Neuer Vortrag von MICHAEL HESEMANN
http://kath.net/news/41634Im Rahmen des Eucharistischen Kongresses in Köln hielt der Historiker und Autor Michael Hesemann einen Vortrag über das Grabtuch von Turin und das Bluttuch von Oviedo.
kath.net dokumentiert den Vortrag in voller Länge:
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist keine zwei Jahre her, dass, zum dritten Mal seit 1998, das Turiner Grabtuch ausgestellt wurde.
Wieder standen die Menschen, dieses Mal ganze 2,1 Millionen, einige Stunden lang geduldig Schlange, um, für nur wenige Minuten, meist betend und kompletativ, aber oft auch nur neugierig, mit Kameras jeder Art ausgerüstet, vor dem geheimnisvollen Abbild eines gekreuzigten Mannes innezuhalten.
Doch was ist es, das die Menschen wieder einmal anzog zu einer der größten Wallfahrten des Kontinentes? Auf den ersten Blick handelt es sich beim Turiner Grabtuch um ein Leinen, 4,40 Meter lang und 1,10 Meter breit, dessen Körperbild geradezu schattenhaft wirkt, ja manchmal sogar zu verschwinden scheint. Erst im fotografischen Negativ wirkt es realistisch.
Das aber ist eine Entdeckung der Moderne, die gleichermaßen zur Geburtsstunde einer neuen Wissenschaft wurde: Als 1898 schon einmal das Grabtuch in Turin gezeigt wurde, erhielt der Hobbyfotograf, Anwalt und Bürgermeister von Asti, Secondo Pia, die Erlaubnis, es zum ersten Mal in der Geschichte zu fotografieren. Minutenlang belichtete er vier fotografische Platten. Als er sie abends in seiner Dunkelkammer entwickelte, stockte ihm der Atem. Denn auf dem Negativ erschien dieses Bild …
Ein Effekt, den jeder nachprüfen kann, denn heute lassen sich Digitalbilder am Computer ganz einfach ins Negativ „umkehren“. Was auf dem Tuch schattenhaft erscheint, wird im Negativ zu einem geradezu fotografischen, realistischen Profil. Das Tuchbild selbst ist also ein fotografisches Negativ. Doch wie ist es entstanden? Bis zur Erfindung der Fotografie, bis ins 19. Jahrhundert konnte kein Mensch erahnen, was ein Negativbild überhaupt ist. Nie hat ein Künstler negativ gemalt. Ein Kunstwerk kann es also nicht sein. Aber was ist es dann?
Die Wissenschaft war gefragt und begann, sich des Grabtuchs anzunehmen. Zuerst waren es Ärzte, Pathologen, die feststellten, dass das Körperbild viel realistischer war als alles, was die Kunst bis dahin produziert hatte. In allen Details entsprach es dem medizinischen Befund, den man bei einem Kreuzigungsopfer erwarten konnte. Schließlich wurde 1973 von seinem damaligen Besitzer, dem Oberhaupt des Hauses Savoyen und Italiens Ex-Knig Umberto II., die Genehmigung erteilt, das Grabtuch wissenschaftlich zu untersuchen. Im Herbst 1978, nach der bislang längsten Grabtuchausstellung der Geschichte, hatten amerikanische, schweizer und italienische Wissenschaftler ausgiebig die Chance zu einer Datensammlung und akribischen Studie. „Das „Shroud of Turin Research Project“ (STURP) war geboren.
Die Entdeckungen der Wissenschaftler waren spektakulär.
Bereits 1973 hatte der Schweizer Krimonologe und Botaniker Prof. Dr. Max Frei-Sulzer das Grabtuch auf Pollen untersucht. An mehreren Stellen drückte er Klebestreifen fest auf das Leinen, zog sie wieder ab, klebte sie auf einen Objektträger und schob diesen später unter sein Mikroskop. Dabei war er in der Lage, 58 verschiedene Pollenarten zu identifizieren. Sie stammten aus drei Regionen der Erde: Westeuropa, also Frankreich und Norditalien, der heutigen Türkei, sowohl dem Umland von Istanbul wie dem Anatolischen Hochland, und dem Heiligen Land.
