Was bringt euch euer (Un-)Glaube?
14.08.2016 um 17:33
Das Folgende ist noch keine Antwort auf die Frage, aber trotzdem nicht „off topic“, sondern eine bei dieser Frage notwendige Vorüberlegung und Klärung:
Es gibt doch diese österreichische „Wissenschaftskabarett“-Gruppe Science Busters, deren Motto lautet „Wer nichts weiß, muss alles glauben“. Heißt das denn nicht auch umgekehrt: „Wer nichts glaubt, muss alles wissen“ …? Na, wie dem auch sei: Da wir unmöglich alles wissen können, bleibt uns, wenn wir uns in der Welt orientieren und handeln wollen, gar nichts anderes übrig, als vieles – ich würde sogar behaupten: das aller, aller meiste – einfach nur zu „glauben“, statt es wirklich zu wissen. (Was heißt eigentlich „wissen“?: Ab wann kann eine Überzeugung, dass etwa so ist und nicht anders, als echtes „Wissen“ gelten, und wann ist sie nur „Meinung“ oder „Glauben“?)
„Wissen“ wir als konkrete einzelne Person denn wirklich, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt (obwohl uns unsere sinnliche Beobachtung doch jeden Tag etwas anderes zeigt), oder „glauben“ wir das nur, weil wir es in der Schule so gelernt haben?
„Weiß“ jemand, dass Einsteins allgemeine und spezielle Relativitätstheorien „stimmen“, der die theoretischen Überlegungen und mathematischen Formeln, die dahinter stehen, nicht verstanden hat, und die empirischen Beobachtungen, die die Theorie stützen, nicht selbst gemacht hat? Oder „glaubt“ er nicht vielmehr nur, dass diese Theorien stimmen, weil das nunmal zum „Allgemeinwissen“ gehört?
Kurz: Es gibt, was uns als konkrete Individuen angeht, unendlich viel – ich würde sagen: das Allermeiste – das wir nicht wirklich mit Sicherheit „wissen“, sondern nur glauben (zu wissen).
„Die Menschheit“ oder „die Wissenschaft“ als solche „weiß“ natürlich viel mehr, als jeder Einzelne. Es gibt – neben Einstein – eben noch eine ganze Menge anderer Physiker, die die Relativitätstheorie nicht nur „glauben“, sondern (im Gegensatz zu den allermeisten „Normalbürgern“) ihre Überzeugung auch theoretisch, mathematisch und empirisch konkret begründen können.
Dennoch hat auch „die Wissenschaft“ ihre Wissensgrenze (wenn es anders wäre, dann könnte man jetzt jede Grundlagenforschung einstellen und viel Geld sparen, weil wir schon „alles wissen“), wo sie „noch“ nicht alles weiß – oder vielleicht auch aus prinzipiellen Gründen niemals etwas wissen kann. Manche vergleichen auch das menschliche Wissen und die Wissenschaft mit einer „Insel“ des „Wissens“ inmitten eines Ozeans des „Ungewussten“, „Unbekannten“ und „Mysteriösen“: Die Insel des Wissens wird immer größer; damit werden aber auch die Ufer, mit denen sie an das Mysteriöse stößt, immer größer, d.h. mit jeder beantworteten Frage tun sich drei neue, unbeantwortete Fragen auf. („Je mehr ich weiß, desto mehr wird mir bewusst, was ich alles nicht weiß.“)
Kurz: Weil niemand – schon gar nicht als Einzelner, aber auch nicht als Menschheit im Ganzen - alles wissen kann, bleibt uns gar nichts anderes übrig als vieles einfach „nur“ zu glauben.
Das gilt gerade und erst recht für Dinge „jenseits“ unserer Welt, für „transzendente“ Gegebenheiten und Wesen wie Gott oder Geister; für die Frage, ob das Bewusstsein nach dem Tod des Körpers in irgendeiner Form weiter lebt oder nicht, oder für Fragen wie: „Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“
Auch der Atheist, der überzeugt ist, dass es keinen Gott und kein „Leben nach dem Tod“ gibt, weiß das natürlich nicht, sondern glaubt es bloß.
