Wahlen in der Türkei
25.07.2007 um 01:41Bergkarabach wählt, Aserbaidschan droht
Peter Mühlbauer
25.07.2007
Nachdem ein hoher Ölpreis die Kassen Aserbaidschans füllte, ist die
Kriegsgefahr im Kaukasus gestiegen
Bergkarabach der ehemalige Geheimagent Bako
Sachakjan mit einer Letzte Woche wurde im De-Fakto-Staatfast georgischen Mehrheit von 83
% der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Vor der Wahl hatte Aserbaidschans Präsident Ilcham
Alijew gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Novosti gedroht, Armenien solle sich ais dem
Territorium "zurückziehen" damit ein neuer Waffengang vermieden werde. Aserbaidschan, so
Alijew, sei mittlerweile militärisch gesehen "der stärkste Staat in der Region", und
seine Nachbarn müssten sich "dessen bewusst werden".
Tatsächlich rüstete
Alijews Republik im letzten Jahr für 650 Millionen US-Dollar, während Armenien weniger
als ein Viertel dieses Betrages aufbrachte. 2007 soll das aserbaidschanische
Militärbudget sogar höher liegen als die kompletten armenischen Staatsausgaben. Trotz
zwölf Prozent Wirtschaftswachstum (auf allerdings sehr niedrigem Niveau) kann Armenien
nicht mit dem ölreichen Aserbaidschan konkurrieren. Das hat etwa neun Millionen
Einwohner, Armenien nur zweieinhalb bis drei. Da helfen auch die Überweisungen der etwa
vier bis zehn Millionen Auslandsarmenier nur bedingt. Allerdings verweist die Schutzmacht
Bergkarabachs auf den Motivationsvorteil, dass die Soldaten dort ihr eigenes
Siedlungsgebiet quasi an der eigenen Haustür verteidigen – und nicht etwa am Hindukusch.
Der Konflikt begann Ende der 1980er, als es nach Unabhängigkeitsforderungen der
armenischen Mehrheit in Bergkarabach zu Pogromen in Sumgait kam, in deren Folge viele
Armenier aus Aserbaidschan flüchten. Am 2. September 1991 erklärte sich das Autonome
Gebiet für unabhängig, worauf aserbaidschanische Truppen einmarschierten und von
armenischen Kräften zurückgeschlagen wurden. Diese besetzten aus militärischen Gründen
auch einen Korridor zwischen Armenien und Bergkarabach, der jedoch nicht nur aus den zwei
1929 an Aserbaidschan abgetretenen, sondern gleich aus sieben überwiegend von Aseris
besiedelten Landkreise bestand.
Insgesamt wurden während der
Auseinandersetzungen etwa 530.000 Aserbaidschaner aus von Armeniern kontrollierten
Gebieten und 250.000 Armenier aus Aserbaidschan vertrieben. 1994 wurde ein
Waffenstillstand geschlossen. Seitdem geht der Krieg nur noch im Internet weiter.
Die
Frage der völkerrechtlichen Gültigkeit der Abspaltung ist weniger eindeutig als sie auf
den ersten Blick scheint: Das am 3. April 1990 erlassene Sowjetgesetz "Über das Verfahren
der Entscheidung von Fragen, die mit dem Austritt einer Unionsrepublik verbunden sind"
enthielt eine Schutzklausel für Autonome Gebiete, die im Falle eines Austritts der
Republik aus der Sowjetunion per Volksabstimmung über ihren Status entscheiden sollten -
was in Bergkarabach 1991 geschah.
Ob Alijews Säbelgerassel tatsächlich der Vorbote
einer Wiederaufnahme des Krieges ist, bleibt abzuwarten: Unter anderem ist fraglich,
inwieweit sowohl Aserbaidschan als auch Armenien ein tatsächliches Interesse an der
Beendigung eines Zustands haben, mit dem sich bei innenpolitischen Problemen und
Demokratiedefiziten perfekt ablenken lässt.