Fast die Hälfte der auf dem Tuch entdeckten Pollen, nämlich 91, stammten von einer einzigen Pflanze, der „Dornigen Diestel“, lateinisch: Gundelia tournefortii. Sie wächst in einem breiten Streifen von der Türkei bis ins Persische Hochland und, nach Süden hin, bis ins Bergland von Juda. Umso erstaunlicher war, als der israelische Botaniker Prof. Avinoam Danin auf dem Grabtuch auch noch Abdrücke dieser Diestelart entdeckte. Zudem stieß er auf Abdrücke und Pollen einer weiteren Pflanze, dem „Buschigen Jochblatt“, lat. Zygophyllum dumosum. Sie kommt nur auf dem Sinai, in der Negev und rund um das Tote Meer vor. Es gibt nur einen einzigen Ort auf der Welt, an dem man auf beide Pflanzen treffen kann: Der schmale Streifen von Jerusalem bis Hebron. Und: Der einzige Zeitraum, in dem beide Pflanzen blühen, sind die Monate März und April.
Mediziner untersuchten die Blutflecken auf dem Grabtuch und stellten fest: Es ist menschliches Blut.
Sie identifizierten rote Blutkörperchen und waren sogar in der Lage, die Blutgruppe zu bestimmen: AB. Sie ist in Europa extrem selten, kommt aber recht häufig ausgerechnet in Israel vor. Sogar Fragmente der DNS ließen sich identifizieren. Sie wies ein Charakteristikum auf, das man als „Cohen Haplotype“ bezeichet – das genetische Merkmal von Mitgliedern der jüdischen Priestersippe, die Familiennamen wie Cohen oder Kuhn tragen und einen gemeinsamen Vorfahren hatten, der vor 3500 Jahren lebte; der Tradition nach der Mosesbruder Aaron. Der Tradition nach stammte Mariens Mutter Anna aus der Priestersippe der Leviten.
Die Textilarchäologin Dr. Mechthild Flury Lemberg stellte fest, dass das Tuch von antiker Webart ist. In der Antike wurden Leinenfäden gefärbt, bevor man sie verarbeitete, was zu Farbvariationen führte, während man im Mittelalter erst das fertiggestellte Gewebe färbte. Das Fischgrätmuster, in dem das Tuch gewoben wurde, war schon den alten Ägyptern bekannt. Die Webkantenbildung, so stellte Flury-Lemberg fest, gleicht der von Stoffen, die in den Ruinen von Masada entdeckt wurden, die die Römer 73 n.Chr. zerstörten.
In den USA fütterte einer der Wissenschaftler, Prof. John Jackson von der US Airforce Academy, Fotos des Grabtuchs in einen Computer der Raumfahrtbehörde NASA, der dem Zweck diente, Sondendaten vom Mars zu verarbeiten, den sogenannten VP-8. Zeile für Zeile baute am Bildschirm sich das dreidimensionale Bild eines liegenden Mannes auf! (14)
Das hieß: Es konnte weder ein Gemälde sein noch ein wie auch immer entstandenes Foto, also das Bild eines Körpers, der Licht reflektiert. Der Befund lässt sich nur dadurch erklären, dass der Körper selbst die Lichtquelle war.
Tatsächlich war das Körperbild an jenen Stellen am intensivsten, die dem Körper am nächsten kamen, während es schwächer dort ist, wo der Abstand zunahm.
