Integrationsprobleme und -hemmnisse
Eine Betrachtung jenseits der Gene
Heute: die FamilienzuammenführungDer Familiennachzug im Allgemeinen und der Nachzug von Ehepartnern im Besonderen stellt
eine der hauptsächlichen Ursachen für die ungesteuerte Zuwanderung und damit für die
Zuwanderung Nicht-Qualifizierter dar. Die Berliner Erfahrungen bei der Nachfrage nach
Volkshochschulkursen für Deutsch als Zweitsprache zeigen dies deutlich:
„Viele der lernwilligen Migranten und Migrantinnen in
den VHS-Kursen Deutsch als Zweitsprache haben einen bildungsfernen Hintergrund, keinen
oder nur einen gering qualifizierten Schulabschluss und kaum eine abgeschlossene oder
anerkannte Berufsausbildung. Dies trifft besonders auf die nachgezogenen Ehepartner/innen
zu, die mit normalen Kursangeboten nur schwer erreichbar waren und erst durch das
Zielgruppenprogramm der „Mütterkurse“ Zugang zu Bildungsangeboten gefunden haben.
„Mütterkurse“ finden während der Unterrichtszeit in den Schulen statt. 2004 haben die
Volkshochschulen „Mütterkurse“ im Umfang von rd. 52.000 Unterrichtsstunden mit über
6.000 Teilnehmerinnen durchgeführt. Für etwa 10 % der Frauen war eine vorgeschaltete
Alphabetisierungsphase notwendig.."
http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/foerderung/sprachfoerderung/integration_durch_bildung_2006.pdf?start&ts=1277301724&file=integration_durch_bildung_2006.pdf„Zehn Prozent dieser Frauen haben noch nie eine Schule
besucht Bei der Frage nach dem Schulbesuch zeigt sich ein breit gefächertes Bild von
unterschiedlichen Niveaus der Schulabschlüsse im Heimatland: Fast 10 % haben nie eine Schule
besucht, 28 % nur bis zur 5. Klasse, 26.% bis zur 8. Klasse. Immerhin haben 35% der Befragten 9
Jahre und länger die Schule besucht.“
http://opus.kobv.de/zlb/volltexte/2008/1714/pdf/top_januar_2006.pdfEheschließungen zwischen Zuwanderern und Nachzugswilligen dienen häufig instrumentellen
Zwecken - in erster Linie der Erlangungen eines Aufenthaltsstatus. Nicht selten handelt es
sich um „Scheinehen" (
Stefan Luft –
Ausländerpolitik in Deutschland (Seite 77). Grundsätzlich ist der Familiennachzug eines
der Wesensmerkmale ungesteuerter Zuwanderung nach Deutschland.
Zweifellos wird Heiratsmigration in ihrer quantitativen
Bedeutung in Zukunft noch zunehmen. Dies ist nicht nur auf die sich verschärfenden
Ungleichgewichte auf dem internen Partnerschafts- und Heiratsmarkt zurückzuführen,
sondern auch auf die anhaltende Nachfrage von Angehörigen der Migrantenminorität der
"Zweiten Generation" nach Heiratspartnern aus den Herkunftsgesellschaften ihrer Eltern.
Wegen der Assimilation der zweiten Generation an die kulturellen Standards der
Aufnahmegesellschaft nehmen diese Beziehungen zunehmend den Charakter bi-kultureller
Partnerschaften und Ehen an. Solche Anreize für transnationale Partnersuche in
Migrantenminoritäten sind dann sehr hoch, wenn eine restriktive Zuwanderungspolitik keine
anderen Zuwanderungsmöglichkeiten zulässt und gilt entsprechend insbesondere für solche
Personengruppen, deren Herkunftsländer von restriktiven Zuwanderungsmöglichkeiten
betroffen sind. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 1989 bis 2000 sind 29,9 Prozent der
Ehefrauen türkischer Migranten der ersten und 25,8 Prozent der Ehefrauen von Angehörigen
der zweiten Zuwanderergeneration erst nach der Heirat zugewandert. Demgegenüber liegen
die entsprechenden Anteile bei den italienischen Migranten bei 8,2 bzw. 2,4 Prozent. Auch bei
den Heiraten der in Deutschland lebenden Migrantinnen sind die Befunde ähnlich: 11,5
Prozent der Ehemänner türkischer Migrantinnen der ersten und 24,8 Prozent der Ehemänner
der zweiten Zuwanderergeneration sind erst nach der Heirat zugewandert. Die
entsprechenden Anteile bei den italienischen Migrantinnen liegen bei 0,3 bzw. 2,3 Prozent.
