Keine Gnade den Feinden unserer Republik ? (RAF)
25.03.2007 um 19:39
Unter Gespenstern
Gesichter durchstreichen: Mit 16 durch den deutschen Herbst
Von Wiglaf Droste
Und wieder einer durchgestrichen, mitKugelschreiber oder Filzstift ein Kreuz durchs Gesicht, von links oben nach rechts untenund dann von rechts oben nach links unten, und der Terrorist war ausgelöscht.
Das war Deutschland 1977: In jeder Bäckerei, in jedem Metzgerladen, in jeder Filialeder Post, der Banken und Sparkassen hing der Gruppensteckbrief mit den Fotos und Namender RAF-Leute, und wenn die staatlichen Sicherheitsorgane einen zur Strecke gebrachthatten, dann konnten die guten Deutschen das mit dem Stift noch einmal selber tun: einenwegmachen, durchstreichen, und ab dafür.
Das war schockierender als das Schießenund Morden selbst: diese Genugtuung der Mitläufer, daß es wieder einen erwischt hatte,zum Ausdruck gebracht im Durchstreichen eines Gesichts. Daß ich den Landsleuten nichttrauen konnte beziehungsweise ihnen eben alles zutrauen mußte, hatte ich imGeschichtsunterricht gelernt. Die Praxis zeigte: Die Deutschen hatten sich nichtgeändert. Die wollten immer noch ausmerzen. Mit dem Kugelschreiber – und dann hinterherbeteuern, daß man doch gar nichts getan habe. Ein Volk von Eichmännern. So lernte ich siekennen, die Deutschen, im Jahr 1977.
Kopf ab!
30 Jahre später erlebt Deutschlandeine Gespensterdiskussion. Ausgelöst durch die Frage, ob inhaftierte RAF-Mitglieder,verurteilt wegen Mordes, nach Verbüßung ihrer Strafe begnadigt oder entlassen werdendürfen, erhebt sich bei Christiansen oder in anderen zuverlässigen Höllen der Gratismoralund Propaganda ein Geschrei von »Kopf ab!« und Gnadenferne, das einen weiterenDegenerationsprozeß der Deutschen dokumentiert. Was sie Zivilgesellschaft nennen, istungebremste Brutalität. Von den Motiven der Leute, die als Mitglieder der Bewegung 2.Juni oder der RAF militant einen Staat bekämpften, den sie als NS-Nachfolgeunternehmenanalysierten, ist nicht mehr die Rede. An dem Tag, als Kurt Georg Kiesinger, ehemaligerReferent bei Joseph Goebbels, deutscher Bundeskanzler wurde, hatte nicht nur UlrikeMeinhof das Treiben der sauber entnazifizierten Nazideutschen satt.
BommiBaumann, Mitglied der Bewegung 2. Juni, die sich nach dem Todestag des vom PolizistenKurras am 2. Juni 1967 in Berlin erschossenen Studenten Benno Ohnesorg nannte, hat es inseinem zweiten Buch »Hi Ho« 1979 so beschrieben: »Es ging uns damals, da hat UlrikeMeinhof uns allen aus der Seele gesprochen, um Antifaschismus. Keiner will das begreifen,keiner spricht das aus. … Du kommst in Deutschland irgendwann an den Punkt, wo du überdie Vergangenheit nachdenken mußt. Und wenn du begreifst, daß genau die, die dir sagen,wie du leben sollst, für die Greuel von damals verantwortlich sind oder ihren Blickabgewendet haben und nichts wissen wollten. Dann war das für uns der Punkt. Ich bin indem Bewußtsein groß geworden: Ich hasse diese ganze Generation. Die Geschichte sprichtsie nicht frei. … Wenn ich heute diese Sprüche höre, wie: Die 68er-Generation, die sindschlimmer als die Nazis – da kommt’s mir nochmal hoch. … Der bayerische Rechnungshofschreibt der Witwe von Herrn Freisler, daß sie selbstverständlich doppelte Rente bekäme,weil Herr Freisler ja auch in der Bundesrepublik Beamter geworden wäre.«
Davonist in der Terrorismus-Begnadigungsdebatte 2007 kein Wort zu hören: daß, so mörderischverrannt und falsch der »Bewaffneter Kampf« genannte Sturm im Wasserglas auch gewesensein mag, es veritable Gründe gab, den deutschen Staat und seine Repräsentanten zu hassenund zu bekämpfen.
