Selbstzensur+Freiheitsverzicht als Reaktion auf Terror?
26.09.2006 um 22:37Es ist zwar sonst nicht meine Art, unkommentiert Artikel einzustellen, aber in diesemFall wird durch den Artikel die Sachlage kurz und knapp erklärt. Zudem kommen vieleverschiedene Personen/Meinungen zu Wort.
Ich möchte diesen Artikel jedenfallsals Aufhänger nutzen, um einmal die aktuellen Auswüchse der Terrorangst gemeinsam zusammeln und zu kommentieren.
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(Berliner Zeitung, 27.09.2006)
Opern-Absetzung entsetzt bundesweit
Politiker aller Parteien sehen Freiheit der Kunst in Gefahr / Wowereit hältSelbstbeschränkung für falsch / Intendantin fürchtet wegen Mohammed-DarstellungAnfeindungen von Islamisten.
BERLIN. Trotz scharfer Proteste aus der Politik hatdie Intendantin der Deutschen Oper Berlin ihre Entscheidung verteidigt, die Mozart-Oper"Idomeneo" aus Angst vor islamistischer Anfeindung vom Spielplan zu nehmen. Sie sei vomBerliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) im August über einen anonymen Hinweisinformiert worden, sagte Intendantin Kirsten Harms gestern in Berlin. Daraus habe sichein Sicherheitsrisiko von unkalkulierbarem Ausgang im Falle der Aufführung ergeben. Hättesie die Warnungen ignoriert und etwas wäre passiert, wäre ihr das auch zum Vorwurfgemacht worden, sagte Harms. In der Schluss-Szene der zuletzt im Jahr 2004 aufgeführtenOpern-Inszenierung werden die abgeschlagenen Köpfe von Jesus, Buddha und Mohammedgezeigt.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte dieAbsetzung der Oper für falsch. Eine konkrete Gefährdung sei nicht zu erkennen, sagte er:"Eine freiwillige Selbstbeschränkung gibt denen, die unsere Werte bekämpfen, einevorauseilende Bestätigung, die wir ihnen nicht zugestehen sollten." Zuvor hatte sichBundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) empört gezeigt und die Entscheidung desOpernhauses lächerlich und absurd genannt.
Bundestags-Vizepräsident WolfgangThierse sagte, in einer freien Gesellschaft könne man eine Inszenierung scharfkritisieren, aber man dürfe sich nicht aus Angst stoppen. "Soweit ist es gekommen, dassdie Freiheit der Kunst eingeschränkt wird", sagte der SPD-Politiker. "Was wird dasnächste sein?"
Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) kritisierte: "Einesolche Absage ist ein trauriger Beleg dafür, dass islamistisch-extremistische Agitationgegen die Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft offenbar bereits Wirkung zeigt." DerBerliner Zeitung sagte er: "Die Toleranz in unserer Gesellschaft darf sich die Grenzennicht durch Intoleranz islamistischer Extremisten ziehen lassen."
Derinnenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte: "Es istabsolut verrückt, die Oper abzusetzen." So dürfe man nicht einknicken. Derstellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach sprach von einem fatalenSignal: "Jetzt erst recht müssen wir die Freiheit von Kunst und Kultur verteidigen." Mandürfe sich nicht aus Sorge vor Protesten "eine Schere im Kopf zulegen", sagte Bosbach.
Der Verband der türkischen Gemeinden kritisierte ebenfalls die Absetzung derOper. "Das ist eine Schande", sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat. Dagegen begrüßteder Chef des Islamrats, Ali Kizilkaya, die Entscheidung, weil so Rücksicht auf dieGefühle der Muslime genommen werde. Er hätte sich gewünscht, dass das Werk aus"Sensibilitätsgründen" erst gar nicht aufgeführt worden wäre, sagte er.
DerBerliner Polizeipräsident Dieter Glietsch sprach von einem verständlichen Schritt desOpernhauses. Nach den Erfahrungen mit dem Karikaturenstreit könne eine Aufführung, in derder abgeschlagene Kopf Mohammeds gezeigt werde, gefährlich werden.
Während sichPolitiker aller Parteien über die Signalwirkung der Entscheidung einig waren, hieltensich die Intendanten der Berliner Bühnen mit Kommentaren zurück. Allein für dieNeuköllner Oper erklärte Sebastian König: "Die Kunstfreiheit muss verteidigt werden, dasgehört zur gesellschaftlichen Verantwortung. Ich fürchte, hier ging es vielleicht nichtnur um Terrorismus, sondern auch um mediale Aufmerksamkeit."
DerAktionskünstler Christoph Schlingensief sagte dieser Zeitung: "Das ist doch schwerbescheuert. Sonst machen sich die Opernhäuser mit pseudoaktuellen Ausschmückungen wichtig- wie Figaro auf dem Moped. Aber wenn eine Oper einmal aus Versehen wegen der äußerenUmstände in der Realität ankommt, dann wird sie abgesetzt." In dem Stück, soSchlingensief, "werden ja alle menschengemachten Götter geköpft - Buddha, Christus undMohammed. Das nenne ich Gleichberechtigung." (bw., fra., sav.)
