Die Totenglocken des Islamismus
21.10.2004 um 08:27Der Syrer Sadik J. el Asm, einer der bekanntesten Philosophen des arabischen Raums, stellt in der aktuellen Ausgabe der "Boston Review" mehrere Thesen zum Stand der Beziehungen zwischen Westen und Islam auf.
Asms erste These: Samuel P. Huntington hatte mit seinem Postulat vom "Clash of civilizations" nicht Recht - trotz des 11. Septembers; trotz der Genugtuung, die viele Moslems neben der Bestürzung über den Verlust von Menschenleben damals empfanden.
Das letzte Aufbäumen
Asms zweite These: Terrorismus läutet das Ende seines ideologischen Vorfelds ein. Die deutsche RAF und die italienischen Roten Brigaden zeigten das Ende des Kommunismus an. Im Nukleus eines Terrorakts ist immer schon die Verzweiflung über den unumgänglichen Niedergang einer Idee enthalten. Dasselbe trifft auch auf den Islamismus zu.
Terrorismus ist demnach die letzte Konsequenz eines Systems, das keine rationale Möglichkeit auf Veränderung sieht. Terror kann ein System nie verändern, er ist nur ein sichtbares Aufflackern des Widerstandes, im Fall der Islamisten ein verzweifelter Aufschrei im Namen Gottes.
Kampf um "die Wahrheit"
Radikalen Islamisten geht es auch nicht um eine soziale Revolution. Die Terroristen sind zumeist gut ausgebildete junge Männer. Es geht ihnen vielmehr um Statements - um nicht weniger als "die Wahrheit" selbst. Die Slogans lauten: "Der Islam ist die Lösung" und "Der Islam ist die Antwort".
Revolution als Makulatur
Und dort, wo die "Revolution" vollzogen ist, wird sie zur Makulatur. Selbst in Saudi-Arabien regiert die reine Lehre nur theoretisch. Zwar gelten offiziell alle "Ungläubigen" als "Unglückliche". Längst werden das Land und seine Wirtschaft aber von diesen "Unglücklichen" gelenkt.
Die grundlegende Schwäche der Islamisten ist es, auch nach 200 Jahren immer noch an die langfristige Durchsetzbarkeit einer strengen islamischen Ordnung in einem System zu glauben.
Die Hamlets der Gegenwart
Asms dritte These: In ihrer Anfälligkeit für Ambivalenzen und kulturelle Schizophrenie sind die Araber die Hamlets der Gegenwart, gefangen zwischen göttlichem Grundsatz und menschlicher Lenkung, Authentizität und Verhaftetsein im Jetzt, zwischen Identität und Modernität.
Narzisstische Kränkung
Im Zentrum des zeitgenössischen islamistischen Denkens steht für Asm eine kollektive narzisstische Kränkung: Die Moselms wurden zu Objekten der Geschichte, während sie sich selbst jahrhundertelang als Subjekte, als Macher, als Führer sahen.
Unverrückbar ist weiterhin der Glaube, dass sich die "natürliche" Ordnung wiederherstellen wird, weil sie sich herstellen muss, weil die Gegner falsch liegen.
Durst nach Macht
Nationalarabische Denker, sowohl die Populisten als auch die intellektuellen Theoretiker, sehen nach Asm als Ziel nicht die arabische Einheit an. Das Ziel ist die (Wieder-)Erreichung der Gestaltungsmacht durch die arabische Einheit.
Es geht ihnen nicht um die Überwindung von westlichem Kolonialismus oder Imperialismus, sondern um das Übernehmen einer globalen Führungsrolle.
Die Ohnmacht, ein Komplex
Dieses Ziel gilt Asm als bestimmend für das Selbstverständnis der Araber. Ihre reale machtpolitische Impotenz kollidiert mit diesem Traum, führt zu massiven Minderwertigkeitskomplexen, Kompensationshandlungen, wildem Abenteurertum, politischer Rücksichtslosigkeit und in letzter Konsequenz zu globalem Terrorismus vom Ausmaß eines 11. September.
"Der traurige Araber"
Die moderne Welt ist machtvoll und effizient über die Araber gekommen - entworfen von Denkern in Europa, die keine Moslems zu Rate zogen. Der "traurige Araber", Asm, hat keine andere Chance, als zu warten, bis er wieder zu seinem Recht kommt; einziger Ausdruck seiner Verzweiflung: ein gelegentlicher Terrorakt.
Richtiges Leben in falscher Welt?
Die Ideale von Moderne, Liberalismus, Säkularismus, Demokratie, Menschenrechten, religiöser Toleranz und Meinungsfreiheit verhalten sich antithetisch zu den Grundwerten des Islam: Theokratie, Fundamentalismus, Totalitarismus, Sexismus, Absolutismus und Dogmatismus.
Vielen Moslems wird das praktisch täglich schmerzlich bewusst: Die Welt verändert sich in eine Richtung, mit der sie nichts anfangen können. Und eine Änderung der Machtverhältnisse ist dabei denkbar unwahrscheinlich. Die arabische Welt hat dem Westen militärisch und machtpolitisch nichts entgegenzusetzen.
Normale Interessenpolitik
Huntington greift mit seiner These zu kurz, so Asm, da er Zivilisation mit Kultur gleichsetzt und Kultur mit Religion. Die aktuellen Spannungen sind dagegen ein Produkt normaler historischer Entwicklungen, von Machtpolitik, internationalen Beziehungen und Interessen.