Weitgehend im Unklaren ist allerdings die
Zukunft des umstrittenen Gebiets, das nur zwischen 140- und 150.000 Einwohner zählt -
weit weniger als während des Krieges vertrieben wurden. Der armenische Präsident Robert
Kotscharjan, der selbst aus Karabach stammt, vermied bisher den Begriff des Anschlusses
und sprach stattdessen von einer "asymmetrischen Konföderation" als Modell für Armenien
und Bergkarabach.
Die EU, die NATO und der Genozid
Anders als im Fall des
Kosovo-Gebiets will man aber bei EU und NATO nichts von einer Anerkennung der
Unabhängigkeit Bergkarabachs wissen. Hintergrund ist zum Teil die Haltung des
NATO-Mitglieds und EU-Beitrittskandidaten Türkei, die sich zum einen als Schutzmacht
Aserbaidschans begreift und zum anderen einen ungelösten historischen Konflikt mit dem
armenischen Volk mit sich herumschleppt.
Außerhalb der Türkei ist mittlerweile
relativ unstrittig, dass während des Ersten Weltkrieges eine enorm große Zahl von
Armeniern und Assyrern bei Deportationen ums Leben kam –sowohl durch enorme Brutalität
als auch durch Hunger, Durst und Erschöpfung. Allerdings verweisen Kritiker des
Völkermord-Begriffs wie Guenter Loewy darauf, dass das osmanische Reich nicht einmal
logistisch dazu in der Lage war, seine eigenen Soldaten zu versorgen, so dass diese
ebenfalls in großer Zahl verhungerten. Zweifelhaft ist auch, inwieweit die Tötungen
tatsächlich von der Führung des osmanischen Reiches geplant und inwieweit sie die
Eigeninitiative der kurdischen Agas waren, die sich auf diese Weise Land, Eigentum und
Frauen aneigneten.
Als am 28. Mai 1918 die "Demokratische Republik Armenien"
ausgerufenen wurde, die sich flugs der Entente anschloss, da war das ihr im Vertrag von
Sèvres zugebilligte Gebiet in jedem fall schon so weitgehend "gesäubert", dass kaum mehr
Armenier dort lebten. Entsprechend schwach war der Widerstand, den der junge Staat trotz
der Hilfe britischer Truppen Atatürks Konsolidierungsfeldzug entgegensetzen konnte.
Schließlich teilten sich im Vertrag von Kars die Türkei und die Sowjetunion das
Territorium.
Letztere integrierte das verbliebene armenische Siedlungsgebiet als
eigene Republik. 1929 schlug Stalin den Osten dieser armenischen Sowjetrepublik dem
benachbarten und damals ebenfalls zur Sowjetunion gehörigen Aserbaidschan zu. Der
Korridor um Kelbajar und Lachin wurde direkt integriert, der Rest, das heutige
Bergkarabach, wurde Autonome SSR ohne territoriale Verbindung zur Armenischen SSR.
Feinde und Verbündete
Die Türkei und Aserbaidschan blockieren seit dem
Krieg um Bergkarabach die armenischen Grenzen. Armenien versucht der Einkreisung durch
den "Pakt für kollektive Sicherheit" mit Russland und durch gute Beziehungen zum
südlichen Nachbarn Iran zu begegnen. Dabei ist die Haltung Russlands alles andere als
eindeutig: Verwunderung löste etwa Wladimir Putins Offerte aus, dass Bush sein geplantes
Raketenabwehrsystem ausgerechnet in Aserbaidschan stationieren solle.
