Nordkorea-Konflikt
01.04.2013 um 11:18
Der Ussuri-Moment - Setzt Kim auf die Methode Mao?
Kim Jong-un sagt einem amerikanischen Basketballspieler, Barack Obama möge doch mal anrufen. Anschließend lässt er nachts um halb eins seine Generäle zusammentrommeln und Raketen gegen Amerika startklar machen, die er womöglich gar nicht hat. Dann wieder droht er "mitleidlose Gegenschläge" ausdrücklich auch "anderen feindlich gesinnten Ländern" an. Kim Jong-un benimmt sich scheinbar komplett verrückt, aber in seinem Toben wird Shakespeares Wahrheit erkennbar: Ist's Tollheit, hat es doch Methode. Denn was er hier entfaltet, kann sein Ussuri-Moment sein.
Am russisch-chinesischen Grenzfluss Ussuri inszenierte der weltpolitisch völlig isolierte, fanatisch nationalistische Mao Tse-tung 1969 einen kleinen Krieg. Er spielte gezielt mit dem Feuer, obwohl er Moskau militärisch hoffnungslos unterlegen war. Maos Kalkül ging auf. Wegen des Kriegsgeschreis am Ussuri erschienen erst Moskaus Premier Kossygin und danach US-Präsident Nixon in Peking – Kossygin, weil Moskau einen Zweifrontenkonflikt nicht brauchen konnte, und Nixon, weil er genau diese Chance sah, Russland an zwei Fronten zu beschäftigen.
Amerikanische Überlegungen, Chinas junge Atomrüstung präventiv auszuschalten, kamen endgültig zum Erliegen. Stattdessen gewann Mao die USA als Verbündeten. Pjöngjang kann durchaus glauben, dass China sich dank der mutwillig angezettelten Provokation aus der Isolation befreite. Hat Kim Jong-un beschlossen, den Dialog mit Barack Obama auf ähnliche Weise zu erzwingen wie Mao?
Schlechte Nachrichten für Kim aus den USA
Für ein Fenster der Gelegenheit könnte er Gründe sehen. Denn seit November dringen aus Washington zum Thema Asien Töne über den Pazifik, die für Kim nichts Gutes verheißen, wenn er jetzt nichts unternimmt.
Eine Ponton-Brücke verbindet den Ort Osinowaja Retschka mit der Großen Ussuri-Insel im Chabarowsk-Territorium in Russland, aufgenommen im Oktober 2004. Die Regierungschefs von Russland und China haben sich im Jahr 2004 auf eine Lösung im Jahrzehnte andauernden Grenzkonflikt verständigt. Hintergrund ist ein Streit um die im 19. Jahrhundert vom zaristischen Russland besetzte Damanski-Insel (im chinesischen Tschen Pao) im Grenzfluss Ussuri. 1969 kam es an der Grenze zu mehrtägigen Feuergefechten mit Toten und Verletzten
Raketenbereitschaft
"Kriegszustand" – Nordkorea provoziert weiter
Nordkorea
Demonstrative Begeisterung für Kriegsvorbereitung
Barack Obamas Nationaler Sicherheitsberater Tom Donilon hat im November und im März zwei Reden zur amerikanischen "Neuausrichtung nach Asien"gehalten. Für Kim Jong-un am wichtigsten war, was er zumal in der ersten Rede nicht las: nämlich die Feststellung, dass neben Südkorea auch Nordkorea ein Dialogpartner der USA sein könne.
Nordkorea kam überhaupt nur zwei Mal vor – als Objekt chinesisch-amerikanischer Zwangsmaßnahmen. Stattdessen präzisierte Donilon, die Neuausrichtung der US-Politik betreffe hauptsächlich "die Anerkennung der wachsenden Bedeutung Südostasiens". Zu Nordkorea hieß es in der zweiten Rede lediglich, Amerika werde Kims Atomwaffen nicht hinnehmen und zu diesem Zweck eng mit China kooperieren.
Kontakte zu Pjöngjang könne es nur geben, wenn es sich wie Birma verhalte. In Birma hat die Junta das Thema Atomwaffen beerdigt und de facto selber abgedankt. Auf die Idee wird Kim nicht kommen. Schon deshalb nicht, weil Donilon ziemlich unverhüllt andeutete, Amerika werde im Pazifik militärisch aufrüsten und Verbündete gegen China sammeln. Nur eben in Nordkorea nicht.
