Gericht verpflichtet Web-Forum zur Vorab-Zensur!
01.08.2007 um 21:37Link: www.spiegel.de (extern)
OLG München verpflichtet Web-Forum zur Vorab-Zensur!
Streitthema Anruf-Spielshows: Die TV-Firma Callactive siegt vor Gericht wohl endgültig über ein kritisches Web-Forum. Die Teilnehmer auf Call-in-TV dürfen nun nicht einmal mehr von "verwirrten Anrufern" sprechen.
Was kann jemand meinen, der einen Anrufer "verwirrt" nennt? Sicher jemanden, der in einer Radiosendung anruft und dann live nur "Hallo, Hallo, Hallo!" ruft, bis man ihn ausblendet. Bestimmt auch einen Menschen, der in einer TV-Anrufshow ins Studio durchkommt und statt einer Antwort auf die Gewinnfrage nur "Äääh, Öööh!" und "Mmmh!" sagt. Wer aber im Web-Forum Call-in-TV über "verwirrte Anrufer" schreibt, will einer Gewinn-Show-Firma Betrug unterstellen - so zumindest urteilte gestern das Oberlandesgericht München.
Wenn diese Formulierung bei Call-in-TV noch einmal in solch einem Kontext fällt, muss der Betreiber Marc Doehler, ein Berliner Systemadministrator, bis zu 250.000 Euro Strafe zahlen. Das Urteil ist vorerst wohl letzte Akt der Auseinandersetzung zwischen Doehlers Web-Forum, in der Zuschauer kritisch über TV-Anrufshows diskutieren, und der Münchner Endemol-Produktionsfirma Callactive, die solche Sendungen unter anderem für Viva aufzeichnet.
Lange Zeit hatten Teilnehmer in dem Forum Callactive beschuldigt, mit Scheinanrufen die Sendungen in die Länge zu ziehen und damit Zuschauer zur Teilnahme zu animieren. Dass er diese Behauptung nicht mehr verbreitet, hatte Doehler Callactive im Februar schon in einer Unterlassungserklärung versichert. Er ließ von da an seine Foren-Software die Formulierung "Fake-Anrufe" gegen "verwirrte Anrufer" austauschen.
Eben das verbietet das Oberlandesgericht München nun Doehler. Er dürfe nicht mehr verbreiten oder verbreiten lassen, es gebe "verwirrte Anrufer" in den Fernseh-Quizsendungen von Callactive, wenn dieser Begriff Synonym für "Schein-Anrufer" verwendet wird. Die Frage ist nun: Wer kann entscheiden, was jemand mit der Äußerung "verwirrte Anrufer" meint? Die schriftliche Urteilbegründung steht noch aus, die Interpretation der Richter ist also noch nicht eindeutig.
Je nachdem wie das Gericht argumentiert, könnte die Situation der Foren-Betreiber in Deutschland noch ungemütlicher werden. Sie haften in Deutschland heute ohnehin schon für die Äußerungen Dritter - je nach Gericht selbst dann, wenn sie diese Aussagen nicht kennen. Nun scheinen Foren-Betreiber auch für Beiträge zu haften, die als Beleidigung oder Unterstellung interpretiert werden könnten.
Frank Metzing, Anwalt des verurteilten Doehler, interpretiert die Folgen des Urteils gegenüber SPIEGEL ONLINE so: "Callactive sieht sich durch die Formulierung verwirrte Anrufer verleumdet. Dem Gericht hat das genügt - sobald solch eine Interpretation möglich ist, darf die Formulierung nicht mehr gebraucht werden."
Ähnlich hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten Stolpe-Urteil entschieden, demnach eine Formulierung die Persönlichkeitsrechte auch dann verletzt, wenn sie mehrdeutig ist und eine mögliche Interpretation das Persönlichkeitsrecht verletzt. Doehler sieht durch dieses Urteil das Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht: "Auf Basis dieser Linie in der Rechtssprechung können Unternehmen privat betriebenen Foren sehr schnell finanziell ein Ende machen."
