Osama Bin Laden ist tot - politische Folgen
13.05.2011 um 21:25
Aus Spiegel Online:
Amerika feiert den Schlag gegen Osama Bin Laden als Erfolg. In Pakistan dagegen hält sich die Freude in Grenzen - weil Washington Islamabad nicht informiert hat über den geplanten Einsatz, weil die Pakistaner am Ende blamiert dastehen als diejenigen, die nichts wussten und den Qaida-Chef womöglich jahrelang unterstützt haben.
Der Fall Bin Laden wird Sicherheitsexperten, Journalisten, Wissenschaftler und Zeithistoriker noch eine Weile beschäftigen, denn es gibt eine Menge Ungereimtheiten: Warum haben die Menschen in Bin Ladens Haus die Hubschrauber nicht gehört? Weshalb gab es so wenig Gegenwehr, als der meistgesuchte Mensch der Welt von einem US-Kommando angegriffen wurde?
Klar ist, dass der Erfolg der USA die Beziehungen zum Anti-Terror-Partner Pakistan belastet. John Kerry, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, reist kommende Woche nach Islamabad, um einen "Dialog über die Folgen" der Kommandoaktion in der nordpakistanischen Stadt Abbottabad zu beginnen. Er wolle auch die Vermutung ansprechen, dass Bin Laden Unterstützer bei den pakistanischen Behörden hatte. Es sollten "alle Fakten auf den Tisch", heißt es aus seinem Umfeld.
Die pakistanische Militärakademie, eine Eliteschule für die angehenden Offiziere der Armee, befindet sich einige hundert Meter Luftlinie vom Haus Bin Ladens in Abbottabad, Stadtteil Bilal Town, entfernt. Weitere Kasernen liegen in der Nähe, weite Teile der Stadt sind ein Sicherheitsbereich und werden ständig kontrolliert. Wie kann es sein, fragen Kritiker aus dem Ausland und auch in Pakistan, dass die Streitkräfte nicht wussten, dass der meistgesuchte Terrorist der Welt mitten unter ihnen lebte?
Kaum zu glauben, dass das Militär so ahnungslos war. Und doch: Selbst viele westliche Beobachter denken, dass die Beteuerungen aus dem Armee-Hauptquartier in Rawalpindi, man habe keine Kenntnis von dem Wohnort Bin Ladens gehabt, wohl der Wahrheit entsprechen. Aus der Armee heißt es, es habe zwar mehrere Hinweise gegeben, dass der Qaida-Chef sich in Nordpakistan aufhalte, auch der Name Abbottabad sei gefallen, aber man habe nichts Genaues gewusst.
Gut eine Woche vor dem Zugriff auf Bin Laden waren in der Militärakademie in Abbottabad noch Kadetten verabschiedet worden, viele Diplomaten aus Islamabad waren dazu angereist. Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani erklärte den Gästen stolz, die pakistanischen Streitkräfte hätten "das Rückgrat der Militanten gebrochen". Peinlich, dass ausgerechnet am selben Ort eine Woche später Bin Laden erwischt wurde, und dann auch noch von US-Spezialkräften, ohne Wissen der Pakistaner.
"Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass die sonst übervorsichtige Armee uns hierher einlädt, wenn sie von Bin Ladens Wohnort oder gar von dem bevorstehenden Zugriff gewusst hätte", sagte ein Diplomat.
Es bleibt letztlich aber eine Glaubensfrage. Beweise, ob und wie viel die Armee wusste, gibt es bislang nicht. Der pakistanische Ex-Diplomat Zafar Hilaly schreibt: "Meine Vermutung ist, dass wir von Bin Ladens Versteck wussten (es wäre ein unglaublicher Fehler, wenn wir nicht davon wussten), aber wir entschieden uns, es geheim zu halten in der Hoffnung, Bin Laden zu einem späteren Zeitpunkt einzutauschen für Zugeständnisse von den USA, so wie wir es mit einigen von Osama Bin Ladens Stellvertretern (einschließlich Chalid Sheich Mohammed und al-Libi) gemacht haben."
Womöglich waren ISI-Leute aus dem ultrakonservativen Lager eingeweiht. Diese streng religiösen Vertreter hatten schon früher darauf gedrängt, Bin Laden im Auge zu behalten, aber nichts zu tun, das ihn gefährdet, da er für Pakistan "goldene Eier" lege: Solange Bin Laden nicht gefangen oder getötet werde, lautete die Überzeugung, würden die USA Pakistan großzügig als Anti-Terror-Partner unterstützen.