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Quelle: http://www.orf.at/041018-79620/index.html (Archiv-Version vom 22.10.2004)
Würde mich interessieren, was Ihr davon haltet? Kann der Terrorismus tatsächlich das Ende des Islam bedeuten?
Lg
Syrch
Asms erste These: Samuel P. Huntington hatte mit seinem Postulat vom "Clash of civilizations" nicht Recht - trotz des 11. Septembers; trotz der Genugtuung, die viele Moslems neben der Bestürzung über den Verlust von Menschenleben damals empfanden.
Das letzte Aufbäumen
Asms zweite These: Terrorismus läutet das Ende seines ideologischen Vorfelds ein. Die deutsche RAF und die italienischen Roten Brigaden zeigten das Ende des Kommunismus an. Im Nukleus eines Terrorakts ist immer schon die Verzweiflung über den unumgänglichen Niedergang einer Idee enthalten. Dasselbe trifft auch auf den Islamismus zu.
Terrorismus ist demnach die letzte Konsequenz eines Systems, das keine rationale Möglichkeit auf Veränderung sieht. Terror kann ein System nie verändern, er ist nur ein sichtbares Aufflackern des Widerstandes, im Fall der Islamisten ein verzweifelter Aufschrei im Namen Gottes.
Kampf um "die Wahrheit"
Radikalen Islamisten geht es auch nicht um eine soziale Revolution. Die Terroristen sind zumeist gut ausgebildete junge Männer. Es geht ihnen vielmehr um Statements - um nicht weniger als "die Wahrheit" selbst. Die Slogans lauten: "Der Islam ist die Lösung" und "Der Islam ist die Antwort".
Revolution als Makulatur
Und dort, wo die "Revolution" vollzogen ist, wird sie zur Makulatur. Selbst in Saudi-Arabien regiert die reine Lehre nur theoretisch. Zwar gelten offiziell alle "Ungläubigen" als "Unglückliche". Längst werden das Land und seine Wirtschaft aber von diesen "Unglücklichen" gelenkt.
Die grundlegende Schwäche der Islamisten ist es, auch nach 200 Jahren immer noch an die langfristige Durchsetzbarkeit einer strengen islamischen Ordnung in einem System zu glauben.
Die Hamlets der Gegenwart
Asms dritte These: In ihrer Anfälligkeit für Ambivalenzen und kulturelle Schizophrenie sind die Araber die Hamlets der Gegenwart, gefangen zwischen göttlichem Grundsatz und menschlicher Lenkung, Authentizität und Verhaftetsein im Jetzt, zwischen Identität und Modernität.
Narzisstische Kränkung
Im Zentrum des zeitgenössischen islamistischen Denkens steht für Asm eine kollektive narzisstische Kränkung: Die Moselms wurden zu Objekten der Geschichte, während sie sich selbst jahrhundertelang als Subjekte, als Macher, als Führer sahen.
Unverrückbar ist weiterhin der Glaube, dass sich die "natürliche" Ordnung wiederherstellen wird, weil sie sich herstellen muss, weil die Gegner falsch liegen.
Durst nach Macht
Nationalarabische Denker, sowohl die Populisten als auch die intellektuellen Theoretiker, sehen nach Asm als Ziel nicht die arabische Einheit an. Das Ziel ist die (Wieder-)Erreichung der Gestaltungsmacht durch die arabische Einheit.
Es geht ihnen nicht um die Überwindung von westlichem Kolonialismus oder Imperialismus, sondern um das Übernehmen einer globalen Führungsrolle.
Die Ohnmacht, ein Komplex
Dieses Ziel gilt Asm als bestimmend für das Selbstverständnis der Araber. Ihre reale machtpolitische Impotenz kollidiert mit diesem Traum, führt zu massiven Minderwertigkeitskomplexen, Kompensationshandlungen, wildem Abenteurertum, politischer Rücksichtslosigkeit und in letzter Konsequenz zu globalem Terrorismus vom Ausmaß eines 11. September.
"Der traurige Araber"
Die moderne Welt ist machtvoll und effizient über die Araber gekommen - entworfen von Denkern in Europa, die keine Moslems zu Rate zogen. Der "traurige Araber", Asm, hat keine andere Chance, als zu warten, bis er wieder zu seinem Recht kommt; einziger Ausdruck seiner Verzweiflung: ein gelegentlicher Terrorakt.
Richtiges Leben in falscher Welt?
Die Ideale von Moderne, Liberalismus, Säkularismus, Demokratie, Menschenrechten, religiöser Toleranz und Meinungsfreiheit verhalten sich antithetisch zu den Grundwerten des Islam: Theokratie, Fundamentalismus, Totalitarismus, Sexismus, Absolutismus und Dogmatismus.
Vielen Moslems wird das praktisch täglich schmerzlich bewusst: Die Welt verändert sich in eine Richtung, mit der sie nichts anfangen können. Und eine Änderung der Machtverhältnisse ist dabei denkbar unwahrscheinlich. Die arabische Welt hat dem Westen militärisch und machtpolitisch nichts entgegenzusetzen.
Normale Interessenpolitik
Huntington greift mit seiner These zu kurz, so Asm, da er Zivilisation mit Kultur gleichsetzt und Kultur mit Religion. Die aktuellen Spannungen sind dagegen ein Produkt normaler historischer Entwicklungen, von Machtpolitik, internationalen Beziehungen und Interessen.
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Quelle: http://www.orf.at/041018-79620/index.html (Archiv-Version vom 22.10.2004)
Würde mich interessieren, was Ihr davon haltet? Kann der Terrorismus tatsächlich das Ende des Islam bedeuten?
Lg
Syrch