Hier mal ein Kommentar zur Polizeigewalt von einem unvoreingenommenen Aikido-Ausbilder des Polizeisportverein Kiel (der ganze Artikel ist lesenswert, ich poste den wichtigsten Auszug). Er spricht besonders über den Begriff "Einfache körperliche Gewalt":
https://tepin.aiki.de/blog/archives/422-Intensitaetsstufen-koerperlicher-Gewalt.html (Archiv-Version vom 29.11.2011)Was hat das nun mit den Schlägen der Berliner Bereitschaftspolizei zu tun? Im oben zitierten Forumsbeitrag wurde der Begriff der einfachen körperlichen Gewalt auf die im kursierenden Video polizeiliche Gewaltanwendung angewandt. Juristisch mag dies korrekt sein (siehe Lawblog), der Begriff scheint hier in der Rechtsprechung bisher nur auf die Nichtbenutzung von (Hieb-)Waffen angewandt zu werden. Dies ist aus Kampfkunst-Sicht zu undifferenziert. Der vorliegende Fall könnte ein Anlass sein, dass auch die Rechtsprechung hier zu einer differenzierteren Betrachtung kommt.
Schauen wir uns die oben geschilderten Eskalationsstufen an, so lassen sich diese auch auf eine unbewaffnete körperliche Konfliktinteraktion anwenden. Unterste Eskalationsstufe körperlicher Gewalt wäre demnach der Einsatz von koordinierten Bewegungen oder Körperkraft (je nach Vermögen, also sowas wie Wegschieben, Umlenken, Wegschubsen oder Festhalten), um die Kontrolle über den Konfliktpartner zu erlangen. Auf der nächsten Eskalationsstufe finden wir Gelenkhebel und die Manipulation von Nervendruckpunkten (keine Schläge). Auf der dritten Eskalationsstufe kommen Schläge oder Tritte auf die oben geschilderte grüne Zone.
Hier endet, was ich bereit bin, als einfache körperliche Gewalt anzusehen. Ich weiß, dass andere schon mindestens eine Eskalationsstufe früher zu dieser Ansicht gekommen wären, aber dies ist immer noch ein Level, das zwar unangenehm ist, aber wohl keine Verletzungen nach sich zieht.
Die nächsten Eskalationsstufen sind entsprechend die Schlag-/Tritt-Angriffe auf die oben angeführten gelben oder gar roten Zonen - hier sind regelmäßig schwere Verletzungen und bleibende Schäden zu erwarten. Ergänzend sind hier noch Würgeangriffe zu nennen, zu denen auch der bekannte "Schwitzkasten" gehört, die stets als lebensbedrohende Angriffe einzuordnen sind. Es gibt auch Würgetechniken, die in einer Verletzung der Halswirbelsäule münden oder diese als nicht intentionierten Effekt haben, so dass auch schon kurzes Würgen/Schwitzkasten ("der sollte doch nur müde werden") ein sehr hohes Gefahrenpotential enthält. Im oben verlinkten Lawblog-Artikel kann man nachlesen, dass schon der Druck eines Knies auf die Wirbelsäule eben solche Effekte nach sich ziehen kann. Angriffe insbesondere gegen Hals oder Wirbelsäule sind daher meines Erachtens in der überwiegenden Zahl der Fälle als Tötungsabsicht zu bewerten und folglich nahezu ausnahmslos außerhalb der Verhältnismäßigkeit, sofern kein lebensbedrohlicher Angriff vorlag.
Bei dem auf Video dokumentierten Vorfall in Berlin ist keine körperliche Agressivität der Opfer späterer polizeilicher Gewalt zu erkennen. Die Opfer sehen von der Statur her nicht wie eine besondere Herausforderung aus, der Mann im blauen Shirt ist zudem durch sein Fahrrad in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Sind die Angriffe zunächst ein einfaches Zupacken und Ziehen (das wäre einfache körperliche Gewalt), so wird - obwohl keine körperliche Gegenwehr (das würde ich erkennen) geleistet wird - als nächste Eskalationsstufe sofort mit behandschuhter Faust (die Handschuhe würde ich auf Quarzsand prüfen lassen) ins Gesicht und damit in eine rote Zone geschlagen. Wenn ich die Statur und die Bewegungsmuster der Polizisten mit denen ihrer Opfer vergleiche, glaube ich nicht, dass auch nur ein einziger Schlag erforderlich war, wenn es nur darum gegangen wäre, Kontrolle über Situation und Opfer zu erlangen. Einfache körperliche Gewalt wäre tatsächlich ausreichend gewesen, um diese Kontrolle bzw. polizeilichen Zwang auszuüben, wurde aber um ein Vielfaches der Erforderlichkeit überschritten.