Auf den Augen entdeckten die Wissenschaftler kreisrunde Erhöhungen, die an Münzen erinnerten. Tatsächlich ließen sich in der Vergrößerung Zeichen und Schrift ausmachen – nämlich die Buchstaben Y CAI. Numismatiker waren in der Lage, sie einer Münze zuzuordnen, die zwischen 29 und 32 n.Chr. von Pontius Pilatus, dem Statthalter von Judäa, geprägt wurde. Ihre griechische Aufschrift lautete TibepioY KAIcapos (Tiberiou Kaisaros). Doch es gab auch Fehlprägungen zu Anfang dieser Serie. Auf ihnen war das Kaisaros versehentlich (wie Caesar) mit C geschrieben – Caisaros! Von diesen Münzen sind heute nur drei Exemplare bekannt. Sie entsprechen exakt dem Abdruck auf dem Grabtuch.
Das war eine eindeutige, präzise Datierung. Doch eine Datierung mit der Radiokarbondatierung kam zu einem anderen Ergebnis. Dafür hatte man drei Fragmente vom Rand des Grabtuchs abgetrennt und sie an Labors in Arizona/USA, Zürich und Oxford geschickt. Das Ergebnis: Ihr Leinen sei angeblich erst zwischen 1260 und 1390 n.Chr. entstanden. Das war ein Schock für die Fachwelt.
Wie läßt sich der Widerspruch erklären: Der Chemiker Prof. Ray Rogers von den Los Alamos National Laboratories und der University of California ist überzeugt, dass der Rand, von dem die Proben entnommen wurde, später angenäht oder ausgebessert worden ist. Tatsächlich enthält er, anders als der Rest des Grableinens, auch Baumwollfäden. Zudem weist er einen Vanillingehalt von 37 % auf, während dieser beim restlichen Leinen unter 5 % liegt – übrigens der gleiche Vanillingehalt, wie er ihn bei Leinenbinden feststellte, mit denen die Schriftrollen vom Toten Meer umhüllt waren, die aus dem 1. Jh. stammen. Danach wäre das Grabtuch doch ca. 2000 Jahre alt.
Doch auch ein anderer Faktor kann zur Fehldatierung geführt haben – Kontamination. So versagte die C14-Methode schon bei der Datierung von Leinenbinden ägyptischer Mumien, die bis zu 1700 Jahre jünger datiert wurden als die Leichen selbst. Der Mikrobiologe Prof. Garza Valdez stellte fest, dass ein bioplastischer „Mantel“ aus Bakterienresten der Grund dafür ist. Eine solche „bioplastische Beschichtung“ stellte er auch beim Grabtuch fest.
Doch seit wann ist das Grabtuch historisch bezeugt? Unbestritten seit 1355, als in Lirey/Champagne der Ritter Geoffroy de Cherny seine Hochzeit mit Jeanne de Vergy feierte und diese bleierne Pilgermedaille, man fand sie in der Seine, geprägt wurde – sie zeigt die beiden Wappen sowie das Grabtuch, eindeutig mit seinem Fischgrätmuster, dem beidseitigen Körperbild, ja sogar der Blutspur.
Doch wie kam das Grabtuch nach Lirey? Sicher ist: Seit 1206 wurde in Besancon/Burgund ein „Grabtuch Christi“ verehrt, das der Graf Othon de la Roche vom 4. Kreuzzug 1204 aus Konstantinopel mitgebracht hat. Es wurde in seiner Burg Ray-sur-Saone in einer hölzernen Truhe verwahrt – und einmal im Jahr, am Karfreitag, in der Kathedrale zur Verehrung gezeigt. 1349 brach dort ein Feuer aus. Zuerst hieß es, das Grabtuch sei dabei zerstört worden. Dann soll es 1377 in einer Nische wiedergefunden worden sein. Doch was man fortan in Besancon zeigte, sah aus wie eine schlechte Kopie der Vorderseite des „Turiner“ Grabtuchs. War es ein Ersatz für ein verlorengegangenes Original? Tatsächlich war Jeanne de Vergy eine direkte Nachkommin Othons. Der Erzbischof von Besancon war ihr Onkel. Hat sie es nach Lirey gebracht?
