Hamas erobert Fatah-Hauptquartier
19.06.2007 um 00:44
Wie gut, dass Arafat tot ist
„Wie gut, dass Arafat tot ist und nicht erleben musste,wie diese Gangsterbande der Hamas seine Wohnung in Gaza plünderte“, schluchzte SaebErekat, ehemaliger Chefverhandler und Berater Jassir Arafats, mit Tränen vor laufenderKamera. Sprecher der Hamas kontern mit gleichen Bandagen, wenn sie die „korrupten Säcke“der Fatah als „Handlanger der Amerikaner und der Zionisten“ verunglimpfen. In den Mediengeht der Krieg weiter. „Selbst die Israelis haben sie nie so blutrünstig benommen wiejetzt die Hamas in Gaza“, schimpft Erekat...
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 18.Juni 2007
Im Gazastreifen gibt es nur noch einen ausländischen Journalisten. AlanJohnston von der BBC wurde vor drei Monaten von der Darmusch-Familie entführt. Er werde„in Kürze“ frei sein, protzten Sprecher der Hamas, „sonst werden wir ihn gewaltsambefreien“. Der Versuch der Hamas, sich als verantwortungsvolle Ordnungsmachtdarzustellen, scheiterte jämmerlich. Ein maskierter Vertreter der Kidnapper-Familielehnte das Ultimatum ab. Erst müsse die britische Regierung alle Bedingungen erfüllen undGefangene freilassen.
Im Gazastreifen gehen die Menschen wieder auf die Straße, umsich mit Nahrungsmitteln einzudecken. Zuverlässige Informationen gibt es nicht. LokalePresseleute wagen aus Angst kein falsches Wort. Ausländische Journalisten werden von denIsraelis nicht nach Gaza reingelassen. Mangels Strom können die Informanten nicht dieBatterien ihrer Handys aufladen. Vielleicht sind sie tot oder geflohen. Niemandantwortet.
Trinkwasser wird mit Tanklastwagen verteilt, gegen Bezahlung. Zum Glückhat die UNO-Flüchtlingshilfeorganisation einen Tag vor Ausbruch der Gewalt dieDreimonats-Rationen Mehl, Zucker und Öl an die Bedürftigen ausgeteilt. Engpässe gibt esbeim Benzin. Die israelische Energiegesellschaft Dor-Alon stellte ihre Lieferungen ein:„Wir haben keinen Ansprechpartner. Niemand steht beim Warenterminal Karni, um das Benzinabzuholen und dafür zu zahlen.“ Alle Grenzübergänge, nach Israel und Ägypten, sindhermetisch geschlossen. Noch meldete sich niemand, der die Verantwortung übernehmenkönnte.
Die Hamas steht vor der Aufgabe, die gesamte Verwaltung, vomVerkehrspolizisten bis hin zum Kontakt mit der Außenwelt aufzubauen. Bisher war allesfest in der Hand der Fatah. Ihre Befehlshaber sind ermordet oder nach Ramallah geflohen.Wendehälse der Fatah äußerten sich schon „glücklich“ über das Ende derKorruption.
Ägypter wie Israelis ließen „Prominente“ aus Gaza einreisen. EinigeDutzend hoffen noch vor dem Erez-Übergang, von den Israelis reingelassen zu werden. AmMontag gab die Hamas mehrere Salven auf die Gruppe ab, während die Israelis in die Luftschossen, um sie auf Distanz zu halten. Die 5 Jahre alte Hila, Tochter des Fatah-MannesAbu Muhammad, weiß nicht, ob sie vor den israelischen Soldaten oder den Hamaskämpfernmehr Angst haben sollte: „Am meisten fürchte ich mich vor den Schüssen.“
DieSpaltung der Palästinenser in „zwei Regierungen und zwei Länder für ein Volk“ machtePräsident Abbas mit der Vereidigung von 11 Ministern unter Salam Fajad perfekt. AmKabinettstisch sitzen unbekannte Gesichter, unabhängige Technokraten. Nur Fajad ist alsehemaliger Weltbank-Mitarbeiter bei Amerikanern wie Europäern gut eingeführt. Diechristliche Chulud Daibes, die zehn Jahre lang in Hannover lebte, bleibtTourismusministerin. Aber bekannte Gesichte wie Mustafa Barguti blieben außen vor, auchohne zur Hamas zu gehören. Der fristlos entlassene Hamas-Premier Ismail Hanija hält dieNotstandsregierung für illegal, weil Abbas die Verfassung gebeugt habe, anstatt dieRegierung vom Parlament absegnen zu lassen. Doch im Parlament hat die Hamas die Mehrheit,wenn nicht ihre Abgeordneten in Israel, und nach einer Razzia der Fatah imWestjordanland, im Gefängnis säßen.
Während Israels Premier Ehud Olmert inWashington mit Präsident Bush berät, wie der Westen mit dem „Hamastan“ von Irans Gnadenan der Grenze Israels umgehen sollte, gibt es bisher nur den Beschluss „keine humanitäreKatastrophe“ zuzulassen. Mangels Partnern im Gazastreifen, wurde das Rote Kreuz (IKRK)gebeten, Medikamente nach Gaza zu bringen. Die Ägypter, bisher Vermittler zwischen Fatahund Hamas, haben alle ihre Kontakte abgebrochen. Die Diplomaten und Geheimdienstleutereisten nach Kairo ab. Die Grenze zu Ägypten, das einzige „Tor zur Welt“ für die Menschenin Gaza, ist hermetisch geschlossen, nachdem Hamaskämpfer das Terminal gestürmt undausgeplündert haben.
Niemand sollte Prognosen aufstellen. Das Verhalten der Hamasbleibt unberechenbar, nachdem sie das Staatsarchiv im Regierungssitz in Flammen aufgehenund Arafats Souvenirs, Autos und Staatsgeschenke mitgehen ließ. Niemand weiß, ob auch dasWestjordanland fallen wird. Knapp 5000 Hamaskämpfer haben innerhalb von Tagen dieStreitmacht der Fatah mitsamt 60.000 Männern unter Waffen geschlagen.
Derextremistische ehemalige Hamas-Außenminister Mahmoud Asahar lieferte derweil eine neueVersion der Ereignisse: Eine aufgebrachte Menge habe die Fatah-Stellungen gestürmt, umMorde an Familienangehörigen zu rächen. Die Hamaskämpfer hätten dann den Pöbel amPlündern der geräumten Stellungen verhindert.