Allerdings
ist das Angebot bei genauerem Hinsehen weniger abstrus als es scheint: Das
Siedlungsgebiet der Aseris, schiitischer Türken, ist etwa zur Hälfte Teil des Iran. Und
die Exklave Nachitschewan ist - wenn man so will – nicht nur durch armenisches, sondern
viel mehr noch durch iranisches Gebiet vom Mutterland getrennt. Entsprechend gespannte
Beziehungen hegt Aserbaidschan, das überdies wie seine Schutzmacht Türkei in die NATO
möchte, zur islamischen Republik. Nicht berücksichtigt ist bei dieser Rechnung allerdings
die Gefahr eines Umsturzes in der ehemaligen Sowjetrepublik, in der es durchaus auch
erstarkende islamistische Kräfte gibt.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25807/1.html
Peter Mühlbauer
25.07.2007
Nachdem ein hoher Ölpreis die Kassen Aserbaidschans füllte, ist die
Kriegsgefahr im Kaukasus gestiegen
Bergkarabach der ehemalige Geheimagent Bako
Sachakjan mit einer Letzte Woche wurde im De-Fakto-Staatfast georgischen Mehrheit von 83
% der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Vor der Wahl hatte Aserbaidschans Präsident Ilcham
Alijew gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Novosti gedroht, Armenien solle sich ais dem
Territorium "zurückziehen" damit ein neuer Waffengang vermieden werde. Aserbaidschan, so
Alijew, sei mittlerweile militärisch gesehen "der stärkste Staat in der Region", und
seine Nachbarn müssten sich "dessen bewusst werden".
Tatsächlich rüstete
Alijews Republik im letzten Jahr für 650 Millionen US-Dollar, während Armenien weniger
als ein Viertel dieses Betrages aufbrachte. 2007 soll das aserbaidschanische
Militärbudget sogar höher liegen als die kompletten armenischen Staatsausgaben. Trotz
zwölf Prozent Wirtschaftswachstum (auf allerdings sehr niedrigem Niveau) kann Armenien
nicht mit dem ölreichen Aserbaidschan konkurrieren. Das hat etwa neun Millionen
Einwohner, Armenien nur zweieinhalb bis drei. Da helfen auch die Überweisungen der etwa
vier bis zehn Millionen Auslandsarmenier nur bedingt. Allerdings verweist die Schutzmacht
Bergkarabachs auf den Motivationsvorteil, dass die Soldaten dort ihr eigenes
Siedlungsgebiet quasi an der eigenen Haustür verteidigen – und nicht etwa am Hindukusch.
Der Konflikt begann Ende der 1980er, als es nach Unabhängigkeitsforderungen der
armenischen Mehrheit in Bergkarabach zu Pogromen in Sumgait kam, in deren Folge viele
Armenier aus Aserbaidschan flüchten. Am 2. September 1991 erklärte sich das Autonome
Gebiet für unabhängig, worauf aserbaidschanische Truppen einmarschierten und von
armenischen Kräften zurückgeschlagen wurden. Diese besetzten aus militärischen Gründen
auch einen Korridor zwischen Armenien und Bergkarabach, der jedoch nicht nur aus den zwei
1929 an Aserbaidschan abgetretenen, sondern gleich aus sieben überwiegend von Aseris
besiedelten Landkreise bestand.
Insgesamt wurden während der
Auseinandersetzungen etwa 530.000 Aserbaidschaner aus von Armeniern kontrollierten
Gebieten und 250.000 Armenier aus Aserbaidschan vertrieben. 1994 wurde ein
Waffenstillstand geschlossen. Seitdem geht der Krieg nur noch im Internet weiter.
Die
Frage der völkerrechtlichen Gültigkeit der Abspaltung ist weniger eindeutig als sie auf
den ersten Blick scheint: Das am 3. April 1990 erlassene Sowjetgesetz "Über das Verfahren
der Entscheidung von Fragen, die mit dem Austritt einer Unionsrepublik verbunden sind"
enthielt eine Schutzklausel für Autonome Gebiete, die im Falle eines Austritts der
Republik aus der Sowjetunion per Volksabstimmung über ihren Status entscheiden sollten -
was in Bergkarabach 1991 geschah.
Ob Alijews Säbelgerassel tatsächlich der Vorbote
einer Wiederaufnahme des Krieges ist, bleibt abzuwarten: Unter anderem ist fraglich,
inwieweit sowohl Aserbaidschan als auch Armenien ein tatsächliches Interesse an der
Beendigung eines Zustands haben, mit dem sich bei innenpolitischen Problemen und
Demokratiedefiziten perfekt ablenken lässt.
