Menschenrechte in China / Olympiade 2008
15.08.2008 um 16:19
Wen scheren denn schon Menschenrechte, wenn es darum geht, viel Geld zu verdienen?
"Nie war Olympia ein größeres Geschäft als in China. Die Veranstalter rechnen mit Einnahmen von drei Milliarden Dollar. Nationale Olympische Komitees streiten bereits um ihren Anteil am Gewinn
Der Greis, der das Milliardengeschäft losgetreten hat, geht schleppend durch das Foyer des Beijing-Hotels. Er muss sich mit der linken Hand auf die Schulter einer blonden Assistentin mittleren Alters stützen, wirkt aber wohlgebräunt. Er braucht ohnehin keinen schnelleren Schritt: Immer wieder muss Juan Antonio Samaranch, 88, Halt machen, um alte Fahrensleute fröhlich per Handschlag zu begrüßen: "Schön, Sie zu sehen."
Der Spanier pflegte 20 Jahre lang das Internationale Olympische Komitee (IOC) als Präsident mit eiserner Hand zu führen. Selbst im loyalen Dienste zu General Franco aufgestiegen, fühlt er sich wohl in Ländern wie Russland oder nun in China, die von der Demokratie soviel halten wie er selbst: gar nichts. Nicht zuletzt Samaranch war es, der drei Tage vor dem Ende seiner Dienstzeit im Juli 2001, mit einer seiner letzten Amtshandlungen, die Wahl Pekings zur Ausrichterstadt verfügt hat. Damals funktionierte das IOC noch nach Befehl und Gehorsam, die Mitglieder spurten, weil Samaranch persönlich die meisten ausgesucht und aufgenommen hatte, ohne Rücksicht auf deren Integrität.
Als er antrat, galten die Olympier als Altherrengeheimbund, der vor der Pleite stand, weil seine wichtigste Einnahmequelle, die Spiele, nach zwei Boykotten in die Bedeutungslosigkeit zu rutschen drohten. Samaranch holte viele Quertreiber an Bord und gewährte ihnen fürstliche Anteile am steilen kommerziellen Aufstieg des Komitees. Als er das IOC 2001 an den belgischen Chirurgen Jacques Rogge (66) übergab, war zwar die Bestechlichkeit vieler Kollegen gerade aufgeflogen, aber die fünf bunten Ringe zählten zu einer der wertvollsten Marken der Welt.
Der Trend hat angehalten: Mit der in Peking endenden Olympiade, dem Zeitraum zwischen zwei Sommerspielen, hat das IOC 866 Mio. Dollar von zwölf Top-Sponsoren kassiert, weitere 1,737 Mrd. Dollar aus dem Verkauf der Übertragungsrechte. "Ich bin zuversichtlich, dass wir vor dem Jahresende die Marke von über einer Milliarde Einnahmen aus dem Top-Programm überwinden", sagt der Norweger Gerhard Heiberg, (69), einst Organisator der Winterspiele 1992, der von Rogge 2001 wegen seiner Integrität zum Chef der Marketingkommission berufen wurde: "Obwohl die Welt in eine Rezession rutscht, werden wir zunehmend von Weltklasse-Unternehmen angesprochen, die Sponsor des IOC werden wollen. Ich glaube, es ist uns gelungen, herüber zu bringen, dass die fünf Ringe, die Spiele wieder etwas Besonderes sind."
Tatsächlich bringt kein anderes Ereignis die Welt so zuverlässig zusammen wie Olympia mit seinen 10 500 Athleten in 29 Sportarten aus 205 Nationalen Olympischen Komitees in Peking. Diesmal sind drei Staaten mehr dabei als vor vier Jahren in Athen. "Über die Bestmarke sind wir sehr stolz", sagt Rogge, "weil sie die Universalität der Spiele beweist."
Ohne unnötige Skrupel brachte Samaranch mit Hilfe des Sportartikelunternehmers Horst Dassler das IOC auf Kommerzialisierungskurs. 1981 in Baden-Baden ließ der Präsident den Amateurparagraphen abschaffen, um zu gewährleisten, dass alle Stars der Welt durch ihr zahlreiches Erscheinen den Wert der Spiele steigern. Dann ließ er 1985 das Top-Sponsorprogramm einführen. Dessen tieferer Sinn liegt im Schutz seiner Teilnehmer: Kein Veranstalter einer Großsportveranstaltung hat mit ähnlicher Rigorosität die Rechte seiner Geldgeber verteidigt. Nach und nach wurden die Schutzzonen um die Sportstätten immer weiter ausgedehnt - bis zum Nonplusultra in Peking, wo die Diktatur kurzerhand alle Plakatwände nur mit dem Logo der Spiele bekleben ließ: "One world, one dream." Kein demokratisches Land könnte eine ähnliche Werbefreiheit in einer Stadt garantieren.
Die Fürsorge liegt auf der Hand, denn in den Stadien und Sporthallen gucken sogar IOC-Sponsoren in die Röhre: Keine Banden, keine Brustwerbung - im Fernsehen will Olympia jungfräulich und rein und werbefrei herüberkommen. "Die Sponsoren schätzen, dass wir weiter für Werte und Ziele wie Frieden, Solidarität, Freundschaft, und Fairplay stehen", beobachtet Heiberg, "ich hoffe, sagen zu können, wir verfolgen eine Mission."
