Hitler lächerlich?
18.09.2006 um 16:03
4.7.2 Hitler als Prototyp des Nekrophilen
Über 30 Jahre später kam Fromm noch einmalauf das Thema Hitler zurück. In Anatomie der menschlichen Destruktivität (1973)<236>figurieren Stalin und Himmler<237>
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unter den Sadisten, während Hitler einen „Fall von nekrophilerbösartiger Aggression“ darstellt (allerdings mit sadistischen Anteilen).
Diebösartige Aggression bzw. Destruktivität läßt sich nach Fromm in Grausamkeit (Sadismus)und „Liebe zum Toten“ (was Nekrophilie übersetzt bedeutet) unterteilen. Anhandzahlreicher Details aus Stalins Biographie beweist der Autor, daß Sadismus „die seelischeReligion der Krüppel“ (ebd. S.263) ist und von Menschen ausgeübt wird, die auf „absoluteund uneingeschränkte Herrschaft“ (ebd. S.262) ausgerichtet sind. Zum Syndrom des Sadismusgehören aber auch Lebensangst, Unterwürfigkeit und Feigheit sowie eine „vitale Impotenz“.
Der Sadist besitzt einen autoritären Charakter, was noch deutlicher beiHeinrich Himmler, einem „Fall von anal-hortendem Sadismus“, beobachtet werden kann. AlleAttribute des analen Charakters werden bei ihm sorgfältig nachgewiesen und seinepsycho-soziale Entwicklung dargestellt. Der Autor charakterisiert Himmler als pedantisch,kaltherzig, scheinbar freundlich, unterwürfig gegenüber Autoritäten, lebensschwach(deshalb kompensatorisch hart und grausam), opportunistisch, narzißtisch, hypochondrisch,sexuell verklemmt, schwatzhaft, Karriere-besessen, neidisch, bösartig und intrigant. Diemit Zitaten belegte Menschenverachtung dieses SS-Führers braucht hier nicht besondersausgeführt zu werden.
Zu den Voraussetzungen eines sadistischen Lebensentwurfeszählen unter anderem eine schwache, verwöhnende und anklammernde Mutter, ein autoritärerVater, körperliche Schwäche und Ungeschicklichkeit, Neid auf Geschwister, SchüchternheitFrauen gegenüber, pedantische und verlogene familiäre Situation sowie eine konservative,bürgerliche und reaktionäre Gesellschaft.
Nekrophil-destruktive Menschen werdenwiederum leidenschaftlich „von allem, was tot, vermodert, verwest und krank ist“ (ebd.S.301) angezogen. Sie zerstören um der Zerstörung willen und interessieren sich fastausschließlich für Mechanisches und Technisches. Nekrophile sind „Hasser, Rassisten,Befürworter von Krieg, Blutvergießen und Destruktion“ (ebd. S.334). Als Prototypen desGegenteils, der „Biophilie“ (Liebe zum Leben), nennt Fromm Namen wie Albert Schweitzer,Albert Einstein und - Papst Johannes XXIII.<238>
Der Autor subsumiert unter dasSyndrom der Nekrophilie eine Fülle von Lastern und Details, die hier nicht alleaufgelistet werden können. Auch der moderne Gesellschaftscharakter (der sogenannte„Marketing“-Charakter), wird in diese Rubrik eingereiht.<239> Das folgende Kapitel wirddiesen modernen Charakter, den er in die Nähe der Schizophrenie bringt, genauerdarstellen.<240>
Als Ursache der Nekrophilie macht Fromm eine „bösartigeinzestuöse Bindung“ aus. Er beschreibt hierbei eine verhätschelnde, übertriebenbeschützende und bewundernde Mutter, welche das Kind eng an sich bindet und es dadurchoft in ein autistisch-distanziertes Verhältnis zu ihr treibt.
Der nekrophileAdolf Hitler. - Hitlers Mutter, Klara Hitler, wird nun ebenfalls als überfürsorgliche,verwöhnende und ihren Sohn anhimmelnde Frau geschildert, welche bei Adolf die soebenbeschrieben „bösartige inzestuöse Bindung“ verursacht haben soll. Deshalb sei der Sohnkalt geblieben, und die narzißtische Schale hätte nicht gesprengt werden können. Sie wärefür ihn keine reale Person geworden,
sondern ein Symbol der unpersönlichenMacht von Erde, Schicksal - und Tod ... Jedoch, trotz seiner Kälte, mag Hitlersymbiotisch an die Mutter und ihre Symbolisation gebunden gewesen sein, eine Bindung,deren letztes Ziel
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die Vereinigung mit der Mutter im Tode ist. (Eine nicht seltene,perverse Form der unio mystica) (ebd. S.342).
Fromm interpretiert Hitlers Bindung anDeutschland als Mutterbindung und den Selbstmord als verdrängten Wunsch, „die Mutter (=Deutschland) zu zerstören“.<241>
Es folgen einfühlsame und lehrreichebiographische sowie charakterologische Details von Vater und Sohn Hitler, wobei deutlichwird, daß die Eltern des Diktators keineswegs destruktive Übeltäter waren (den Vater kannman allerdings mit einiger Berechtigung autoritär nennen).
Adolf, der ältesteSohn, war ein verspielter und in Karl May eingesponnener Junge, der ausgesprochennarzißtisch-empfindlich reagierte und jegliche Kooperation und geregelte Arbeitverweigerte. Weder in Wien noch später in München interessierte er sich wirklich fürseine (angebliche) Berufung zum Künstler: Er verbummelte seine Zeit, malteAnsichtskarten, um das Allernötigste zum Leben zu verdienen, und bestand kein einzigesAufnahme-Examen. Das einzige, was er beherrschte, war, den anderen großmäulig zuimponieren. Das Soldatenleben im Ersten Weltkrieg vermittelte ihm nachhaltignationalistische und narzißtische Befriedigung; dabei stilisierte er sich zum Heldenempor.
Die vorhin erwähnten Kriterien der Nekrophilie werden nun von Fromm aufHitler angewandt und bestätigt. Er attestiert ihm zusammenfassend gravierende psychischeund soziale Defekte, die aber nicht zu einer manifesten Psychose geführt hätten.Einschränkend stellt er fest:
Man darf mit Recht vermuten, daß erpsychotische, vielleicht schizophrene Züge aufwies. Aber war Hitler deshalb ein„Wahnsinniger“, hat er, wie gelegentlich behauptet wird, an einer Psychose oder Paranoiagelitten? Ich glaube, daß man darauf mit Nein antworten muß (ebd. S.391).
Er war „ineinem dynamischen, interpersonalen Sinn ein schwerkranker Mann“ (ebd. S.392). Damitmöchte Fromm ausdrücken, daß ein durch und durch destruktiver und böser Mensch nicht wieein Teufel mit Hörnern (oder ein Wahnsinniger) aussehen muß, sondern sich höflich odersogar liebenswürdig präsentieren kann.
Unter uns gibt es Hunderte vonHitlern, die hervortreten würden, wenn ihre historische Stunde gekommen wäre ... JedeAnalyse, die Hitlers Bild verzerrt, indem sie ihn seiner menschlichen Eigenschaftenberaubt, würde uns nur noch blinder machen für die potentiellen Hitlers, die keine Hörnerhaben (ebd. S.393).
Quelle:
Doktorarbeit von Alfred Levy
HU- Berlin