(BerlinerZeitung, 27.09.2006)
Ich möchte diesen Artikel jedenfallsals Aufhänger nutzen, um einmal die aktuellen Auswüchse der Terrorangst gemeinsam zusammeln und zu kommentieren.
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(Berliner Zeitung, 27.09.2006)
Opern-Absetzung entsetzt bundesweit
Politiker aller Parteien sehen Freiheit der Kunst in Gefahr / Wowereit hältSelbstbeschränkung für falsch / Intendantin fürchtet wegen Mohammed-DarstellungAnfeindungen von Islamisten.
BERLIN. Trotz scharfer Proteste aus der Politik hatdie Intendantin der Deutschen Oper Berlin ihre Entscheidung verteidigt, die Mozart-Oper"Idomeneo" aus Angst vor islamistischer Anfeindung vom Spielplan zu nehmen. Sie sei vomBerliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) im August über einen anonymen Hinweisinformiert worden, sagte Intendantin Kirsten Harms gestern in Berlin. Daraus habe sichein Sicherheitsrisiko von unkalkulierbarem Ausgang im Falle der Aufführung ergeben. Hättesie die Warnungen ignoriert und etwas wäre passiert, wäre ihr das auch zum Vorwurfgemacht worden, sagte Harms. In der Schluss-Szene der zuletzt im Jahr 2004 aufgeführtenOpern-Inszenierung werden die abgeschlagenen Köpfe von Jesus, Buddha und Mohammedgezeigt.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) erklärte dieAbsetzung der Oper für falsch. Eine konkrete Gefährdung sei nicht zu erkennen, sagte er:"Eine freiwillige Selbstbeschränkung gibt denen, die unsere Werte bekämpfen, einevorauseilende Bestätigung, die wir ihnen nicht zugestehen sollten." Zuvor hatte sichBundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) empört gezeigt und die Entscheidung desOpernhauses lächerlich und absurd genannt.
Bundestags-Vizepräsident WolfgangThierse sagte, in einer freien Gesellschaft könne man eine Inszenierung scharfkritisieren, aber man dürfe sich nicht aus Angst stoppen. "Soweit ist es gekommen, dassdie Freiheit der Kunst eingeschränkt wird", sagte der SPD-Politiker. "Was wird dasnächste sein?"
Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) kritisierte: "Einesolche Absage ist ein trauriger Beleg dafür, dass islamistisch-extremistische Agitationgegen die Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft offenbar bereits Wirkung zeigt." DerBerliner Zeitung sagte er: "Die Toleranz in unserer Gesellschaft darf sich die Grenzennicht durch Intoleranz islamistischer Extremisten ziehen lassen."
Derinnenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte: "Es istabsolut verrückt, die Oper abzusetzen." So dürfe man nicht einknicken. Derstellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach sprach von einem fatalenSignal: "Jetzt erst recht müssen wir die Freiheit von Kunst und Kultur verteidigen." Mandürfe sich nicht aus Sorge vor Protesten "eine Schere im Kopf zulegen", sagte Bosbach.
Der Verband der türkischen Gemeinden kritisierte ebenfalls die Absetzung derOper. "Das ist eine Schande", sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat. Dagegen begrüßteder Chef des Islamrats, Ali Kizilkaya, die Entscheidung, weil so Rücksicht auf dieGefühle der Muslime genommen werde. Er hätte sich gewünscht, dass das Werk aus"Sensibilitätsgründen" erst gar nicht aufgeführt worden wäre, sagte er.
DerBerliner Polizeipräsident Dieter Glietsch sprach von einem verständlichen Schritt desOpernhauses. Nach den Erfahrungen mit dem Karikaturenstreit könne eine Aufführung, in derder abgeschlagene Kopf Mohammeds gezeigt werde, gefährlich werden.
Während sichPolitiker aller Parteien über die Signalwirkung der Entscheidung einig waren, hieltensich die Intendanten der Berliner Bühnen mit Kommentaren zurück. Allein für dieNeuköllner Oper erklärte Sebastian König: "Die Kunstfreiheit muss verteidigt werden, dasgehört zur gesellschaftlichen Verantwortung. Ich fürchte, hier ging es vielleicht nichtnur um Terrorismus, sondern auch um mediale Aufmerksamkeit."
DerAktionskünstler Christoph Schlingensief sagte dieser Zeitung: "Das ist doch schwerbescheuert. Sonst machen sich die Opernhäuser mit pseudoaktuellen Ausschmückungen wichtig- wie Figaro auf dem Moped. Aber wenn eine Oper einmal aus Versehen wegen der äußerenUmstände in der Realität ankommt, dann wird sie abgesetzt." In dem Stück, soSchlingensief, "werden ja alle menschengemachten Götter geköpft - Buddha, Christus undMohammed. Das nenne ich Gleichberechtigung." (bw., fra., sav.)
(BerlinerZeitung, 27.09.2006)