Weitgehend im Unklaren ist allerdings die
Zukunft des umstrittenen Gebiets, das nur zwischen 140- und 150.000 Einwohner zählt -
weit weniger als während des Krieges vertrieben wurden. Der armenische Präsident Robert
Kotscharjan, der selbst aus Karabach stammt, vermied bisher den Begriff des Anschlusses
und sprach stattdessen von einer "asymmetrischen Konföderation" als Modell für Armenien
und Bergkarabach.
Die EU, die NATO und der Genozid
Anders als im Fall des
Kosovo-Gebiets will man aber bei EU und NATO nichts von einer Anerkennung der
Unabhängigkeit Bergkarabachs wissen. Hintergrund ist zum Teil die Haltung des
NATO-Mitglieds und EU-Beitrittskandidaten Türkei, die sich zum einen als Schutzmacht
Aserbaidschans begreift und zum anderen einen ungelösten historischen Konflikt mit dem
armenischen Volk mit sich herumschleppt.
Außerhalb der Türkei ist mittlerweile
relativ unstrittig, dass während des Ersten Weltkrieges eine enorm große Zahl von
Armeniern und Assyrern bei Deportationen ums Leben kam –sowohl durch enorme Brutalität
als auch durch Hunger, Durst und Erschöpfung. Allerdings verweisen Kritiker des
Völkermord-Begriffs wie Guenter Loewy darauf, dass das osmanische Reich nicht einmal
logistisch dazu in der Lage war, seine eigenen Soldaten zu versorgen, so dass diese
ebenfalls in großer Zahl verhungerten. Zweifelhaft ist auch, inwieweit die Tötungen
tatsächlich von der Führung des osmanischen Reiches geplant und inwieweit sie die
Eigeninitiative der kurdischen Agas waren, die sich auf diese Weise Land, Eigentum und
Frauen aneigneten.
Als am 28. Mai 1918 die "Demokratische Republik Armenien"
ausgerufenen wurde, die sich flugs der Entente anschloss, da war das ihr im Vertrag von
Sèvres zugebilligte Gebiet in jedem fall schon so weitgehend "gesäubert", dass kaum mehr
Armenier dort lebten. Entsprechend schwach war der Widerstand, den der junge Staat trotz
der Hilfe britischer Truppen Atatürks Konsolidierungsfeldzug entgegensetzen konnte.
Schließlich teilten sich im Vertrag von Kars die Türkei und die Sowjetunion das
Territorium.
Letztere integrierte das verbliebene armenische Siedlungsgebiet als
eigene Republik. 1929 schlug Stalin den Osten dieser armenischen Sowjetrepublik dem
benachbarten und damals ebenfalls zur Sowjetunion gehörigen Aserbaidschan zu. Der
Korridor um Kelbajar und Lachin wurde direkt integriert, der Rest, das heutige
Bergkarabach, wurde Autonome SSR ohne territoriale Verbindung zur Armenischen SSR.
Feinde und Verbündete
Die Türkei und Aserbaidschan blockieren seit dem
Krieg um Bergkarabach die armenischen Grenzen. Armenien versucht der Einkreisung durch
den "Pakt für kollektive Sicherheit" mit Russland und durch gute Beziehungen zum
südlichen Nachbarn Iran zu begegnen. Dabei ist die Haltung Russlands alles andere als
eindeutig: Verwunderung löste etwa Wladimir Putins Offerte aus, dass Bush sein geplantes
Raketenabwehrsystem ausgerechnet in Aserbaidschan stationieren solle.
Allerdings
ist das Angebot bei genauerem Hinsehen weniger abstrus als es scheint: Das
Siedlungsgebiet der Aseris, schiitischer Türken, ist etwa zur Hälfte Teil des Iran. Und
die Exklave Nachitschewan ist - wenn man so will – nicht nur durch armenisches, sondern
viel mehr noch durch iranisches Gebiet vom Mutterland getrennt. Entsprechend gespannte
Beziehungen hegt Aserbaidschan, das überdies wie seine Schutzmacht Türkei in die NATO
möchte, zur islamischen Republik. Nicht berücksichtigt ist bei dieser Rechnung allerdings
die Gefahr eines Umsturzes in der ehemaligen Sowjetrepublik, in der es durchaus auch
erstarkende islamistische Kräfte gibt.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25807/1.html