„Glauben“ kann aber verschiedenes bedeuten: Zum einen einfach nur „vertrauen“: „Ich glaube dir“ oder „ich glaube an dich“, d.h. ich vertraue darauf, dass du mich nicht anlügst und dass ich mich auf dich verlassen kann. Die meisten von uns vertrauen darauf („glauben“), dass auch morgen die Welt noch nicht untergehen wird und sie lebend wieder aufwachen, statt im Schlaf zu sterben – obwohl sie das natürlich nicht mit Sicherheit wissen können. Andere vertrauen auf („glauben an“) Gott, dass dieser es ist, der die Welt erhält und mich auch morgen aufstehen lässt (und dass das nicht nur „einfach so passiert.)
„Glauben“ kann aber auch bedeuten, bestimmte Behauptungen für richtig zu halten, obwohl man sie nicht „wirklich“ wissen oder beweisen kann. Etwa im apostolischen „Glaubensbekenntnis“: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria etc. pp.“ Hier werden eine ganze Reihe von Behauptungen aufgestellt – dass es Gott gibt, dass er allmächtig ist, dass er den Himmel und die Erde erschaffen hat, dass Jesus sein einzig- oder allein geborener Sohn ist (das bedeutet Luthers „eingeboren“) usw. - die der Gläubige für wahr hält. Aber offensichtlich gehören diese Behauptungen nicht zum nachweisbaren Allgemeingut der Menschheit, dem jedes vernünftig denkende und urteilende Wesen zustimmen müsste – sind also kein echtes „Wissen“.
Trotzdem sind diese Glaubensinhalte auch nicht einfach nur „aus der Luft gegriffen“. Viele Gläubige glauben nicht einfach, weil sie glauben, sondern weil für sie eine jahrhundertealte Tradition die Wahrheit des Geglaubten bezeugt; und/oder weil sie selbst in einem „Bekehrungserlebnis“ Gottes Gegenwart erfahren haben; und/oder weil zahlreiche Zeugen die Auferstehung Jesu bezeugen (vgl. 1. Korinther, Kapitel 15); und/oder weil Wunder geschehen, die das Eingreifen einer transzendenten Macht - „Gott“ - bezeugen usw. Man mag diese Begründungen nun selbst nachvollziehen können oder nicht, für richtig halten oder für verfehlt, – jedenfalls ist der Glaube nicht vollkommen „unbegründet“ und „aus der Luft gegriffen“, sondern beruht auf Gründen, auch rationalen Gründen (daher die vielen Versuche der philosophischen „Gottesbeweise“).
Glauben kann auch einfach nur bedeuten „subjektive Überzeugtheit“. „Ich glaube – das heißt, ich bin überzeugt –, dass nach dem Tod nichts mehr kommt; ich kann das natürlich nicht wissen, aber ich wäre doch seeehr überrascht, wenn es anders wäre.“
„Glauben“ kann auch nur ein „vorläufiges“ Wissen sein; nicht absolut sicher, aber auch nicht total unbegründet und „an den Haaren herbei gezogen“. „Ich glaube, der Täter war der Gärtner, weil folgende Indizien darauf hinweisen ...“ Ab wann zieht man die Grenzen und sagt: Die Begründung ist gut genug, um die Behauptung als „Wissen“ und nicht nur als „Glauben“ zu titulieren? (Wann kann man den Gärtner verurteilen, und wann gilt „im Zweifel für den Angeklagten“?) Absolute Gewissheit gibt es eigentlich nur bei mathematischen Beweisen oder logischen Deduktionen. Alles andere bietet keine vollkommene Gewissheit, sondern nur eine bestimmte Plausibilität, Begründetheit oder Wahrscheinlichkeit.
Insofern „glaubt“ auch die Wissenschaft nur an ihre Theorien und behauptet nicht, dass sie unfehlbar und der Wahrheit letzter Schluss sind. Wenn eine nachvollziehbare empirische Beobachtung oder eine unabweisbare logische Überlegung zeigen, dass eine etablierte Theorie oder Annahme so nicht stimmen kann, dann muss die Wissenschaft diese Theorie eben aufgeben oder modifizieren.