Tatsächlich spricht alles dafür, dass das Turiner Grabtuch einmal in Konstantinopel war, dessen wichtigste Reliquien im 4. Kreuzzug gestohlen und nach Westeuropa gebracht worden waren.
So prägten die Kaiser des oströmischen Reiches, dessen Hauptstadt Konstantinopel war, seit 944 ein geheimnisvolles Christusbild auf ihre Münzen, das ziemlich deutlich an das Grabtuchabbild erinnert. In den Reliquiensammlungen der Kaiser wird ausdrücklich das Grabtuch Jesu, das Sindon, genannt, das „den konturlosen, mit Myrrhe gesalbten, nackten Körper nach der Passion umhüllte“, wie es in einer Beschreibung heißt.
1150 besuchte eine ungarische Delegation Konstantinopel. Ihr wurde die Reliquiensammlung der byzantinischen Kaiser gezeigt. Nach ihrer Rückkehr illustrierte ein Kleriker, der ihr angehört hatte, den Codex Pray, das älteste Evangeliar in ungarischer Sprache mit Bildern von der Grablegung Jesu und von der Auffindung des leeren Grabes. Der Leichnam hat exakt die Pose des Mannes auf dem Grabtuch. Und das aufgefundene Leinentuch weist nicht nur ein Fischgrätmuster auf, sondern auch die viermal vier Brandlöcher, die wir noch heute auf dem Grabtuch finden!
971 besuchte der Kölner Erzbischof Gero Konstantinopel, um eine Braut für den Sohn Ottos I. zu finden. Auch er sah das Grabtuch, ließ den Abdruck vermessen und, wieder daheim, ein Kruzifix anfertigen, das heute im Kölner Dom hängt. Es stimmt in allen Dimensionen exakt mit dem Grabtuchabdruck überein.
Wie aber kam das Grabtuch nach Konstantinopel? Auch das halten die byzantinischen Chroniken fest. Es stammt aus der Stadt Edessa, dem heutigen Sanli Urfa, in Ostanatolien. 944 wurde sie von den Truppen des Kaisers belagert, bis ihre Bewohner die kostbare Reliquie herausgaben. Dieses Bild zeigt, wie der Feldherr das „wahrheitsgetreue Abdruckbild“ dem Kaiser übergibt. Das Tuch muss um die vier Meter lang gewesen sein. Gegen Mitte hin ist das Antlitz Christi zu sehen, das der Kaiser mit einem Kuss verehrt. Damit entsprach es exakt dem Grabtuch.
In Edessa erzählte man, das geheimnisvolle Christusbild sei zur Zeit des Königs Abgar, eines Zeitgenossen Jesu, in die Stadt gekommen. Es wurde auch als Mandylion (Handtuch) oder Tetradiplon (doppelt vierfach gefaltetes Tuch) bezeichnet. Wir finden es, so gefaltet, auf zahlreichen Ikonen und Fresken, etwa in den Höhlenkirchen von Kappadozien. Faltet man das Grabtuch doppelt und dann vierfach, ergibt sich eben dieses Bild.
Die früheste Ikone des Mandylions befindet sich heute im Vatikan. Kunstgeschichtler datieren sie in das 3. Jahrhundert. Diente das Grabtuchabbild ihr als Vorbild?
Tatsächlich entspricht der Weg des Grabtuchs, wie wir ihn rekonstruieren konnten, dem Befund der Pollen. Wie gesagt: Die Pollen stammen auch aus der Region um Konstantinopel, der Region um Edessa und der Region um Jerusalem!
Doch es gibt noch einen eindeutigeren Beweis dafür, dass die C14-Datierung falsch sein muss. Denn es gibt eine Komplementärreliquie, deren Geschichte bestens dokumentiert ist. Sie befindet sich seit dem 8. Jh. in der Kathedrale von Oviedo im Norden Spaniens und wird dort dreimal im Jahr den Gläubigen gezeigt.
