Die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung haben Anfang Juni den ersten Bildungsbericht „Bildung in Deutschland“ vorgelegt. Schwerpunktthema ist der Zusammenhang von „Bildung und Migration.“ Die Untersuchung bestätigt einmal mehr die Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem.
Der Bericht verarbeitet neben den Ergebnissen der PISA- und IGLU-Studien (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) auch Daten des Mikrozensus, der amtlichen Repräsentativstatistik in Deutschland (vgl. MuB 1/02, 3/03, 4/03). In dieser so genannten „kleinen Volkszählung“ wurden 2005 erstmals über die Staatsangehörigkeit hinausgehende Informationen erfasst, was eine breitere Definition des Merkmals „Migrationshintergrund“ ermöglicht.
Allerdings spielt die Staatsangehörigkeit als Indikator für den Migrationshintergrund einer Person nach wie vor eine bedeutende Rolle, da in Teilstatistiken noch keine entsprechende Umstellung der Erhebung vollzogen wurde. Deshalb wird im Bericht mal von Personen mit Migrationshintergrund, an anderer Stelle hingegen von Ausländern gesprochen. Nach der im Mikrozensus angewandten Definition umfasst die Bevölkerung mit Migrationshintergrund sowohl ausländische als auch deutsche Staatsbürger. Darunter sind etwa zugewanderte und in Deutschland geborene Ausländer, Spätaussiedler, Eingebürgerte mit persönlicher Migrationserfahrung sowie deren Kinder, die selbst keine unmittelbare Migrationserfahrung aufweisen. Personen mit Migrationshintergrund sind entweder selbst zugewandert oder gehören der zweiten bzw. dritten Generation an (vgl. MuB 5/06).
Aus bildungspolitischer Sicht sei insbesondere der Anteil der jüngeren Bevölkerung mit Migrationshintergrund von Interesse, so der Bericht. Es zeige sich, dass in Deutschland jedes dritte Kind unter sechs Jahren einen Migrationshintergrund aufweist (32,5 %). Bei der Gruppe der unter 25?Jährigen liege der Anteil bei 27,2 %.
Der Bildungsbericht stellt fest, dass die große Heterogenität der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, vor allem im Hinblick auf ihren Aufenthaltsstatus, den Zeitpunkt der Zuwanderung und ihre ethnische Zugehörigkeit, eine besondere Herausforderung für die erfolgreiche Integration in das Bildungssystem sei. Dies erfordere „differenzierte bildungspolitische Strategien zur Integrationsförderung.“
Die neuen Daten ermöglichen erstmals eine fundierte Gegenüberstellung des Bildungsstandes von Ausländern und Eingebürgerten. In der Gruppe der 25- bis 35-Jährigen zeigt sich, dass Eingebürgerte deutlich seltener ohne einen schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss bleiben. Insgesamt zeigen Eingebürgerte einen höheren Bildungsstand als Ausländer, wobei Deutsche ohne Migrationshintergrund im Vergleich die günstigste Bildungsstruktur aufweisen.
Der Bericht untersucht auch die Besuchsquoten in verschiedenen Einrichtungen des Bildungssystems sowie die verschiedenen Übergänge im Laufe einer Bildungsbiographie. Beim Besuch von Kindertageseinrichtungen bestehen zwischen Deutschen und Ausländern nur geringe Differenzen. 89 % der deutschen Kinder ab vier Jahren besuchten eine solche Einrichtung, bei ausländischen Kindern seien es 84 %. Anders sieht es jedoch bei den 3-Jährigen aus: Während 72 % der deutschen Kinder dieses Alters eine Kindertageseinrichtung besuchten, liege der Anteil bei ausländischen Kindern mit 56 % wesentlich darunter. Die Autoren verweisen darauf, dass geringe Besuchsquoten der Kinder mit einem niedrigen Bildungsabschluss der Eltern zusammenhängen, die ethnische Herkunft hingegen keinen entscheidenden Einfluss habe.
