Iran expandiert und besetzt irakischen Boden
20.12.2009 um 08:18
Die iranische Jugend macht mobil, ein Land da sich selber rettet, wirklich beeindruckend
In Iran regiert der Umbruch
Bevölkerung wendet sich von Staat und Islam ab
von Carla Romagna
Unaufhaltsam hat sich Iran in den vergangenen sechs Monaten nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen verändert. Unter der Oberfläche brodelt es. Iraner wenden sich vom Staat und dem Islam ab. Die grüne Bewegung hat regen Zulauf.
Teheran im Winter nach den Protesten. Es liegt etwas in der Luft. Man kann es spüren. Schon kurz nach der Einreise macht es sich breit: Misstrauen hat das Land erfasst. Es legt sich über die sonst so gesprächigen Taxifahrer, die normalerweise immer fragen, woher man kommt, wie lange man bleibt, ob man zum ersten Mal in Iran ist. Auf die Frage, wie die Stimmung im Land ist, ein misstrauischer Blick, ein kurzes "wie immer".
Mutige tragen grünes Kopftuch
Doch wie immer ist nichts mehr in Iran seit dem Protestsommer. An den Häuserwänden auf der Vali Asr, dem Prachtboulevard Teherans, sind die Parolen der Oppositionellen eilig übermalt worden. Doch unsichtbar machen lässt sich die grüne Bewegung nicht: Mal blitzt ein grünes T-Shirt unter dem Mantel hervor, mal sind es grüne Schnürsenkel oder ein grüner Anhänger, der am Handy baumelt. Mutige tragen noch in diesen Tagen ein grünes Kopftuch. Zwar schaffen es nur die großen Unruhen wie am vergangenen Montag in die westlichen Medien, doch zu spontanen Demonstrationen kommt es wöchentlich.
Campusgelände der Teheraner Universität. Eine der vielen Spontan-Demos. "Tod Amerika" skandieren ein paar Regimetreue. "Tod dem Diktator! Tod Russland" ruft es hundertfach zurück. Eine offene Anspielung auf die rasche Anerkennung des umstrittenen Wahlergebnisses durch die russische Regierung. Am Rande der Proteste: Passanten, die die Demonstranten anfeuern. Es kommt zu einem Handgemenge mit der Polizei. Einem Studenten wird seine Videokamera abgenommen, er selbst wird abgeführt. Jeden fordert die Polizei fordert jeden auf, sofort weiterzugehen - auch uns.
"Traue niemandem"
Jetzt ein Foto zu machen, wäre lebensgefährlich. Innerhalb von Minuten ist ein riesiges Polizeiaufgebot angerückt. "Ohne Waffen haben wir gegen dieses Regime keine Chance", sagt uns einer. Die ersten Basidsch-Milizen auf ihren Motorrädern fahren vor. Bärtige Männer mit kalten Augen. Meist sind es Analphabeten aus armen Landstrichen des Iran, denen man Datteln und Chelo Kabab für umsonst versprochen hat, berichtet ein Student.
Die iranische Regierung lässt missliebige Internetseiten sperren.
Als die ersten Basidsch vorfahren, winken sich viele Passanten schnell ein Taxi ran, auch wir. Dort treffen wir Sheyda*. "Alle leben in ständiger Angst", erzählt die 28-Jährige. Sie war bei allen Demonstrationen im Sommer dabei. Was hat sich seitdem geändert? "Für uns nicht viel," meint sie. "Nur darfst du niemandem mehr trauen." Der iranische Geheimdienst hat die Zahl der Spitzel erhöht, erzählt man sich. Die Regierung hat das Volk aufgefordert, mehr "aufeinander aufzupassen" und Verdächtiges zu melden. Seit die iranischen Revolutionsgarden im Oktober 51 Prozent an der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft gekauft haben, spricht niemand mehr offen am Telefon. Zu groß ist die Angst, abgehört zu werden.
Muslime konvertieren heimlich
Regen Zulauf haben seit dem Protestsommer die christlichen Kirchen im Land, berichtet uns ein Priester hinter vorgehaltener Hand und nachdem wir ihm mehrmals versprechen, seinen Namen nicht zu verraten. Sonst - er fährt mit der Hand über seine Kehle. Denn dass seit den Unruhen dreimal so viele Muslime zum Christentum konvertieren, wissen auch die Sicherheitskräfte. Deshalb steht die orthodoxe Kirche unter Beobachtung. "Nicht nur die Konvertierten, auch die, die sich ihrer annehmen, riskieren ihr Leben", sagt er. Wer sich vom islamischen Glauben ab- und dem christlichen zuwendet, dem droht in Iran die Todesstrafe.
Kamran* ist seit zwei Monaten Christ und fürchtet seitdem um sein Leben. Doch die Entscheidung sei richtig gewesen: "Das, was die Regierung im Namen der Religion tut, hat nichts mehr mit dem Islam zu tun." Der 32-Jährige ist Taxifahrer und hofft als Christ auf Asyl in Norwegen. "Hier kann man als junger Mensch nicht frei leben", sagt er. Die 400 Euro im Monat reichen gerade so, um über die Runden zu kommen.
Iraner legen ihr Geld im Ausland an
Der Umsatz bei den Devisenhändlern ist seit dem Protestsommer dagegen rapide angestiegen. "Vielen ist die Situation hier zu unsicher geworden; sie wollen ihr Geld lieber im Ausland anlegen", erzählt uns ein Devisenhändler mit besten Kontakten zu Banken in Dubai, der seinen Namen nicht in einem Bericht lesen will. Denn seit Kurzem guckt der Geheimdienst einmal die Woche bei ihm vorbei und will wissen, wer wie viel Geld wohin überweist. "Aber die Überweisungsbelege vernichte ich immer sofort", sagt er stolz. Man hält zusammen.
Seit dem 12. Juni ist Iran ein anderes Land geworden: Die Regierung verliert ihre Basis in der Bevölkerung, immer mehr Iraner wenden sich vom muslimischen Glauben ab, die Oppositionsbewegung erhält mehr und mehr Zulauf. Sechs Monate nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen befindet sich Iran zwischen Apathie und Aufbruch, ist gespaltener als je zuvor.
*Namen von der Redaktion geändert
Quelle:www.heute.de