Bis ins 7. Jahrhundert befand sie sich in dem Höhlenkloster des hl. Gerassimos am Jordan, wo sie erstmals ein Pilger um 570 erwähnt. Als 614 die Perser ins Heilige Land einfielen, wurde sie, zusammen mit anderen Reliquien, zunächst nach Alexandria gebracht, dann, als die Perser weiter nach Ägypten vorstießen, auf dem Seeweg nach Spanien. Dort wurde die Reliquie zunächst in Sevilla und Toledo verehrt. Erst als 712 die muslimischen Mauren in Spanien einfielen, brachte man sie in den Norden, wo sich der christliche Widerstand sammelte; zunächst auf den Monsacro, dann, als Alfonso II. seine neue Hauptstadt gründete, nach Oviedo. Seit 812 wird sie in der Camara Santa, der Reliquienkapelle der Kathedrale von Oviedo, verwahrt.
Auch diese Reliquie, das sogenannte Sudarium oder Bluttuch von Oviedo, wurde von Wissenschaftlern gründlich untersucht. Wie beim Grabtuch, so fanden sie auch hier wieder Pollen aus dem Heiligen Land – von den gleichen Pflanzen wie auf dem Turiner Grabtuch, speziell Gundelia tournefortii.
Wie auf dem Grabtuch, so fanden sie auch hier Spuren von Aloe und Myrrhe, die beide im Johannes-Evangelium ausdrücklich erwähnt werden.
Das Sudarium von Oviedo ist nichts anderes als der Abdruck eines blutüberströmten Gesichtes auf einem etwa in der Mitte gefalteten und einst zusammengeknoteten Tuch. Es ist das Sudarium, das Johannes im Evangelium erwähnt: „Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.“ (Joh 20, 6-7). Das Blut konnte von Medizinern identifiziert werden. Es handelt sich um das Blut eines Menschen der Blutgruppe AB – genau wie beim Grabtuch. Vor allem aber: Form, Größe und Position der Wunden ist auf beiden Tüchern die gleiche …
… wie sich speziell dort zeigt, wo sich der Hinterkopf abgebildet hat. In beiden Fällen trug der Mann, dessen Abdruck wir haben, die Haare lang, am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Diese kleinen, intensiven Blutflecken stammen von Stichwunden, hervorgerufen wohl durch die Dornenkrone; sie sind absolut deckungsgleich auf beiden Tüchern.
Ein spanischer forensischer Künstler, Prof. Minarro von der Universität Sevilla, hat das Gesicht des Toten auf dem Grabtuch minutiös rekonstruiert, um es dann mit dem Blutabdruck auf dem Sudarium zu vergleichen – sie sind absolut deckungsgleich. Stirnhöhe, Nasenlänge, Position der Augen, der Haare, des Kinns, des Bartes stimmen absolut überein. Kein Zweifel: Das Sudarium umhüllte den Kopf des Menschen, der später in das Grabtuch gelegt wurde. Da das Sudarium seit dem 6. Jahrhundert nachgewiesen ist, kann das Grabtuch nicht aus dem 14. Jahrhundert stammen. Sie müssen beide gleichzeitig entstanden sein – VOR dem 6. Jahrhundert. Die Tradition, die Geschichte der beiden Reliquien, aber auch die Münzabdrücke auf dem Grabtuch verraten uns den Zeitpunkt: Um 30 n. Chr.; die Pollen erlauben uns, die Monat und den Ort zu bestimmen: Das Gebiet um Jerusalem im März oder April, rund um das Paschafest der Juden!
Zu diesem Zeitpunkt, ja in der gesamten Geschichte, wurde nur ein einziger Mann mit Dornen gekrönt, bevor er gekreuzigt und begraben wurde: Jesus von Nazareth!
