, 560 Seiten, 23,60 Euro.
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