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,497701,00.html
Ein Hoch auf die deutsche Meinungsfreiheit
OLG München verpflichtet Web-Forum zur Vorab-Zensur!
Streitthema Anruf-Spielshows: Die TV-Firma Callactive siegt vor Gericht wohl endgültig über ein kritisches Web-Forum. Die Teilnehmer auf Call-in-TV dürfen nun nicht einmal mehr von "verwirrten Anrufern" sprechen.
Was kann jemand meinen, der einen Anrufer "verwirrt" nennt? Sicher jemanden, der in einer Radiosendung anruft und dann live nur "Hallo, Hallo, Hallo!" ruft, bis man ihn ausblendet. Bestimmt auch einen Menschen, der in einer TV-Anrufshow ins Studio durchkommt und statt einer Antwort auf die Gewinnfrage nur "Äääh, Öööh!" und "Mmmh!" sagt. Wer aber im Web-Forum Call-in-TV über "verwirrte Anrufer" schreibt, will einer Gewinn-Show-Firma Betrug unterstellen - so zumindest urteilte gestern das Oberlandesgericht München.
Wenn diese Formulierung bei Call-in-TV noch einmal in solch einem Kontext fällt, muss der Betreiber Marc Doehler, ein Berliner Systemadministrator, bis zu 250.000 Euro Strafe zahlen. Das Urteil ist vorerst wohl letzte Akt der Auseinandersetzung zwischen Doehlers Web-Forum, in der Zuschauer kritisch über TV-Anrufshows diskutieren, und der Münchner Endemol-Produktionsfirma Callactive, die solche Sendungen unter anderem für Viva aufzeichnet.
Lange Zeit hatten Teilnehmer in dem Forum Callactive beschuldigt, mit Scheinanrufen die Sendungen in die Länge zu ziehen und damit Zuschauer zur Teilnahme zu animieren. Dass er diese Behauptung nicht mehr verbreitet, hatte Doehler Callactive im Februar schon in einer Unterlassungserklärung versichert. Er ließ von da an seine Foren-Software die Formulierung "Fake-Anrufe" gegen "verwirrte Anrufer" austauschen.
Eben das verbietet das Oberlandesgericht München nun Doehler. Er dürfe nicht mehr verbreiten oder verbreiten lassen, es gebe "verwirrte Anrufer" in den Fernseh-Quizsendungen von Callactive, wenn dieser Begriff Synonym für "Schein-Anrufer" verwendet wird. Die Frage ist nun: Wer kann entscheiden, was jemand mit der Äußerung "verwirrte Anrufer" meint? Die schriftliche Urteilbegründung steht noch aus, die Interpretation der Richter ist also noch nicht eindeutig.
Je nachdem wie das Gericht argumentiert, könnte die Situation der Foren-Betreiber in Deutschland noch ungemütlicher werden. Sie haften in Deutschland heute ohnehin schon für die Äußerungen Dritter - je nach Gericht selbst dann, wenn sie diese Aussagen nicht kennen. Nun scheinen Foren-Betreiber auch für Beiträge zu haften, die als Beleidigung oder Unterstellung interpretiert werden könnten.
Frank Metzing, Anwalt des verurteilten Doehler, interpretiert die Folgen des Urteils gegenüber SPIEGEL ONLINE so: "Callactive sieht sich durch die Formulierung verwirrte Anrufer verleumdet. Dem Gericht hat das genügt - sobald solch eine Interpretation möglich ist, darf die Formulierung nicht mehr gebraucht werden."
Ähnlich hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten Stolpe-Urteil entschieden, demnach eine Formulierung die Persönlichkeitsrechte auch dann verletzt, wenn sie mehrdeutig ist und eine mögliche Interpretation das Persönlichkeitsrecht verletzt. Doehler sieht durch dieses Urteil das Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht: "Auf Basis dieser Linie in der Rechtssprechung können Unternehmen privat betriebenen Foren sehr schnell finanziell ein Ende machen."
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,497701,00.html
Ein Hoch auf die deutsche Meinungsfreiheit