Erlauben wir uns also, den Befund auf den beiden Tüchern mit der Passionsgeschichte zu vergleichen, wie sie uns die Evangelien überliefern.
Zuerst erwähnen die Evangelisten die Geißelung Jesu. Die Geißelung war stets die Vorstufe zur Kreuzigung, aber wurde, um den Verurteilten nicht zu sehr zu schwächen, auf sieben Schläge reduziert. Im Fall Jesu war das anders. Pilatus wollte ihn gründlich züchtigen und dann freilassen. Weil die Römer in Judäa die Gesetze der Juden respektierten war die Strafe, wie es die Torah vorschreibt, auf „vierzig weniger einen“, also auf 39 Schläge reduziert. Diese allerdings mit der dreischwänzigen römischen Geißelpeitsche, dem flagrum, an dessen Ende Bleihanteln befestigt waren. Umso größer war das Erstaunen, als der römische Grabtuchforscher Msgr. Ricci genau 117 Geißelungswunden – 117 ist drei mal 39! -, jede in Form einer kleinen Hantel, auf dem Rücken, an den Hüften und Oberschenkeln des Mannes auf dem Grabtuch zählte. Bei der Geißelung wurde der Verurteilte an eine niedrige Säule gebunden und von zwei Liktoren aus zwei Richtungen auf ihn eingeschlagen.
Gegeißelt wurden viele Juden, mit Dornen gekrönt, wie gesagt, nur einer: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Dabei dürfen wir uns nicht den Dornenkranz der christlichen Ikonografie vorstellen. Kronen im Orient waren immer Hauben. Es war also eine Dornenhaube – Dornengestrüpp, mit einem Binsenreif an das Haupt gedrückt. Der Binsenreif ist noch erhalten – in der Kathedrale Notre Dame in Paris. Entsprechend platziert sind die Stichwunden auf dem Grabtuchabbild.
Noch ein Fehler der Ikonographie: Auf allen Kreuzwegdarstellungen und in allen Hollywoodfilmen trägt Jesus das ganze Kreuz. Das hätte aber um die 120 kg gewogen, viel zu schwer für einen ohnehin von der Geißelung geschwächten Mann. Tatsächlich aber trugen die Verurteilten nur das etwa 40 kg schwere Patibulum, den Querbalken, zur Hinrichtungsstätte, wo bereits der Pfahl, der Stipes, stand. So finden wir tatsächlich in der Rückenregion Abdrücke des Querbalkens. Der Überlieferung nach fiel Jesus drei Mal. Das Grabtuchbild bestätigt dies, zeigt Verletzungen von drei Fällen. Bei einem wurde sogar die Nase angebrochen.
Bei einer gewöhnlichen Kreuzigung wurde der an das Patibulum gebundene Verurteilte wie ein Schiffssegel an seinem Mast an dem Pfahl, dem stipes, hochgezogen, bevor man seine Füße zusammendrückte und an den Pfahl schlug oder band. Bei Jesus war das anders. Man hatte ihn auf dem Weg nach Golgota losgebunden, damit Joseph von Arimathäa das Patibulum für ihn tragen konnte. So schlug man ihn mit Nägeln an den Querbalken – die unvorstellbar schmerzhaftere Variante. Die Nägel durchbohrten nicht, wie in der gesamten Ikonographie, die Handteller, sondern die Handwurzel, wo es eine Spalte gibt, die stark genug ist um den Körper zu halten. Genau so sieht man es auf dem Grabtuch. Dabei wurde, was unglaubliche Schmerzen verursachte, der Meridiannerv verletzt, krümmte sich der Daumen automatisch nach innen – wie auf dem Grabtuchabbild, wo von der Hand nur vier Finger zu sehen sind. Nur an den Nägeln hängend wurde der Verurteilte an dem Balken hochgezogen. Das waren Minuten wahnsinniger Schmerzen. Danach wurden die Füße an den Pfahl geschlagen. Die nächsten Stunden über hatte der Gekreuzigte nur die Wahl, an den Handgelenken zu hängen oder sich auf den Nagel, der die Füße durchbohrte, aufzustützen. Das war, als ob aller Schmerz der Welt in diesen Stunden kulminierte. Nie zuvor und nie wieder haben sich Menschen eine so grausame, brutale, schmerzhafte Tortur ausgedacht wie die Kreuzigung. Durch das physische Trauma wurde der Kreislauf extrem geschwächt, sammelte sich Wasser in der Lunge, was schließlich zum Tod führte.