Deutliche Unterschiede gibt es auch beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen der Sekundarstufe. Die PISA-E-Studie aus dem Jahr 2000, die eine Erweiterung der PISA-Studie darstellt und die einzelnen Bundesländer genauer untersucht, enthält entsprechende Daten für die Schüler der 9. Jahrgangsstufe. 15,1 % der Schüler ohne Migrationshintergrund wechselten demnach von der Grundschule auf die Hauptschule, bei Schülern mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil lag der Anteil bei 27,6 %, bei Kindern türkischer Herkunft waren es 40,6 %. Gerade bei Schülern türkischer Herkunft war der Anteil derer, die von der Grundschule auf ein Gymnasium wechselten, mit 19,8 % relativ gering. Der entsprechende Wert bei Schülern ohne Migrationshintergrund lag mit 38,8 % fast doppelt so hoch.
Der Schulerfolg von Migranten hängt laut Bildungsbericht bzw. PISA-Studie vor allem von der Sprachpraxis im Elternhaus, dem Einwanderungsalter und dem Bildungsgrad der Eltern ab. Bemerkenswert ist auch das Ergebnis der IGLU-Studie, dass Schüler mit Migrationshintergrund in der Grundschule auch bei gleicher Leistung und sozialer Herkunft etwas schlechtere Noten erhalten als Schüler ohne Migrationshintergrund – mit entsprechenden Folgen für die Chancen beim Übergang auf höhere Schulen. Ob es sich hierbei explizit um so genannte institutionelle Diskriminierung handelt, lässt der Bericht offen.
Auch beim Anteil der 15-Jährigen in den verschiedenen weiterführenden Schulen zeigen sich deutliche Unterschiede. 31,8 % der 15-jährigen Schüler mit Migrationshintergrund besuchen eine Hauptschule, der entsprechende Anteil der Schüler ohne Migrationshintergrund beträgt 16,6 %. Ein Gymnasium besuchen 33,3 % der 15-jährigen Schüler ohne bzw. 24,6 % der Schüler mit Migrationshintergrund. Allerdings gibt es innerhalb der Gruppe der Migranten erhebliche Unterschiede. So besuchen nur 12,5 % der 15-jährigen türkischen Schüler ein Gymnasium, fast jeder zweite dieser Gruppe ist Hauptschüler (48,3 %).
Der Bericht behandelt auch die Übergänge in die Berufsausbildung und an die Hochschule. Dabei zeige sich, dass „die Schwierigkeiten ausländischer Jugendlicher, einen Ausbildungsplatz im dualen Berufsausbildungssystem zu erhalten, deutlich größer sind als für deutsche Jugendliche.“ Dies liege jedoch nur zum Teil an geringeren schulischen Qualifikationen. Selbst bei gleichen Fachleistungen seien die Chancen deutscher Jugendlicher auf eine Berufsausbildung doppelt so hoch wie bei ausländischen Jugendlichen, so dass Migranten „deutlich bessere schulische Vorleistungen erbringen müssen als ihre deutschen Altersgenossen.“
Bei der Bewertung des Übergangs an die Hochschule müsse berücksichtigt werden, dass bereits in den vorgelagerten Bildungseinrichtungen des dreigliedrigen Schulsystems potenziell eine Vorselektion stattfindet. Migranten seien, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, unter allen Studienberechtigten unterrepräsentiert. Bemerkenswert sei jedoch, dass die Übergangsquote auf eine Hochschule bei Studienberechtigten mit Migrationshintergrund „signifikant höher ist als unter den Studienberechtigten ohne Migrationshintergrund.“ Die Autoren des Bildungsberichts erklären dies damit, dass der Wille zum Bildungsaufstieg in dieser „stark vorgefilterten“ Gruppe offenbar besonders ausgeprägt sei: „Wer es so weit geschafft hat, will dann auch studieren.“
http://www.network-migration.org/miginfo/migration_und_bevoelkerung/artikel/060609.htm