Israel - gehört es den falschen Menschen?
24.08.2006 um 11:53
Palaestina, wo sich die juedische Kultur entfalten sollte, stellte sich am Anfang des 2.Jahrtausends als ethnisch uneinheitliches und politisch ungeordnetes Terrain dar. Es warDurchzugsgebiet zwischen Norden und Sueden. Die Dynastien des Zweistromlandes imNordosten und Aegyptens im Suedwesten uebten beherrschenden Anspruch und Einfluss aus.Die kulturelle Vielfalt dieser beherrschenden Maechte selbst wurde in Palaestinaerweitert durch die Einfluesse aus der Mittelmeerwelt sowie aus Kleinasien. Von ueberallher zogen immer wieder neue Menschengruppen durch oder in dieses Gebiet. "Im Kreuzfeuerdieser mannigfachen Einfluesse stellten Syrien und Palaestina geschichtlich und kulturellkaum eine Einheit dar; gemeinsam war ihnen nur, dass sie dasselbe Schicksal derungluecklichen Brueckenlage zu erleiden, fremde Herren zu erdulden, den Einfluss derihnen zufliessenden Kultur- und Ideengueter aufzunehmen und zu verarbeiten hatten."1Unter der Aegide der beiden Grossmaechte bildeten sich unstete Zwerg- und Stadtstaaten.Trotz der unguenstigen geopolitischen Situation aber hatten einige Oasen, das Jordanuferund der Kuestenstreifen zum Mittelmeer gegenueber den umliegenden Wuestengebieten einegewisse Attraktivitaet fuer die Besiedlung, so dass betraechtliche Gebiete als Kulturlandentwickelt wurden. Der dort ansaessigen Bevoelkerung standen nomadisierende Staemme inden Randgebieten der umliegenden Wuesten gegenueber. "Der fliessende Uebergang von Wuestezu Kulturland deutet auf eine Symbiose der nomadischen Wuestenbewohner mit denKultursiedlern hin. Ihren Rhythmus bestimmen klimatische Besonderheiten. Waehrend diewinterliche Regenzeit mit spaerlichen Guessen auch die Randgebiete der Wueste feuchtetund den Kleinviehherden der Nomaden die noetige Nahrung bietet, laesst die sommerlicheTrockenzeit die Nahrungsquellen versiegen. Die Grossfamilien ziehen mit ihren Herden insKulturland, suchen Quell- und Weideplaetze und naehern sich der ansaessigen Bevoelkerung.Vertraege ueber Brunnen- und Weiderechte werden abgeschlossen, Wirtschaftsprodukteausgetauscht und Regeln fuer ein friedliches Zusammenleben vereinbart."2
Zu dennomadisierenden Gruppen gehoerten auch die 'Vaeter Israels', wie sie spaeter in derTradition des Alten Testaments genannt werden. Sie entstammen der grossen Gruppe dersemitischen Voelker. "Der Name stammt aus einer Bibelstelle, und zwar dem zehnten Kapitelder Genesis. Dort wird die Verwandtschaft zwischen den Voelkern erklaert, indem man sievon gemeinsamen Vorfahren herleitet: so stammen Aram, Assur und Eber von Sem ab, alsoAramaeer, Assyrer und Hebraeer; die europaeischen Gelehrten haben daher den Namen"semitische Voelker" fuer jene Voelkergruppe angenommen, zu der Aramaeer, Assyrer undHebraeer gehoeren, und deren Zusammenhang auch unmittelbar an ihren Sprachen deutlichwird. Die Bezeichnung wurde spaeter auf alle Voelker mit aehnlichen Zuegen ausgedehnt, inerster Linie auf die Araber."3 Wir sehen also eine Ausdehnung weit ueber den Bereichhinaus, der uns heute meist 'semitisch' mit 'juedisch' gleichsetzen laesst - insbesonderevor dem graesslichen Negativphaenomen des 'Antisemitismus'. Die historischen Nachfahrendieser Voelker finden wir in den Beduinenstaemmen, die bis heute eine eigenartige, unsereVorstellungen vom Orient praegende Kultur beibehalten haben. Zum Verstaendnis dessemitischen Hintergrundes der juedischen Kultur waere dieser Entwicklungsstrang weiter zuverfolgen, indes werden wir in der Herausbildung des juedischen Volkes einenausserordentlichen Vorgang entdecken, der historisch einige Besonderheiten aufweist, ihnvon der Entwicklung der uebrigen semitischen Voelker absondert und ihm seineninsbesondere geistesgeschichtlichen Rang zuwachsen laesst.