Der Tod wurde festgestellt mit dem Lanzenstich. Der Hinweis des Johannes, dabei seien „Blut und Wasser“ aus der Seite ausgetreten, wurde lange für Theologie gehalten – für einen Bezug auf die Eucharistie. Dabei ist er medizinisch präzise. Folgt man dem Winkel der Seitenwunde auf dem Grabtuch, so durchstieß die Lanze die Lunge, um den Herzvorhof zu erreichen. Dabei trat Blut in die Lunge ein, vermischte sich mit der Lungenflüssigkeit und trat, der herausgezogenen Lanze folgend, aus der Seitenwunde aus – Blut und Wasser! Beides, Blut und seröse Flüssigkeit, finden wir auf dem Grabtuch. Die Wunde schloss sich schnell wieder. Das Blut des Herzvorhofes aber sickerte weiterhin in die Lunge.
Seine Jünger durften Jesus vom Kreuz abnehmen und bestatten. Dass Gekreuzigte in Judäa – und nur dort – bestattet werden durften, beweist das Grab eines gekreuzigten Juden, das Archäologen in Givat ha-Mivtar im Norden von Jerusalem fanden. Auf dem Grabtuchabdruck sehen wir Fingerabdrücke, die die Blutspur auf den Fußsohlen unterbrechen. Sie stammen von den Trägern des Leichnams.
Jetzt kommt das Oviedo-Tuch wieder ins Spiel. Es war dem Toten am Kreuz umgelegt worden, weil es im Judentum Pflicht war, das Antlitz eines Toten zu verhüllen. Man knotete es zu einer Kapuze zusammen, als man den Körper ins Grab trug. Dabei muss es bergab gegangen sein, den Kopf voraus, als sich das blutgetränkte Wasser aus der Lunge durch die Nase in das Tuch ergoß. Schmale Frauenfinger hinterließen mehrere Abdrücke, die von dem Versuch zeugen, die Nase zuzudrücken und die Blutung zu stoppen.
Doch nachdem wir erklärt haben, wie die Blutflecken auf dem Grabtuch entstanden, bleibt die alles entscheidende Frage: Wie entstand das schattenhafte Körperabbild. Der italienische Chemiker Garlaschelli, ein erklärter Agnostiker, behauptete unlängst, das Grabtuch dupliziert zu haben. Er rieb ein Tuch, das über einem menschlichen Körper lag, mit einer säurehaltigen, rötlichen Farbpaste ein. Für den Gesichtsabdruck verwendete er eine Maske. Dann erhitzte er das Tuch in einem Ofen und wusch die Farbspuren aus. Heraus kam dieses seltsame Bild, das nur wie eine plumpe Kopie des Grabtuchs wirkt.
Sicher ist: Das Grabtuch ist kein Gemälde. Sein Körperbild muss nach den Blutflecken entstanden sein, denn er setzt sich nicht unter dem Blut fort. Jeder Maler aber hätte zuerst den Corpus gemalt, dann die Blutflecken hinzugefügt. Tatsächlich sind einige der größten Künstler, darunter Albrecht Dürer, schon daran gescheitert, das Grabtuch wiederzugeben, da sie seinen Negativeffekt einfach nicht verstanden.
Es ist auch kein Abdruck. Wäre es durch Körperflüssigkeiten oder Säuren entstanden, wäre das Abbild verzerrt – wie diese Abdruckbilder zeigen.