Startschuss zu neuem Wettlauf im Westpazifik
Wie klangen diese Sätze für ein fanatisch nationalistisches Regime, das die Unabhängigkeit eines geeinten Koreas zum ideologischen Leitstern erhoben hat? Sie klangen wie die Ankündigung einer Geiselnahme und des Aufbruchs auf einen Irrweg. Sie klangen wie Amerikas Angebot an Peking, eine Interessensphäre quer durch Korea abzustecken und nach der allfälligen Entwaffnung Pjöngjangs China dort freie Hand zu geben, statt Nordkorea als potenzielles Druckmittel gegen China zu gewinnen. Vor allem aber klangen die Reden wie der Startschuss zu einem neuen Wettlauf um die Macht im Westpazifik, und mit solchen Wettläufen hat Korea seine Erfahrungen gemacht.
Das Regime in Pjöngjang ist auf paranoide Weise geschichtsbesessen, weil es jenseits des Personenkults ein gutes historisches Gedächtnis hat. Dieses verrückte Regime pflegt hingebungsvoll jedes nur auffindbare koreanische Kaisergrab, noch mehr aber die Erinnerung an die vergangenen 130 Jahre. Vier Mal in diesem Zeitraum haben Großmächte auf koreanischem Boden oder an seinen Küsten um die Vorherrschaft im Westpazifik gerungen – zuerst Japan 1894 mit China, dann 1905 Japan mit Russland, danach 1945 die USA mit Russland und seit 1950 die USA mit China.
Sicher hat Kim Il-sung 1950 den Krieg selber vom Zaun gebrochen – aber das war in seinen Augen der Versuch, Korea rasch zu einigen und aus der weltpolitischen Schusslinie zu nehmen, bevor eine komplizierte Großmachtbalance die Teilung verewigen würde. Der Vietnamkrieg war in solchen Augen die Fortsetzung einer amerikanisch-chinesischen Rivalität, die nun auf die koreanische Halbinsel zurückkehren und dort ihrem Höhepunkt zustreben könnte.
Nordkoreas Sinn für Waagschalen
Über den Ausgang macht der Norden sich mit Sicherheit keine Illusionen. China wird gewinnen. Das Riesenreich wird zu stark für Washington werden, und die USA werden klein beigeben wie 1975 in Vietnam. Anschließend wäre ganz Korea eine Quasi-Provinz Chinas – es sei denn, es wäre in der Lage, sich zu wehren, die Streithähne auf Abstand zu halten und sich Amerika als nukleares Waagschalengewicht anzuempfehlen.
Nach dem dritten Atomtest im Februar sagte Pjöngjang, das verblendete Seoul sei einfach zu dumm, um "den nationalen Schatz zu würdigen", den die Atomrüstung darstelle. Der Satz war ein Programm – so wie die Äußerungen vom Mai über die Geschichtslektion, dass kleine Staaten untergingen, wenn sie nicht rechtzeitig rüsteten. Wer annähme, das beziehe sich nur auf Syrien oder Libyen, würde Nordkoreas asiatischen Sinn für Waagschalen unterschätzen.
Der politische Beschluss zur Atomrüstung fiel 1962 nach der Kubakrise, als Moskau in Pjöngjangs Augen Fidel Castro im Stich ließ. Der Beschluss zur technischen Umsetzung fiel nach Amerikas Abzug aus Vietnam 1975 und Chinas Einmarsch dort vier Jahre später. Mit Kommunismus hat solche Sichtweise nichts zu tun. Die Herrscher in Pjöngjang denken wie antike chinesische Kriegsherren aus der Zeit der kämpfenden Reiche.
Für Kim ist Eile geboten
Die USA versuchen, Peking an die westliche Denkungsart multilateraler Sicherheit zu gewöhnen – ein Versuch, der aus Pjöngjangs Augen zum Scheitern verurteilt ist, vor allem wegen Chinas tief verwurzeltem Hegemonialdenken. Die amerikanisch-chinesische Konfrontation würde anschließend einen Dialog zwischen Washington und Pjöngjang unmöglich machen, denn China könnte darauf dann so empfindlich reagieren wie heute bei Taiwan.
China hat ein Crashprogramm zum Ausbau von Auto- und Eisenbahnen entlang der Grenze zu Nordkorea laufen, das durchaus militärische Bedeutung besitzt – und wenn das alles samt den geplanten chinesischen Flugzeugträgern erst einmal fertig ist, sitzt Pjöngjang politisch in der Falle.
Kim Jong-un ist noch jung, aber, so mag er denken: Am Westpazifik laufen die Uhren ab, Eile ist geboten. Es ist ein Unternehmen Größenwahn, brandgefährlich, rücksichtslos und tückisch, aber womöglich eines mit Methode.
Sehr interessant wenn es wirklich so wäre