http://www.welt.de/data/2006/10/01/1056702.htmlDie Freiheit der Kunst ist unteilbar
"Idomeneo" oder der Mullah im Kopf
Von Alan Posener
Einen "Krieg, denniemand vergessen wird", kündigten religiöse Fanatiker gegen die Aufführung desTheaterstücks in New York City an. Anonyme Schreiben drohten damit, jedes Mitglied derTheatertruppe "auszurotten" und das Haus selbst abzufackeln. Die Premiere wurde daraufhinabgesetzt. Auch in Deutschland gab es Todesdrohungen gegen Intendanten, die das Stück aufden Spielplan setzten, und Bombendrohungen gegen die Häuser; die Aufführungen konnten nurunter Polizeischutz stattfinden.
Die Rede ist natürlich von Terence McNallysHomosexuellen-Drama "Corpus Christi", in dem angeblich Jesus und seine Jünger als Schwuledargestellt werden. Mit dem Heiligen Krieg hatte 1998 die Katholische Liga für religiöseund Bürgerrechte gedroht; der Kulturkampf tobte bis 2002, als die Staatsanwaltschaft Kölnihre Ermittlungen gegen die örtlichen Aufführer des Stücks wegen "Herabsetzung desGlaubens" einstellten. Strafantrag hatte der Kölner Kardinal Joachim Meisner gestellt.
Wenn die Posse um die Berliner Inszenierung - oder Nicht-Inszenierung - der Oper"Idomeneo" ein Gutes hat, dann dies: dass wenigstens in Deutschland diesmal die meistenKonservativen mit den Liberalen auf der Seite der Freiheit der Kunst standen. (AmerikasUhren gehen anders.)
Hatte vor sechs Jahren die hessische Landesregierung demStaatstheater Kassel eine "Missbilligung" wegen der Aufführung von "Corpus Christi"ausgesprochen, droht heute dem Berliner Innensenator Ehrhart Körting der Amtsverlust,weil er die Intendantin der Deutschen Oper gedrängt haben soll, auf die Wiederaufführungvon "Idomeneo" zu verzichten. Hatte damals der thüringische CDU-MinisterpräsidentBernhard Vogel gemeint, es sei ärgerlich, dass die Freiheit der Kunst für Gotteslästerungmissbraucht werde, so stehen heute die Politiker der Union geschlossen hinter dem MainzerKardinal Karl Lehmann, der die geplante Absetzung eines Stücks, in dem Jesus der Kopfabgeschlagen wird, ein "erschütterndes Ereignis" nennt.
Das ist gut so. Und dieFreude wird nur wenig dadurch getrübt, dass diese entschlossene Verteidigung der Freiheitder Kunst ein wenig wohlfeil ist. Schließlich hatte es nirgends Massendemonstrationengegen die Berliner Oper gegeben; die behauptete Gefahrenlage beruhte auf einem dubiosenTelefonanruf; und die Teilnehmer der Islam-Konferenz haben einstimmig beschlossen,gemeinsam die "Idomeneo"-Inszenierung zu besuchen. Es ist zu hoffen, dass bei künftigen,ernster zu nehmenden Drohungen, die es sicher geben wird, diese Einmütigkeit erhaltenbleibt.
In schlechter Erinnerung ist nämlich die Weigerung der damaligenWestberliner Akademie der Künste, eine Solidaritätsveranstaltung für Salman Rushdiedurchzuführen, was zum Rücktritt des Akademie-Präsidenten Günter Grass führte. Inschlechter - und frischerer - Erinnerung ist auch die fehlende Solidarität mit derdänischen Zeitung, die einige recht harmlose Karikaturen des Propheten Mohammedveröffentlichte. Die Front der Solidaritätsverweigerer reichte vom Vatikan bis hin zueinem offenbar inzwischen an der Freiheit der Andersdenkenden irre gewordenen GünterGrass.
Die Freiheit der Kunst ist aber unteilbar. Man kann sie nicht dort außerKraft setzen wollen, wo sie einen selbst verletzt, sie aber dort einklagen, wo sie andereverletzen könnte. Hier gilt, was Voltaire über die Meinungsfreiheit sagte: "Ich bin nichtIhrer Meinung mein Herr, aber bereit dafür zu sterben, dass sie geäußert werden darf."Das ist nicht Relativismus oder moralische Gleichgültigkeit, wie einige konservativeKritiker behaupten. Vielmehr drückt sich darin das Vertrauen in die Kraft der Vernunftaus, der, wie Papst Benedikt XVI. in Regensburg sagte, auch der Glaube nichtwidersprechen darf. ----
Weiterlesen? siehe Link. Vorsicht, es könnten(religiöse?) Gefühle verletzt werden!
Gruß