http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=23032009ArtikelPolitikAvnery1Wieder einmal ein hervorragender Artikel vom Uri ...
DER WICHTIGSTE Satz, der in dieser Woche in Israel geschrieben wurde, wurde im allgemeinen Trubel der aufregenden Ereignisse übersehen. Wirklich aufregend: In einem Schlussakt von Niederträchtigkeit – typisch für seine ganze Einstellung als Ministerpräsident - hat Ehud Olmert den gefangenen Soldaten Gilad Shalit seinem Schicksal überlassen.
Ehud Barak entschied, die Laborpartei müsse sich der ultra-rechten Regierung anschließen, die ausgesprochene Faschisten mit einschließt.
Und auch dies: der frühere Präsident Israels war offiziell wegen Vergewaltigung angeklagt worden.
Wer wird bei solch einer Kakophonie auf einen Satz achten, der von Juristen in einem Dokument geschrieben wurde, das dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wurde?
DIE JURISTISCHE Debatte betrifft eines der abscheulichsten Gesetze, die je in Israel erlassen wurden.
Es besagt, dass es der Frau eines israelischen Bürgers nicht erlaubt ist, mit ihm in Israel zu leben, falls sie in den besetzten palästinensischen Gebieten oder in einem „feindlichen“ arabischen Land lebt.
Die arabischen Bürger Israels gehören zu Chamulas – Familienclans – die sich auch über die Staatsgrenzen hinaus erstrecken. Araber heiraten allgemein innerhalb der Chamula. Das ist eine alte, orientalische Sitte, die tief in ihrer Kultur verwurzelt ist und wahrscheinlich oft mit dem Wunsch zusammenhängt, den Familienbesitz zusammen zu halten. In der Bibel heiratete Isaak seine Cousine Rebecca. (vgl. auch 1.Moses 28, 3: Auch Jakob heiratete seine Cousine, und holte sie deshalb aus Mesopotamien).
Die „Grüne Linie“, die willkürlich durch die Ereignisse des 1948er-Krieges als Grenze gezogen wurde, teilte Familien. Das eine Dorf befand sich in Israel, das nächste blieb außerhalb des neuen Staates; die Chamula lebt aber in beiden Dörfern. Die Nakba schuf also eine große palästinensische Diaspora.
Ein arabischer Bürger Israels, der eine Frau seiner Chamula heiraten will, findet sie oft in der Westbank oder in einem Flüchtlingslager im Libanon oder Syrien. Die Frau wird sich im allgemeinen ihrem Mann anschließen und wird in seine Familie aufgenommen. Theoretisch könnte sich ihr Mann ihr in Ramallah anschließen, aber der Lebensstandard dort ist viel niedriger und sein ganzes Leben – Familie, Arbeit, Studien – haben ihren Mittelpunkt in Israel. Wegen des großen Unterschieds im Lebensstandard wird ein Mann, der in den besetzten Gebieten lebt und eine Frau in Israel heiratet, sich normalerweise ihr anschließen und israelische Staatsbürgerschaft erhalten und sein früheres Leben zurücklassen.
Es lässt sich schwer sagen, wie viele junge Palästinenser - männliche und weibliche - während der 41 Jahre der Besatzung nach Israel gekommen sind und auf diese Weise israelische Bürger wurden. Ein Regierungsbüro spricht von zwanzigtausend, ein anderes von mehr als hunderttausend. Egal, welche Zahl: die Knesset hat ein (offiziell „vorläufiges“) Gesetz erlassen, um dieser Bewegung ein Ende zu setzen.
Wie es bei uns üblich ist, war der Vorwand die Sicherheit. Schließlich könnten alle in Israel naturalisierten Araber „Terroristen“ sein. Es wurden zwar niemals Statistiken über solche Fälle veröffentlicht – falls es je solche gegeben hat – aber seit wann muss man „Sicherheits“-Behauptungen mit Belegen beweisen?
Hinter dem Sicherheitsargument lauert natürlich der demographische Dämon. Die Araber stellen nun mehr als 20% der israelischen Bürger dar. Wenn das Land von arabischen Bräutigams und Bräuten überschwemmt würde, könnte der Prozentsatz – Gott bewahre! – auf 22% anwachsen. Wie würde der „jüdische Staat“ dann aussehen?
Die Angelegenheit kam vor den Obersten Gerichtshof, die Antragsteller, Juden und Araber, stritten darum, dass dieses Gesetz unseren Grundgesetzen (unser Ersatz für eine nicht vorhandene Verfassung) widerspricht, das die Gleichheit aller Bürger garantiert. Die Antwort der Anwälte des Justizministeriums ließ die Katze aus dem Sack. Sie behauptet das erste Mal in unmissverständlicher Sprache,
„Der Staat Israel befindet sich mit dem palästinensischen Volk im Krieg, Volk gegen Volk, Kollektiv gegen Kollektiv.“
MAN SOLLTE diesen Satz mehrfach lesen, um seine volle Auswirkung zu begreifen. Das ist kein Satz, der einem Politiker versehentlich aus dem Munde rutschte und mit seinem Atem verschwand – es ist ein Satz, der von vorsichtigen Juristen geschrieben wurde, die jeden Buchstaben auf die Goldwaage legen.
Wenn wir uns mit dem palästinensischen Volk im Krieg befinden, dann bedeutet das auch, dass jeder Palästinenser, egal. wo er oder sie sich befindet, ein Feind ist. Das schließt auch die Bewohner der besetzten Gebiete ein, die Flüchtlinge, die in aller Welt zerstreut leben, sowie auch die arabischen Bürger in Israel selbst: einen Maurer in Taibeh, Israel, einen Bauern in der Nähe von Nablus in der Westbank, ein Polizist der palästinensischen Behörde in Jenin, ein Mädchen in einer Schule im Mia Mia-Flüchtlingslager in der Nähe von Sidon, Libanon, einen naturalisierten Kaufmann in New York, einen Arzt an einem deutschen Krankenhaus – „Kollektiv gegen Kollektiv“.