In den Osterferien 1977, ich war noch nicht 16, machte ich einSchülerpraktikum bei einer Bank – meine Eltern hatten das für eine Idee gehalten. Täglichfuhr ich mit dem Mofa zur Arbeit und bewies dabei meine kriminelle Energie: Dasführerscheinfrei fahrbare Mofa hatte ich, wie das damals hieß, »spitzgemacht«; meinGefährt schaffte etwa die doppelte Geschwindigkeit der erlaubten 25 km/h. In derBankfiliale wurde ich von einer älteren Dame betreut, die Zeugin Jehovas war undtatsächlich Frau Göttlicher hieß. Eines Mittags stürzte der Filialleiter in die Kantine.Er war außer sich und berichtete von der Ermordung des Generalbundesanwalts SiegfriedBuback. Dann verlangte er, daß alle zu einer Gedenkminute aufstehen sollten. Es warvollendet absurd – aber wie die Deutschen so sind, sprangen gleich alle auf. FrauGöttlicher blieb sitzen; diese weltlichen Dinge gingen sie nichts an, sagte sie, und auchich müsse nicht aufstehen, wenn ich nicht wolle.
Zwar hatte sie mir zur Erbauungein Buch mit dem Titel »Mache deine Jugend zu einem Erfolg« geschenkt, in dem sehrdramatisch und unfreiwillig hochkomisch vor den Gefahren der Sexualität und derSelbstbefleckung gewarnt wurde, sie hatte auch eine schwere religiöse Schacke, aber Muthatte sie. Alle starrten sie an. Sie blieb sitzen, nicht demonstrativ, sondern mit einerSelbstverständlichkeit, die nicht zu erschüttern war. Ich blieb ebenfalls hocken. Weshalbhätte ich aufstehen sollen? Die als »Terroristen« Gesuchten erschienen mir als RobinHoods. Sie jagten den Nazinachfolgern wenigstens Angst ein. So kam es mir mit 15 vor,mehr mußte ich damals nicht wissen.
Keine Trauer
Auch die Ermordung Hanns-MartinSchleyers löste bei mir keine Trauer aus. Schleyer war ranghoher NS-Wirtschaftsfunktionärund SS-Offizier gewesen, er hatte die Arisierung der tschechoslowakischen Wirtschaftbetrieben, die Schmisse in seinem Gesicht kündeten von seiner studentischenVerbindungsschlägervergangenheit, und wenn es eine Person gab, in der die Kontinuitäteiner Nazikarriere in der Bundesrepublik sinnbildlich und beispielhaft war, dann war esHanns-Martin Schleyer.
Auf Schleyers Ermordung folgte, was man den »DeutschenHerbst« nennt. Es war eine kollektive Finsternis. Sämtliche westdeutsche Medien beeiltensich, bei der »Nachrichtensperre« genannten Gleichschaltung freiwillig mit dabei zu sein.Es war der Initialpunkt für die Gründung der taz, der man das heute allerdings nicht mehranmerkt. Allenfalls marginal unterscheidet sich das Blatt von den Gespenstermedien desLandes.
Humorlose Desparados
30 Jahre nach dem »Deutschen Herbst« ist alles inder landesüblichen Geschichts- und Bewußtlosigkeit versackt: die Hysterie, dieMordgelüste, das Durchstreichen von Gesichtern. Die Leute von der Bewegung 2. Juni undder RAF waren keine Robin Hoods – sie waren im Wortsinn Desperados, Verzweifelte. DasUmbringen anderer ist kein geeignetes Mittel zur Verbesserung der Welt – es hat so etwasHumorloses, und es dokumentiert das deprimierende Aufgeben aller Versuche, mitintelligenten Waffen weiterzukommen. Ich bin kein Mörder. Das macht mich nicht zu einembesseren Menschen, allerdings zu einem anderen.
An der kitschigen, verlogenenErinnerungsfolklore, die um Siegfried Buback und Hanns-Martin Schleyer betrieben wird,möchte ich mich nicht beteiligen. Nach Schleyer ist in Stuttgart eine Mehrzweckhallebenannt worden, die architektonisch dem Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart-Stammheimähnelt. So gesehen sind die Täter und die Opfer, die ihrerseits Täter waren, doch nochzusammengelegt worden.
jw, 26.03.07