Anläßlich der neuesten Umfragewerte für die AfD ist mir ein zwei Jahre alter Artikel des großartigen Jan Fleischhauer vom SPIEGEL anläßlich der Landtagswahlen in BaWü und RLP 2016 wieder untergekommen, dem man aus heutiger Sicht geradezu hellseherische Fähigkeiten attestieren muß:
So verstiegen sich die üblichen Verdächtigen, die immer dann gerufen werden, wenn es um existenzielle Fragen der Republik geht, zu Lobeshymnen über Merkel und bescheinigten ihr beispielsweise in irrealer Phantasiererei, "die Schwäche zur Stärke" gemacht zu haben.
Fleischhauer sieht sich wie folgt genötigt, zu antworten:
"So sehen heute also Kanzlersiege aus: fast 13 Prozent für die AfD in Rheinland-Pfalz, 15 Prozent in Baden-Württemberg, 24 Prozent in Sachsen-Anhalt. Die CDU im Gegenzug in ihrem Kernland Baden-Württemberg auf die Größe der Meckifrisur ihres Spitzenkandidaten gestutzt; die SPD, die treu zur Fahne stand, in zwei Bundesländern auf das Niveau einer Protestpartei geschrumpft."ein kleiner Seitenhieb soll der Erheiterung dienen:
"Offenbar ist der Gebrauch von Crystal Meth unter Leuten, die sich hauptberuflich mit Politik befassen, weiter verbreitet, als man dachte. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählt eine verschobene Wirklichkeitswahrnehmung."
Und nun ernsthaft:
"Am Anfang nimmt man den Aufsteiger nicht ernst. Zu laut, zu schrill, lautet das Urteil der Experten. Als nächstes stellt man irritiert fest, dass der Außenseiter trotzdem seinen Weg macht und wider Erwarten in allen Umfragen zulegt. Also tröstet man sich mit dem Befund, dass die Wähler schon dahinter kommen werden, was für eine Luftnummer ihnen geboten wird. Wenn die Luftnummer haushoch gewinnt, tritt die Phase der Beruhigung durch Selbstbeschwörung ein. In der Ruhe liegt die Kraft. Die eigene Schwäche ist eigentlich eine Stärke."Doch dann, man hat es auch anders versucht:
"Den deutschen Journalismus trifft keine Schuld. Meine Kollegen haben alles in ihrer Macht stehende unternommen, um die Menschen davon abzuhalten, AfD zu wählen. Sie haben die Wähler ermahnt, sich nicht mit den falschen Leuten einzulassen. Sie haben ihnen gedroht, dass man sie für Nazis halten würde, wenn sie es doch täten."Selbst folgender Hinweis fand kein Gehör und fruchtete nicht:
"Kaum ein Satz ist in den vergangenen Wochen so oft gefallen, wie der, man müsse die AfD entzaubern beziehungsweise entlarven. Viele hegen die Hoffnung, dass es unter der Oberfläche eine andere Wirklichkeit gäbe, die man dem Wähler nur zeigen müsse, damit er sich erschrocken abwendet."Wir wissen heute, dass diese Erkenntnis dem Wähler keinen Respekt abnötigte. Im Gegenteil, es wurden seitdem immer mehr, die ihr Kreuzchen bei der AfD machten.
Fleischhauer nannte auch den einfachen und wahren Grund für den Erfolg der AfD:
"Dass trotzdem auch ganz normal wirkende Menschen die Partei wählen, hat einen einfachen Grund: Eine Mehrheit der Deutschen ist mit der Flüchtlingspolitik der Regierung unzufrieden, aber das findet sich im Parlament nicht wieder."
Und zu allerletzt öffnet er sein Nähkästchen und läßt den geneigten Leser an einer ebenso einfachen wie klaren Analyse teilhaben:
"Stigmatisierung ist eine legitime politische Strategie, um sich politischer Konkurrenz zu erwehren. Seit Sonntag wissen wir, dass diese Strategie gescheitert ist. Die AfD geht nicht weg, wenn man mit dem Wort rechts oder rechtspopulistisch herumfuchtelt oder ihre Wähler zu Versagern erklärt, die nicht begriffen haben, wie die Sache läuft."
Wie recht er doch damit hatte, jedes Wort kann man damals wie heute auf die Goldwaage legen.
aus:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/landtagswahlen-2016-die-afd-und-der-trump-effekt-kolumne-a-1082379.html