Der eigene verfestigte Aufenthaltsstatus des Angehörigen der zweiten Zuwanderergeneration
dient als Offerte auf dem Heiratsmarkt in der Herkunftsgesellschaft, um dort einen
Ehepartner mit höherem sozialem Status zu finden - ein Vorteil, der in der
Aufnahmegesellschaft weder bezüglich der Einheimischen noch der Angehörigen der eigenen
Zuwanderungsminorität zur Geltung käme.
Diese Befunde und Schlussfolgerungen machen deutlich, dass Heiratsmigration ein wichtiger
Mechanismus der Selbstergänzung von Migrantenminoritäten in Deutschland ist. Sie trägt
somit dazu bei, dass auch bei den etablierten Zuwanderernationalitäten weiterhin mit
Migranten der ersten Generation zu rechnen ist.
Das Parlament - Integration und Familie (Archiv-Version vom 29.06.2007)In zahlreichen europäischen Ländern vollzieht sich Zuwanderung im Rahmen des Familienund
Ehegattennachzugs als schlecht zu kontrollierende Spätfolge von Arbeitskräfteanwerbung
und Kolonialismus. Die Besonderheit der europäischen Situation besteht deshalb darin, dass,
abgesehen vom Asylverfahren, vereinzelten Sonderregelungen und einigen
kolonialgeschichtlich bedingten Optionen, dem Familien- und Ehegattennachzug die
Bedeutung des einzigen legalen Zuwanderungskanals zukommt. Aus diesem Grund erhält
gerade transnationales Heiratsverhalten der im Land lebenden Migrantenbevölkerungen
zentrale Bedeutung.
Die Heirat von Töchtern türkischer Zuwanderer wird häufig als einzige legale Möglichkeit
gesehen, nach Deutschland auszuwandern und damit der Misere in der Heimat zu
entkommen. Junge Türkinnen in Deutschland sind daher in der Türkei „gefragte
Ehepartnerinnen" (
http://www.buecher.de/shop/einwanderung/heiratsverhalten-undpartnerwahl-im-einwanderungskontext/strassburgergaby/products_products/detail/prod_id/12097271/).
Eine Migration nach Deutschland erscheint vielen von Armut und Arbeitslosigkeit
betroffenen Bewohnern der ländlichen Türkei als verlockend, eine Möglichkeit dazu bietet
eine Ehe mit einem in Deutschland lebenden Türken. Durch die Verheiratung eines Sohnes
mit einer Cousine aus der Türkei wollen die Eltern ihre Verwandtschaft in der Türkei
unterstützen. Die These heißt
„wenn die Verwandten nicht legal nach Deutschland
einreisen dürfen, dann sorgen wir dafür, dass sie im Rahmen der Eheschließung nach
Deutschland kommen können.“
Prof. Dr. Toprak Ahmet -
Doppelmoral/dp/3784116094">Das schwache Geschlecht - die
türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt,
Doppelmoral der Ehre Mit dieser Vorgehensweise wird der Anwerbestopp an Arbeitskräften aus dem Jahr 1973
umgangen. Bei Frauen, die Männer in der Türkei heiraten und später in Deutschland leben,
kann man die gleichen Motive beobachten.