Die Wissenschaftler des STURP-Projektes, die das Grabtuch minutiös untersuchten, stellten fest: Das Körperbild ist hauchdünn. Es existiert nur auf einer haarfeinen Schicht der obersten Fasern des Leinengewebes. Es ist das Produkt einer starken Vergilbung und Ausdörrung der Fasern. Es muss kurzfristig durch eine starke Strahlung entstanden sein. Tatsächlich berichten die Jünger, wie der Körper Jesu zu strahlen begann – nämlich im Moment der Verklärung auf dem Berg Tabor. „Sein Antlitz strahlte wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht“, heißt es bei Matthäus (17,2). Geschah ähnliches im Moment der Auferstehung?
Eine Reihe von Wissenschaftler, darunter Prof. John Jackson, Prof. Fanti, Prof. Lindner aus Karlsruhe, sind überzeugt: Das Bild muss entstanden sein, als das Tuch durch den Körper hindurchfiel, während dieser sich in Energie umwandelte und Strahlung abgab. So phantastisch das klingen mag, es erklärt perfekt den Befund: Dass die Vorderseite dreidimensionale Informationen beinhaltet, während das Rückenbild flach wirkt. Dass es keine Verzerrungen gibt. Dass sich Münzen „aufluden“ und ihren Abdruck in das Tuch brannten. Dass, wie bei einem Röntgenbild, die Fingerknochen durch den Handteller hindurch sichtbar sind. Und dass die Evangelien beschreiben, wie Jesus nach seiner Auferstehung sogar durch verschlossene Türen eintreten konnte.
Das aber hieße: Das Grabtuch ist der beste Beweis für die physische Realität der Auferstehung. Es illustriert das Geheimnis unseres Glaubens: „Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir und Deine Auferstehung preisen wir…“
Prof. Minarro, forensischer Künstler der Universität Sevilla, rekonstruierte das Gesicht des „Mannes auf dem Grabtuch“. Indem der alle Spuren der Misshandlung reduzierte, zeigte er aber auch, wie er vor der Passion ausgesehen hat.
Sah so also Jesus aus? Tatsächlich gleicht die Büste, die Prof. Minarro rekonstruierte, wie ein Zwilling den frühesten Jesusdarstellungen der christlichen Ikonographie, etwa diesem Fresko aus der römischen Katakombe S. Pietro e Marcellino. Daher können wir sehr wohl gemeinsam mit den Jüngern sagen: „Es ist der Herr!“ (Joh 21,7)
So erlaubte ich mir, das Minarro-Bild in einer Audienz dem Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., zu übergeben, der selbst am 2. Mai 2010 nach Turin gepilgert war und dort so tief über das menschliche Antlitz Gottes kontemplierte:
„Dies ist das Geheimnis des Karsamstags: Genau von dort, in der Dunkelheit des Todes des Sohnes Gottes, kommt das Licht einer neuen Hoffnung, das Licht der Auferstehung. Und mir scheint, dass wir bei der Betrachtung dieses heiligen Leinens mit den Augen des Glaubens etwas von diesem Licht erheischen.“
Ja, es ist ein Bild aus Licht, meine Damen und Herren, ein Bild, das uns die Frohbotschaft des Osterfestes verkündet, das jenseits der Fastenzeit dämmert. Um es mit dem alten Ostergruß der Ostkirchen zu sagen: Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaft auferstanden, Alleluja! Das ist die Botschaft, das ist das wahre Geheimnis des Turiner Grabtuchs.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Gott segne Sie und schenke Ihnen österliche Freude!
Das Bluttuch Christi
Wissenschaftler auf den Spuren der Auferstehung
von Michael Hesemann
316 Seiten; m. SW-Abb. im Text, 16 Farbtaf.;
2010 Herbig
ISBN 978-3-7766-2632-2
20.60 EUR