In der Türkei hat Ibrahim Tatlises einen Status wie Frank Sinatra, Elvis Presley und die Beatles zusammen. Jetzt wurde der Sänger durch Schüsse schwer verwundet. Dem Über-Superstar werden Kontakte zur Halbwelt nachgesagt. Ibrahim Tatlises ist nicht irgendein Sänger. „Ibo“, wie er von seinen Fans genannt wird, hat in den vergangenen Jahrzehnten mit sentimentalen Liedern über Liebe und Einsamkeit eine Fangemeinde gewonnen, die sich nach Millionen misst, und ist ein steinreicher Mann geworden. Bewundert wegen seiner Musik und gefürchtet wegen seiner angeblichen Verbindungen zur Mafia, ist Tatlises in Ansehen und Ruf nur mit Ausnahmestars wie Frank Sinatra vergleichbar. Jetzt wurde der türkische Sinatra in Istanbul von Unbekannten mit einer Kalaschnikow niedergemäht. Wer die Täter waren, ist nicht bekannt. Sicher scheint nur eins: Mit Musik hatte der Anschlag nichts zu tun, eher mit den undurchsichtigen Geschäften des Sängers.
„Imperator“ ist einer der Titel, mit dem Tatlises von seinen Anhängern verehrt wird. Als Kind einer armen Familie aus der kurdischen Provinz Sanliurfa schlug sich Tatlises als Bauarbeiter durch, als er entdeckt wurde. In den 1970er Jahren eroberte der schnauzbärtige Macho die Herzen der Türken, „süße Stimme“ heißt sein Name auf Deutsch. „Er brachte die Musik und die Lebensweise des Ostens nach Istanbul“, sagte die Istanbuler Musikprofessorin Songül Karahasanoglu, unserer Zeitung. „Er ist ein Phänomen, auch in der arabischen Welt.“
Denn nicht nur die Türken verfielen massenweise der „süßen Stimme“. Iraner, Libanesen, Iraker, Syrer und Ägypten gehörten ebenfalls zum Reich des „Imperators“. In Deutschland jubelten ihm die türkischen Migranten zu, 1998 trat er bei Harald Schmidt auf. Allerdings trat die Musik in den vergangenen Jahren immer mehr hinter den Geschäftsinteressen von Tatlises zurück. Er besitzt Restaurants und Hotels und investierte kürzlich in ein Wohnungsbauprojekt in der Stadt Erbil im Nordirak.
Trotz seines Reichtums blieb Tatlises bodenständig, wie seine Fans es sehen – oder rüpelhaft, wie andere Beobachter finden. In seiner Suite in einem Dortmunder Luxushotel ließ er sich mit Freunden nieder, um auf dem Teppich zu grillen. Immer wieder berichteten die Medien über seine Verbindungen zur organisierten Kriminalität. „Ist Ibrahim Tatlises ein Mafia-Pate?“ fragte eine Zeitung einmal. Schlagzeilen machte er auch durch handfestes Macho-Gehabe: Er soll seine Freundinnen verprügelt haben, er heuerte angeblich sogar Auftragsschützen an, um eine Ex-Geliebte durch gezielte Schüsse in die Beine zu bestrafen.
Schon zweimal wurde auch auf „Ibo“ geschossen, er entkam beide Male. Doch in der Nacht zum Montag hatte er weniger Glück. Als er mit seiner Assistentin Buket Cakici den privaten Fernsehsender „Beyaz TV“ verleiß, wo er gerade die neuest „Ibo Show“ für das Fernsehen absolviert hatte, fuhr ein schwarzer Wagen heran. Mindestens zwei Täter eröffneten das Feuer auf Tatlises und Cakici. Eine Kugel schlug hinten in „Ibos“ Kopf ein und trat vorne wieder aus. „Ja gibt’s denn sowas“, soll er noch gemurmelt haben, bevor er ohnmächtig wurde. Selbst wenn er die schweren Kopfverletzungen überlebt, dürfte seine Karriere beendet sein. Auch Cakici wurde verletzt, allerdings nicht so schwer wie ihr Chef.
Der Mordanschlag ließ am Montag in der Türkei alle anderen Themen in den Hintergrund treten. Vor dem Krankenhaus im Istanbuler Stadtteil Maslak, in dem Tatlises behandelt wurde, versammelten sich Künstlerkollegen und Anhänger des Sängers. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erkundigte sich persönlich per Telefon bei den Ärzten nach dem Zustand des prominenten Patienten. Der Gouverneur von Istanbul, Hüseyin Avni Mutlu, versprach der Öffentlichkeit, es werde alles getan, um die Täter möglichst schnell zu finden.
In türkischen Medien wurde spekuliert, die Kurdenrebellen von der PKK könnten Tatlises nach dem Leben getrachtet haben. Dafür spreche die Verwendung eines Kalaschnikow-Schnellfeuergewehres bei dem Anschlag. Allerdings hatte sich Tatlises nie politisch engagiert. Vor kurdischem Publikum sprach er Kurdisch, Auftritte vor frommen Zuhörern garnierte er mit islamischen Gebeten: „Er war vor allem populistisch, ihm ging es ums Geld“, sagte Professor Karahasanoglu.
Einige glauben deshalb, dass der Grund für die Schüsse in Problemen bei den Investitionen von Tatlises im Nordirak zu suchen ist. „Alle Zeichen sprechen dafür“, sagte der Sänger Izzet Yildizhan, ein Freund und Kollege von „Ibo“. Tatlises habe gewusst, dass es Schwierigkeiten gebe, habe diese aber nicht ernst genug genommen. Ein Geschäftspartner von „Ibo“ im Nordirak widersprach dieser Darstellung: In Erbil habe es lediglich kleinere Unstimmigkeiten gegeben, die auch so gut wie ausgebügelt gewesen seien.
Mit Verzweiflung und Wut reagierten die zahlreichen „Ibo“-Fans. „Ich bin im Schock, seit ich es gehört habe“, schrieb ein Bewunderer auf einer Fan-Seite bei Facebook. „Das darf nicht das Ende sein. Wir beten für dich.“ Ein anderer wünschte den Tätern, „dass man ihnen die Hände bricht“, und schrieb aus der Heimatstadt des Sängers in Südostanatolien: „Urfa weint Blut.“
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