„Töchter sind darüber hinaus vor allem für Familien in
den ländlichen Gebieten und den Siedlungen der Türkei eine wichtige Finanzquelle.“
(Ahmet Toprak)
Dabei besteht der Brautpreis nicht nur in einer Summe von Geld, sondern auch in der dadurch
zustande kommenden Verbindung nach Deutschland: „Deutschland als Brautpreis“ nennt
Ahmet Toprak diesen Mechanismus.
Die Sog-Wirkung eines (im Verhältnis zu den Herkunftsverhältnissen) Lebens im Luxus wird
dabei von den werbenden Männern (bzw. den Familien) gezielt ins Spiel gebracht. Dabei
bedarf es keiner großen Überredungskünste um die künftigen Schwiegereltern angesichts solcher
Perspektiven zur Zustimmung zu bringen:
„Um die zukünftige Braut bzw. Schwiegertochter zu
einer Eheschließung zu motivieren, argumentieren die Eltern des Mannes bei der
Brautwerbung mit Vorteilen in Deutschland. Hierbei werden die ökonomischen Ressourcen,
wie z. B. eine schöne Wohnung mit fließendem warmen Wasser, Auto, Waschmaschine,
Kühlschrank, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe etc. als Argumente in den
Vordergrund gestellt. Bei der Beschreibung der Biografien konnte festgestellt werden, dass
gerade diese materiellen Dinge, die in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sind, in den
Heimatdörfern der Mädchen mit großem Luxus verbunden werden. (...) ... [So] kann die
These aufgestellt werden, dass der persönliche Brautpreis der Mädchen ein luxuriöses Leben
in Deutschland impliziert. Die Interviewpartner argumentieren bei der Brautwerbung mit
weiteren gut funktionierenden sozialen Sicherungssystemen in Deutschland, wie z. B.
Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe, die in dieser Form in der Türkei nicht existieren."
(Ahmet Toprak)
Toprak zitiert einen Interviewpartner, der die Argumentation prägnant wiedergibt:
„Wir wollten eine Frau aus der Türkei holen. Dann hat
der Vater gefragt, ne, was mache ich beruflich und so. Ich habe dann gesagt, momentan bin
ich arbeitslos oder so. Ja, dann hat er gesagt, wie hast du das Auto gekauft und so. (...) Ich
habe gesagt, ich bekomme Arbeitslosengeld und später Sozialhilfe. Wenn man kein Arbeit hat,
kann man vom Staat bekommen oder so. Und auch Sozialhilfe oder so. Das gibt es in der
Türkei nicht, ne (...) Der Vater hat dann gesagt. Das ist schön in Deutschland. Man bekommt
vom Staat Geld. Danach war kein Problem."
Nicht wenige türkischstämmige Männer aus Deutschland orientieren sich vorwiegend an
Frauen aus ländlichen türkischen Regionen (und nicht an Frauen in Deutschland), weil sie
nicht „angefixt" sind vom „westlichen Geist", von Vorstellungen westlicher Lebensweise und
dem Wunsch nach Gleichberechtigung. Sie fügen sich widerspruchsloser den Vorstellungen
der beteiligten Familien. Der Hauptgrund für diese Präferenz in die Türkei bei den Männern
besteht sicherlich darin, dass sie das Verhalten der türkischen Mädchen in Deutschland
unehrenhaft finden…
Dem Wunsch nach einer Frau, die sich anpasst, nicht widerspricht, und die konventionelle
Geschlechterrolle annimmt, entsprechen wohl am ehesten die Mädchen, die in konservativen
Umfeldern in der ländlichen Türkei aufgewachsen sind. Dort verbreitete Erziehungsziele und
Erziehungspraxis lassen diese Wünsche dann sicherlich auch als realistisch erscheinen.
Aber die Praxis gibt es ebenso auch umgekehrt…
(…) Als er zwölf Jahre alt war, holte ihn der Vater als
Ersten der Familie aus der Türkei zu sich nach Deutschland. Der Sohn war schüchtern, auch fünf
Jahre später noch gegenüber den jungen Frauen, die sich im Café seines Vaters um ihn bemühten.