Urspruenglich hattendiese Gruppen eigene mythische und kultische Traditionen, denen allerdings gemeinsamgewesen sein duerfte, dass sie wegen der nomadisierenden Lebensweise bzw. ihrerRandgruppenexistenz wenig materialisierte Zentren aufwiesen. "Die im Kulturlandansaessige Bevoelkerung hatte ihre festen Lokalheiligtuemer und verehrte dieortsgebundene Gottheit. Dagegen wussten die wandernden Vaeter ihr Leben auf einen Gottbezogen, der sie auf ihren Wanderungen begleitete."4 Diese Lebensweise praegte dasAlltagsleben und das Bewusstsein der Menschen. Konsequenterweise ging sie an zentralerStelle in die mythischen Traditionen ein, die spaeter die Grundlage der juedischenreligioesen Tradition bilden. "In der aeltesten Schicht der Patriarchenerzaehlungenfindet man das typische Bild der landsuchenden Nomaden, die mit ihren Familien in Zeltenwohnen, grosse Herden von Weide zu Weide fuehren und sich im Kulturland ungestoertaufhalten moechten... Mit dem Stadtkoenig Abimelech streitet sich Isaak um einen Brunnen,den seine Leute benutzen wollen. Weil sie keinen Boden besitzen, sind die Wanderhirtenauf Buendnisse und eidliche Verpflichtungen der ansaessigen Bevoelkerung angewiesen. UmSara bestatten zu koennen, muss Abraham die Leute rings um Hebron bitten, ihm einen Ackerzu verkaufen... Die Vaeter, die aus der Wueste kommen, sind 'Fremdlinge'; nur als'Beisassen' (Metoiken) duerfen sie in der Naehe der Stammbevoelkerung ihre Zelteaufschlagen."5
Im 12. Jahrhundert schwaechte sich die ordnende Dominanz derbeiden Grossmaechte ab. An der Kueste und jenseits des Jordan etablierten sich kleineStaaten. Zwischen diesen beiden Regionen versuchten die aramaeischen Nomadenstaemme, eineUntergruppe der grossen semitischen Voelkergruppe, nun ihrerseits, ihre Sesshaftigkeit zusichern. Anders als zur Zeit Abrahams und Isaaks, als meist friedlich vertraglicheRegelungen des Zusammenlebens die stabilen Kraefteverhaeltnisse respektierten, brachtedie Aufloesung der ueberkommenen Ordnung nun auch kriegerische Auseinandersetzungen mitsich, auf die im Bundesbericht Josuas Bezug genommen wird. Mit wachsender Sesshaftigkeitentstand die Notwendigkeit, sich gegenueber den ihrerseits sich organisierenden Buendender Philister an der Kueste und den neuen Staatenformationen oestlich des Jordans zuformieren. Es laesst sich zeigen, dass schon zuvor kleinere Stammes- bzw. Familienbuendegeschlossen worden waren, um gemeinsame Interessen als einheitliche Gruppe vertreten zukoennen. Die Forschung weist entsprechende Substrukturen an den kultischen Zentren desklassischen Israel nach.
Der geschlossene Bund der zwoelf Staemme Israelgruendet auf einer gemeinsamen Glaubensueberzeugung, deren Verbindlichkeit im Mittelpunktdes Bundesschlusses steht. Von dem Ausgeliefertsein an die Goetter und derenAuseinandersetzungen untereinander hebt sich die Gottesauffassung der zwoelf Staemme indeutlicher Weise ab. "Die babylonischen und assyrischen Goetter tragen wie diesumerischen die Zuege des Menschen, im Vergleich mit dem sie nur vollkommener undmaechtiger sind. Ihr Koerper und ihr aeusseres Aussehen, wie sie uns in den Tempelstatuenueberliefert sind, gleichen denen der Koenige, ihre Kleidung ist wie die der Koenige, nurkostbarer und glanzvoller. Sie haben Familien und Familienangelegenheiten wie dieMenschen, lieben und hassen, verbuenden sich und kaempfen, wie man es auf Erden tut - nursind die Ereignisse bei den Goettern von welterschuetterndem Ausmass. Kurz, es handeltsich um Menschen, die zwar staerker als die gewoehnlichen Menschen sind, aber nichtnotwendig besser."6 Den vielfaeltigen Gottheiten der umliegenden Voelker, auch denen derGrossmaechte, standen die Menschen voellig fatalistisch und geschichtslos gegenueber. Ihrmit geradezu anarchischen Zuegen behaftetes Wesen spiegelte hauptsaechlich dieUnberechenbarkeit der Natur und des menschlichen Lebensweges wider. Aber so, wie man sichdurch Beziehungen und Fuersprache einem maechtigen irdischen Herrscher zum Vorbringeneiner Bitte naehern konnte, ueber die dieser ohne Rechenschaft befinden konnte, so konnteman auch gegenueber den Goettern versuchen, Einfluss auf deren Entscheidungen zugewinnen. Aber nicht nur die ungefestigten Grundlagen staatlicher Ordnung sowohl inhistorischer als auch in ideeller Hinsicht schlagen sich in diesen Gottesauffassungennieder. Wir koennen sie auch als Ausdruck eines noch erst in uneinheitlichen Ansaetzenentwickelten ethischen Bewusstseins ansehen. Man kann die These akzeptieren, dass das indiesen historisch extrem fliessenden Zeiten auf dem Mangel an Stetigkeit von Bedeutungenbasiert, fuer die eine ausdeutbare Kontinuitaet erkennbar gewesen waere. Destoerstaunlicher erscheint es dann, dass ausgerechnet Staemme "umherirrender Aramaeer", wiesie sich selbst an verschiedenen Stellen der biblischen Tradition bezeichnen, historischerstmalig sowohl mit einem gediegenen Geschichtsbewusstsein als auch einer klarenGottesvorstellung in Erscheinung treten.
Die Versammelten zu Sichem stehennicht fatalistisch geschichtslos einer anarchischen Goetterwelt gegenueber. Sie sindaufgefordert, sich in einem historischen Entscheidungsakt fuer oder gegen den angebotenenBund mit dem Herrn zu bekennen. Die doppelte Bedeutung dieses Bundes wird hinfort diejuedische Gemeinschaft auszeichnen: Er ist in erster Linie ein religionsstiftender Bundzwischen dem Volk Israel und seinem Herrn; gleichzeitig begruendet der Bund denZusammenhalt der zwoelf Staemme zu einem 'Volk Israel'.