Zum Ende der Ära Samaranch war das in den Hintergrund getreten: Als 1998 die Korrumpierbarkeit von IOC-Mitgliedern im großen Stile im Zuge des Skandals um die Vergabe der Winterspiele nach Salt Lake City aufflog, rauschte das Komitee in seine schwerste Krise. Zehn Abkassierer mussten gehen.
Ausgerechnet die Rekordspiele von Peking erweisen sich nun als heikelste Angelegenheit in Rogges Regentschaft. Besser als auf dem größten Binnenmarkt der Welt mit seinen über 1,3 Milliarden Konsumenten ließen sich Spiele nie vermarkten. Doch ist dies unter dem Diktat des Politbüros zugleich ein gefährliches Unterfangen. Besonders delikat ist das Geldverdienen für das IOC geworden, seit die Chinesen die Unruhen in Tibet im Frühjahr brutal niedergeknüppelt haben, Menschenrechtler noch rüder behandeln und die Medien zensieren.
Für die Geld gebenden Firmen gilt seit der Flut an Negativmeldungen die Werbewirksamkeit der Ringe nicht mehr unbeschränkt. Dabei lassen sich die zwölf exklusiven Top-Sponsoren von Coca Cola bis McDonald's ihr Engagement mindestens 50 Mio. Dollar pro Olympiade kosten. Nun müssen sie sich öffentlich dafür rechtfertigen und mit ansehen, wie Chinas Behörden den Bereich am Olympiastadion abriegeln, wo die prunkvollen Schaubauten der Sponsoren stehen. Wegen der eingeschränkten Visa-Vergabe an Ausländer müssen sie sich sorgen, nicht alle geladenen Gäste überhaupt ins Land zu bekommen.
"Wir scheinen eine Lösung zu finden, denn wir führen sehr ernste Gespräche mit den Chinesen, dass sie die Leute einlassen müssen, ob sie mögen oder nicht", sagt IOC-Chefvermarkter Heiberg und droht: "Diese Unternehmen bezahlen viele Millionen Dollar, um sich 16 Tage lang bei uns darstellen zu dürfen. Wird niemand hereingelassen, die Produkte anzusehen, ist das rausgeworfenes Geld. Die Unternehmen werden uns dann verklagen und wir werden die chinesischen Behörden verklagen."
Allein die Spiele dienen dem Komitee selbst und vor allem den kleineren internationalen Sportverbänden als einzige richtige Einnahmequelle. Das IOC behält acht Prozent der erwirtschafteten Summen ein, zahlt daraus die laufenden Kosten und bildet seit sieben Jahren auch Rücklagen für den Fall, dass Sommerspiele einmal ausfallen müssen. Rogge ließ nach den Terrorangriffen des 11. September für den Notfall vorsorgen. Eine Ausfallversicherung wäre nicht rentabel gewesen. "Nun", sagt er, "könnten wir eine Olympiade mit den Mitteln überbrücken."
Etwa eine Mrd. Dollar fließt an das jeweilige örtliche Organisationskomitee der Spiele, in Peking das BOCOG. Am Rest partizipieren die Nationalen Olympischen Komitees und die internationalen Verbände, die selbst einen Verteilungsschlüssel gewählt haben. Die 29 Sportarten der Spiele sind nach Größe und Medienwirksamkeit in vier Gruppen eingeteilt. Während etwa die Modernen Fünfkämpfer in der Kategorie 3 gut sieben Mio. Dollar vom Kuchen bekommen, kassiert der Weltleichtathletikverband IAAF im Topsegment etwa das Dreifache.
In den kommenden Tagen stehen dem Vermarkter Heiberg weitere brisante Gespräche bevor, weil es gilt, Privilegien zu streichen. Viele Herren der Ringe nehmen Anstoß an der bevorzugten Behandlung des amerikanischen Nationalen Olympischen Komitees USOC. Als 1996 fast alle Einnahmen des IOC aus den USA kamen, ließ sich das USOC eine segensreiche Garantie geben: Es darf 12,5 Prozent der Fernseheinnahmen und 20 Prozent aller Marketingerlöse abgreifen. Auf ewig, denn der Vertrag weist kein Ablaufdatum auf. Doch heute haben sich die Verhältnisse geändert, chinesische Sponsoren wie dem Computerhersteller Lenovo oder das koreanischen Unternehmen Samsung gehören nun ebenfalls zu den Top-Zahlern. "Wir wollen das ändern und sind in guten Gesprächen", sagt Heiberg mit Bezug auf die US-Privilegien. Für diese Olympiade rechnen die Amerikaner mit 300 Mio. Dollar, für jene ab 2009 gar mit 450 Mio. - "verglichen mit den Anteilen der anderen", flucht der niederländische IOC-Mann Hein Verbruggen "eine unmoralische Geldmenge"."
Die Welt, 4.8.08
Herr Samaranch war übrigens seinerzeit Sport-Minister der spanischen Franco-Diktatur.