Eine von ihnen besonders: „Wir flirteten miteinander, aber es war nichts Ernstes.“ Das wurde es
erst, als der Vater ihm sagte, das Mädchen sei die Tochter eines Freundes. Der habe sehr
traditionelle Ansichten. „Mein Vater befahl mir, sie zu heiraten, weil ich sonst seine Ehre verletzen
würde.“ Zunächst lehnte Ismet ab. Doch der Vater warnte und drohte damit, ihn aus dem Haus zu
werfen. Der 17-Jährige bekam Angst. Er wollte nicht auf der Straße landen, ohne Geld und kurz vor
seinem Schulabschluss. Er stimmte der Hochzeit zu, eingeschüchtert und verletzt.
Von türkischstämmigen Männern kursieren in Deutschland pauschale Bilder: die der Paschas, die
ihre Frauen daheim schlagen, ihre Ehre bis aufs Blut verteidigen, den Gebetskranz immer bei der
Hand. Von Patriarchen, die ihre archaischen Sitten und Gebräuche mit hierhergenommen haben.
Vielleicht aber sieht die Realität ganz anders aus? Vielleicht sind Männer genauso Opfer einer
patriarchalen Gesellschaft? Dass auch sie unter der Last der Erwartungen zusammenbrechen
können, scheint nicht ins Bild zu passen. Bei Ismet war es der psychologische Druck seines Vaters,
der ihn in die Ehe einwilligen ließ. Er spürte die Last der Verantwortung, ein guter Ehemann sein zu
müssen, für eine Frau, die er nicht liebte. Über die Hochzeitsnacht sagt er: „Ich fühlte mich nicht
hingezogen zu ihr. Aber ich habe mir gesagt: Stell dich nicht so an, sei ein Mann und mach es
einfach. Das war ein grauenhaftes Gefühl.“
Warum der Vater so auf die Hochzeit bestanden hatte, fand Ismet erst sehr viel später heraus:
„Mein Vater dachte, die Familie meiner Frau wäre reich. Durch unsere Hochzeit wollte er
profitieren.“ Ismet aber fühlte sich wie ein Tier, verschachert für ein bisschen Geld. Seiner Frau ist
er trotzdem treu geblieben. Verheiratet sind sie inzwischen schon seit 20 Jahren. Zwei Jahrzehnte,
um die sich der 37-Jährige heute betrogen fühlt.
„Viele Männer verharren in ihren Ehen, weil sie sich schämen. Sie wollen nicht als unmännlich
gelten“, sagt Kazim Erdogan, ein Berliner Psychologe, der in Neukölln eine bislang einzigartige
Gruppe gegründet hat….
"[autourl (http://www.rheinischer-merkur.de/2010_35_Zeige_niemals_Sch.44535.0.html?&no_cache=1[/autourl]]Rheinischer Merkur – Zeige niemals Schwäche!)
Dem Nachzug von Ehepartnern aus den Herkunftsregionen kommt für das Fortbestehen
ethnischer Kolonien und verfestigter, parallelgesellschaftlicher Strukturen große Bedeutung
zu. Das Zentrum für Türkeistudien macht zwei Personengruppen aus, für die die Merkmale
parallelgesellschaftlicher Strukturen besonders ausgeprägt sind und nachzulesen sind unter:
Euro-Islam
- Das neue Islamverständnis der Muslime in der Migration (Archiv-Version vom 06.07.2011)Weitere Leseempfehlung zu der punktuellen Problematik:
http://www.soffi-f.de/files/u2/Abschlussbericht_ML2.pdfDie beschriebene Problematik dürfte bei einer Reihe von integrationsversagenden Familien eine gewichtige Rolle gespielt haben und die Frage, welche Lehren daraus für die Zukunft zu ziehen sind, dürften ein weites Feld ergeben, bei dem auch eine Beschränkung des Zugangs in das Sozialsystem für Zuwanderer kein Tabu sein sollte.