Opfer der Arbeitslosigkeit
13.02.2008 um 15:16
Die Hannoversche Allgemeine schrieb am 12.2.08 zu dem Fall:
"Das letzte Kapitel im Leben des Peter Z. begann an einem Oktobertag des vergangenen Jahres. Da packte er ein paar Sachen, legte ein dunkelblaues Notizbuch hinein, stieg auf ein Rad und fuhr in den Solling, um zu sterben.
Es war der Anfang jenes verstörenden letzten Teils seines Lebens, der Weg dahin jedoch begann weit früher. Die Geschichte von Peter Z., den Jäger vor einer Woche verhungert auf einem Hochsitz fanden, handelt von einem langsamen sozialen Abstieg, vom Zerbrechen von Beziehungen, vom Nichtwahrhaben-wollen und schließlich von der schmerzlichen Erkenntnis, dass vom alten Leben nichts geblieben ist.
Peter Z. stammt aus Schleswig-Holstein, nach der Schule verpflichtet er sich für zwölf Jahre bei der Bundeswehr – das gehört zu den Bruchstücken, die gestern über sein Leben bekannt wurden und in denen lange Zeit vieles nach Erfolg und einem stabilen bürgerlichen Leben aussieht. Er wird Bürokaufmann, heiratet, wird Vater einer Tochter, und nach der Wiedervereinigung 1990 wittert er eine Chance für sich in den neuen Bundesländern. Er gründet und organisiert Messen und hat Erfolg damit. Das ständige Unterwegssein jedoch hat einen hohen Preis: Die Ehe zerbricht, auch die Beziehung zu seiner Tochter wird immer brüchiger.
Bei einer Firma für Hängestühle, für die er ungefähr vom Jahr 2000 an als Vertreter durch die Lande fährt, gilt er als extrem zuverlässig, loyal und ehrlich. „Wenn auch nur die kleinste Gefahr bestand, dass er am Morgen zu spät zu einem Termin kommt, ist er schon am Abend vorher hingefahren“, sagt sein ehemaliger Chef über ihn. In dem Dorf bei Lübeck, in dem er in einem Mehrfamilienhaus lebt, bleibt er ein Unbekannter. Nachbarn beschreiben ihn als zurückhaltend, gepflegt, als einen „der montags früh geschniegelt aus dem Haus ging und freitags spät wiederkam“.
Doch das ständige Reisen, der Druck des Messegeschäfts zermürbt ihn. Peter Z. macht sich selbstständig – nun jedoch bleibt der Erfolg aus. Er kann die Miete nicht mehr zahlen. Als er in einem Hotel eine kleine Rechnung nicht zahlen kann, gibt er eine falsche Adresse an. Ein paar Tage später meldet er sich aus schlechtem Gewissen selbst bei der Polizei. Es fällt in diese Zeit, dass er zum ersten Mal Selbstmordgedanken äußert und er sich in einer Klinik behandeln lässt. Die Beziehung zu seiner neuen Lebensgefährtin ist da schon zerbrochen.
Anfang 2006 kommt er nach Seelze. Er wohnt bei einer Freundin im Ortsteil Dedensen, in einem schlichten Nachkriegs-Mehrfamilienhaus, in dem die Bewohner häufiger wechseln. Peter Z. fällt lange niemandem auf, nur eine Nachbarin erinnert sich noch an den zurückhaltenden Herrn mit grauem Haar, der freundlich grüßte. Es scheint zu seinem Wesen zu gehören, dass er in Vielem eine Form von durchschnittlicher Bürgerlichkeit verkörpert: in seinem Auftreten, in seinem Aussehen, in seiner Gewissenhaftigkeit.
Anfang 2007 kommt er nach Hannover und zieht in eine kleine Wohnung in Burg nahe dem Harzburger Platz. Ein normales dreistöckiges Mietshaus, das bei näherem Hinsehen etwas weniger gepflegt ist als die anderen: Das Gras im Vorgarten zu lang, die Fassade schmutzig grau, die Farbe an den Fensterläden abgeblättert. Peter Z. lebt von Arbeitslosengeld. Im Oktober 2007 läuft es aus. Er müsste nun Hartz IV beantragen oder, mit seinen 58 Jahren, die Frührente. Beides versucht er gar nicht erst. Beim Jobcenter meldet er sich nicht. Stattdessen steigt er aufs Rad.
Irgendwo lässt er es stehen und geht zu Fuß weiter. Wo, das kann die Polizei nicht klären – das Rad wird nicht gefunden. Die Gegend und den Hochsitz, so wird vermutet, kennt er von seinen vielen Touren, vom ständigen Unterwegssein. Als er hinaufklettert, ist er entschlossen, ihn nicht mehr lebend zu verlassen.
In dem Notizbuch dokumentiert er in quälender Genauigkeit jeden Tag, der nun folgt. Er beschreibt, wie er abmagert und ihm das Gefühl aus den Gliedmaßen schwindet. Einmal erschrickt er, als ein Junge auf den Hochsitz klettern will – doch der Vater ruft ihn zurück. Anfang Dezember verliert er das Gefühl für die Tage. Dann, am 6., registriert er noch einmal, dass heute Nikolaus sein muss. Er nimmt nichts zu sich bis auf etwas Wasser. Der letzte Eintrag datiert vom 13. Dezember. Mindestens 24 Tage, so wird die Polizei rekonstruieren, muss Peter Z. auf dem Hochsitz verbracht haben, bis er starb.
Das Tagebuch soll seine Tochter erhalten. Daran, dass es Selbstmord war, gebe es keinen Zweifel, erklärt die Polizei. Für sie, heißt es, ist der Fall damit abgeschlossen."
Daraus einen Märtyrer der Arbeitslosigkeit, ein Opfer des Staates, des Kapitalismus, der Globalisierung oder sonstwas hochzustilisieren, heisst den Tod eines Menschen für politische Zwecke instrumentalisieren. Die eigentliche Ursache, psychische Problem, fallen hinten runter. Die lassen sich politisch schlecht vermarkten.
Aktuell gibt es in Deutschland per Ende Januar 2008 rd. 3.659.000 Arbeitslose. Ich glaube nicht, dass die jetzt alle dem o.g. Beispiel folgen werden, den Gefallen werden sie keinem tun