Trügerischer Erfolg für Europa
Von Renate Flottau , Belgrad
Aufatmen inEuropa: Nach der Wahl in Serbien könnte ein demokratischer Block die nächste Regierungbilden ohne die siegreichen Ultranationalisten. Doch die Probleme für die EU bleiben:Serbien will weder ein unabhängiges Kosovo noch den Kriegsverbrecher Mladic nach Den Haagliefern.
Belgrad - Noch herrscht im Westen eitel Freude. Schließlich hat derdemokratische Block, dem vier größere Parteien zugerechnet werden, die serbischenParlamentswahlen am Wochenende gewonnen - dank einer unerwartet hohen Wahlbeteiligung vonrund 61 Prozent.
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Der Katzenjammer könnteindes bald folgen. Denn was sich auf dem Papier als sichere Mehrheit darstellt - fast 150Abgeordnete im 250-Mann-starken Kabinett - könnte bei der Regierungsbildung schnell anideologischen Gräben wie auch dem zu erwartenden Kampf um Ministerposten und Ämterscheitern.
Serbiens derzeitiger Premier Vojislav Kostunica, den westliche Medienin der Vergangenheit eher als Nationalisten denn als Demokraten kritisierten, will seinePosition als Regierungschef verteidigen. Und dies, obwohl seine Demokratische ParteiSerbiens (DSS) nur einen mageren dritten Platz in der Wählergunst (16,38 Prozent)erreichte: Eine Koalition mit der Demokratischen Partei (DS) von Präsident Boris Tadic(mit 22,9 Prozent zweitstärkste Kraft) wäre die Basis dafür.
Doch der 62-Jährigekann auch damit drohen, allen westlichen Wünschen zum Trotz ein knappes Mehrheitskabinettmit den Ultranationalisten der Radikalen Partei (SRS, 28,32 Prozent) und MilosevicsSozialisten aufzustellen, die ebenfalls die Fünf-Prozent-Hürde nahmen.
ImKosovokonflikt unnachgiebig
Kostunicas unnachgiebige Haltung im Kosovokonflikt,welche jede Unabhängigkeit der Provinz kategorisch ablehnt, stünde der Position derSerbischen Radikalen Partei ohnehin näher. Absolut inakzeptabel sei die Idee, schrieb derPremier noch kurz vor den Wahlen dem neuen Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon, dass gegenserbischen Willen auf 15 Prozent des Landes ein albanischer Staat formiert werde.
Präsident Tadic würde zwar gerne die von der internationalen Gemeinschaftfavorisierte "große demokratische Koalition" mit der DSS, der G-17-Plus-Partei (6,79Prozent) und der Liberalen Partei LDP von Cedo Jovanovic (5,3 Prozent) bilden - doch nurungern seinem Intimfeind Kostunica dabei den Sessel des Regierungschefs überlassen undsich mit zwei Vizepremier-Posten für die DS begnügen.
Anreiz eines solchenHandels könnte für Tadic allenfalls die Zusicherung Kostunicas sein, dessen Partei werdeTadic bei der Wiederwahl als Präsident unterstützen. Die Liberalen unter Ceda Jovanovic -wenngleich dem demokratischen Block zugerechnet - hätten in dieserRegierungskonstellation kaum Chancen, ihre Politik durchzusetzen. Sie unterstützen alseinzige serbische Partei eine Unabhängigkeit des Kosovo.
Serbiens Politikerspielen auf Zeit
Sollte die Wahlkommission am Dienstag das amtliche Endergebnisbekanntgeben, müsste sich das Parlament bis spätestens 24. Februar konstituieren und dieRegierung bis 29. Mai gebildet sein. Eine Frist, die die Parteien angesichts der in Kürzeerwarteten Entscheidung über den künftigen Status des Kosovo höchstwahrscheinlich vollausschöpfen werden.
Denn wie immer der Vorschlag des Uno-Vermittlers MarttiAhtisaaris über die Zukunft des Kosovo ausfallen wird - Serbiens Politiker werden daraufkeine befriedigende Antwort wissen. Sprachakrobatik wie "überwachte oder bedingteUnabhängigkeit" werden weder die jetzige noch eine künftige Regierung in Belgrad zu einerAnerkennung bewegen können.
Dabei bauen die Serben nicht einmal auf das vonMoskau in Aussicht gestellte Veto im Uno-Sicherheitsrat gegen eine für Serbieninakzeptable Lösung. Angesichts leerer russischer Versprechungen während desBosnienkriegs werden Ankündigungen aus Moskau in Belgrad eher ungläubig kommentiert.
In der serbischen Hauptstadt fürchtet man vielmehr, dass in diesem Fall Washingtonund Tirana auch ohne Uno-Resolution einseitig das Kosovo als souveränen Staat anerkennenwürden. Angesichts der serbischen Ansprüche auf das Kosovo ist es verwunderlich, dass derLandstrich mit seinen historischen Klöstern in einer 500.000 Euro teurenTourismus-Werbung, die im Auftrag der serbischen Regierung derzeit auf CNN geschaltetist, paradoxerweise fehlt.
Zu befürchten ist, dass sich trotz aller Hoffnungendes Westens auch nach diesen Wahlen in Serbien politisch nur wenig verändern wird. DieKooperation der Regierung mit dem Haager Kriegstribunal und die Erfassung des alsKriegsverbrecher angeklagten und seit elf Jahren gesuchten General Ratko Mladic wird sichwie bisher fortsetzen: Es wird Versprechungen und fingierte Suchaktionen - aber keineAuslieferung geben. Längst ist erwiesen, dass alle serbischen Regierungen bisher um dasVersteck des angeblich "Verschwundenen" wussten, ja dessen Schutz sogar offiziellorganisierten.
Die EU muss nun entscheiden, schreibt der angesehene BelgraderAnalytiker Bratislav Grubacic, "was sie mit einem Land tun will, dessen Mehrheit undpolitische Elite zwar die Assoziierung mit der EU will, aber die Vorbedingungen ablehnt".
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,461432,00.html