Hier ein Artikel.
Für die türkische Regierung ist das Flüchtlingslager Machmur im Irak eine Brutstätte des Terrorismus. Für die Bewohner ist es die Endstation einer Odyssee. Ein Ortstermin.Der Bürgerkrieg im Irak hat Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Doch jenseits der aktuellen Flüchtlingskatastrophen leben im irakischen Kurdistan seit Jahren noch 11 000 vergessene Flüchtlinge aus der Türkei. Fatima ist eine von ihnen. Die runzlige Alte hockt im Schneidersitz auf dem Boden ihrer windschiefen Lehmhütte und erzählt von ihrer Heimat. Die liegt nur ein paar Hundert Kilometer nördlich jenseits der Grenze in der südtürkischen Provinz Hakari. Dort lebte die heute 70-Jährige mit den beiden Söhnen, Schwiegertöchtern und Enkelkindern in einem kleinen Haus im ländlichen Flecken Rappen. Sie waren Kleinbauern, zogen ihre Tomaten, Gurken und Zwiebeln auf den Feldern und besaßen ein paar Ziegen, Schafe und Hühner.
1978 gründete Abdullah Öcalan in der Türkei die kurdische Arbeiterpartei PKK, um einen eigenen Kurdenstaat ins Leben zu rufen. Nur wenige Jahre später begann der bewaffnete Kampf. Fatimas Söhne waren jung und begeisterungsfähig und schlossen sich der Bewegung an. "Beide waren Kämpfer bei der PKK", erzählt Fatima stolz und zeigt auf ein Foto an der Wand, "beide fielen im Kampf für die Freiheit Kurdistans." Fortan erschütterten die Bombenanschläge der PKK die Türkei.
Anfang der 90er-Jahre schlug die Türkei zurück. Panzer rollten in die PKK-Hochburgen der Distrikte Hakari, Schirnak, Slopi und Guvari im Süden der Türkei. Die Soldaten stürmten von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf. PKK-Sympathisanten wurden verhaftet und verhört, Häuser geplündert und zerstört, ganze Orte abgefackelt. Viele Hundert Dörfer wurden in dieser ersten Welle zerstört, bis zum heutigen Tag sollen es mindestens 3500 sein. "30 000 Kurden flohen 1992 in den kurdischen Nordirak", sagt Fatima, deren Familie unter den Flüchtlingen war.
Wer konnte, hat sich abgesetzt11 000 davon leben noch immer in Camp Machmur. Das Lager liegt auf dem Land unweit der gleichnamigen Stadt auf halber Strecke zwischen Kirkuk und Mossul. Im Sommer klettern die Temperaturen auf 50 Grad, im Winter rutschen sie in den Minusbereich. Wer von den Flüchtlingen konnte, hat sich längst in sichere Drittländer abgesetzt. Obwohl die irakischen Kurden viel Verständnis für die Flüchtlinge im Lager haben, erhalten nur wenige die irakische Staatsbürgerschaft. Zwar verdienen einige der Männer als Tagelöhner ein paar Dollar in den Städten, doch zum Leben bleibt ihnen nur das Camp. Das hat inzwischen Dorfcharakter. Es gibt eine Schule, eine Krankenstation, ein Internetcafe und ein paar Krämerläden. Jeden Monat werden dort 20 Ehen geschlossen.
Der Türkei gilt Camp Machmur noch heute als Brutstätte des Terrorismus, in dem es vor Waffen und PKK-Kämpfern nur so wimmelt. Bei einer Razzia konnten irakische und amerikanische Soldaten diesen Verdacht nicht bestätigen. Außerhalb des Lagers hingegen wurde kürzlich ein Depot mit Mörsergranaten gefunden. "Es gibt keine Kämpfer im Lager", betont auch Beritan Hassan von der Lagervertretung immer wieder. "Alles nur türkische Propaganda", meint sie wegwerfend.
Flüchtlingslager als Rückzugsgebiet für die PKKDie auf bis zu 5000 Mann geschätzten Kämpfer haben sich längst in die Berge im irakisch-iranischen Grenzgebiet zurückgezogen. Doch Insidern zufolge soll das Flüchtlingslager Machmur zumindest als Rückzugsgebiet für Kranke und Kriegsinvaliden der PKK dienen. Außerdem rekrutiere die PKK ihren Nachwuchs aus dem Camp. Den Kontakt zwischen Lager und den Kämpfern in den Bergen hielten die Mitglieder der Lagervertretung. Sie übten zudem eine starke Kontrolle auf die Flüchtlinge aus, heißt es.
Die echten Probleme der Türkei sind die PKK-Guerilleros, die zurückgezogen in den Bergen von Dolly Balaja und Kandil entlang der irakisch-iranischen Grenze hausen. Spätestens mit Beginn der Schneeschmelze im Frühling ist mit neuen Angriffswellen der gut trainierten Kämpfer zu rechnen. Schon rasselt die türkische Regierung mit den Säbeln. Entlang der Grenze zog Ankara Zehntausende Soldaten zusammen. Gleichzeitig forderte die türkische Regierung ein striktes Vorgehen der irakischen Truppen gegen die PKK-Terroristen. Ansonsten müsse man selbst intervenieren. Bislang hielt sich die irakische Armee jedoch zurück.
Für Öcalan würde ich alles tunUnter den wiederholten Drohungen der Türkei leiden auch die Flüchtlinge im Lager. Zwar besteht seit der Ratifizierung eines Abkommens zwischen dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR, der Türkei und dem Irak von 1994 für sie die Möglichkeit zur freiwilligen Rückkehr in die Türkei. Doch erst 2200 traten seitdem die Heimreise an. Die meisten Flüchtlinge wollen mehr, viel mehr.
In Fatimas Hütte hängt in feinem Rahmen ein Portrait von PKK-Chef Öcalan. Ihren "Apo", so der kurdische Spitzname, verehrt Fatima von ganzem Herzen. "Für ihn", sagt sie, "würde ich wirklich alles machen." Ihre Rückkehr macht sie dann auch, aufgepeitscht von PKK-Propaganda, von weiteren Konzessionen der türkischen Regierung abhängig. "Zuerst muss Apo Öcalan und dann all die anderen kurdischen politischen Gefangenen freigelassen werden", sagt sie mit fester Stimme. Weiterhin müsse ihr Haus wieder aufgebaut und eine finanzielle Entschädigung für den materiellen Verlust berappt werden. Fast gleich klingen die Forderungen vieler weiterer Flüchtlinge im Lager.
Heute leben von einst 25 Millionen Kurden nur noch 20 Millionen in der Türkei. Fünf Millionen flohen in die Diaspora. Beim Abschied meint Fatima traurig: "Es gibt keine Sicherheiten für uns Kurden in der Türkei. Wahrscheinlich sehe ich meine Heimat ja nie wieder."http://www.focus.de/politik/ausland/kurden-im-irak_aid_124926.html@Sigalit @Can @Heval @Fidaii @Oghuz-Khan @ramisha