Israel - wohin führt der Weg?
15.01.2009 um 06:59
"Die nächsten drei bis vier Tage sind entscheidend"
Mona Sarkis 15.01.2009
Hamas-Sprecher Ussama Hamdan glaubt an ein Ende des Krieges im Gaza noch in dieser Woche
Seit dem 27. Dezember tobt der schlimmste israelische Angriff auf palästinensische Gebiete seit 1967. Vorläufige Bilanz: Über 1000 Tote (nach Angaben der Palästinenser), davon über ein Drittel Kinder und ein Drittel Frauen. Ussama Hamdan, Presse-Sprecher der Hamas im Libanon, zeigte sich im gestrigen Gespräch dennoch zuversichtlich über ein baldiges Ende des Tötens. Zugleich findet er scharfe Worte gegenüber Ägypten und – Deutschland.
Weite Teile auch der arabischen Oeffentlichkeit geben Hamas eine Mitschuld an dem Ausbruch des Krieges im Gazastreifen am 27. Dezember, da sie den Raketenbeschuss auf Israel nicht stoppt.
Ussama Hamdan: Unser Volk lebt seit 1948 unter einer Besatzungsmacht, die 1967 noch größere Teile seines Bodens okkupierte. Ich glaube, es ist in der Menschheitsgeschichte einmalig, dass man von einem unter einer Besatzung lebenden Volk verlangt, dass es jeglichen Widerstand gegen seinen brutalen Besatzer aufgibt, ja diesen obendrein auch noch "beschützt". Hier werden die Rollen auf einzigartige Weise verdreht.
Israel behauptet, es habe den Krieg begonnen, um ein für allemal die Raketen der Hamas los zu werden.
Ussama Hamdan: Israel will ein für allemal die Palästinenser los werden. Meines Erachtens ist der jetzige Krieg im Kontext des Annapolis-Prozesses zu sehen. Nach einjähriger Verhandlung war klar, dass die israelische Seite weder das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge akzeptieren, noch den Palästinensern irgendein Recht auf Selbstbestimmung, nicht einmal in Ostjerusalem, zugestehen will.
Sie sprechen zwar öffentlichkeitswirksam von einem unabhängigen palästinensischen Staat - meinen dabei aber fünf geografisch unzusammenhängende Kantone, die unter israelischer Kontrolle stehen. Kein Palästinenser wird dies akzeptieren. Nicht einmal Mahmoud Abbas - glaube ich. Weil die Israelis dies wissen, wollen sie nun den palästinensischen Widerstand gewaltsam brechen. Sie wollen uns derart unter Druck setzen, dass wir am Ende alles unterschreiben, was sie wollen. Kurz: sie wollen die israelische Endlösung für die palästinensische Frage.
Was meinen Sie damit?
Ussama Hamdan: Die Israelis wollen das Land für sich. Das angestrebte Ziel hat sich seit den Tagen und den Entwürfen Ariel Sharons nicht verändert und soll durch diesen Krieg nun vorangetrieben werden: Jordanien soll der Palästinenserstaat werden, also will man die, die man nicht in einem der fünf Kantone einsperrt, dorthin transferieren.
Die Ägypter machen ihre Sache nicht gut
Es heißt, die Hamas sei von diesem Krieg überrascht worden. War er wirklich so unvorhersehbar? Zumal Israel den sechsmonatigen Waffenstillstand wiederholt gebrochen und Hamas eine weitere Verlängerung letztlich selbst abgelehnt hat.
Ussama Hamdan: Zum Waffenstillstand muss ich sagen, dass Israel ihn vom ersten Tag an nicht eingehalten hat. In den sechs Monaten - von Juni bis Dezember 2008 -, in denen er währte, erfolgten über 70 israelische Aggressionen und über 50 israelische Teilinvasionen. 43 Palästinenser wurden getötet, 19 Mal griff die israelische Flotte palästinensische Fischer an. All dies erfolgte, während sich die Hamas an das Abkommen hielt und die israelischen Siedlungen nicht attackierte. Aber wir schauen nicht ewig zu. Als uns die ägyptische Vermittlerseite mitteilte, dass die Israelis ihrerseits keine Verlängerung des Waffenstillstandsabkommens wollen, war klar, dass sie etwas planen. Aber keiner hat mit einem Angriff auf Gaza gerechnet, nur weil es keinen Waffenstillstand mehr gab. Allerdings ist der Angriff ja auch nicht deshalb erfolgt, sondern weil er, wie gesagt, weitreichende politische Ziele verfolgt.
Auf israelischen und westlichen Druck hin öffnet Ägypten nicht den Grenzübergang nach Rafah. Dies erfolgt, um Waffenlieferungen an die Hamas zu unterbinden. Zugleich wird so die Situation der eingekesselten Gaza-Bewohner erschwert. Wie sehen Sie die Rolle Ägyptens? Ist es für Sie ein Vermittler in dem Konflikt oder ein Teil dessen?
Ussama Hamdan: Die Ägypter behaupten, sie seien Vermittler. Aber sie machen ihre Sache nicht gut. Weder beim Waffenstillstandsabkommen noch beim Gefangenenaustausch hatten sie eine glückliche Hand. Allerdings kommt ihnen Israel auch in keinster Weise entgegen. Im Gegenteil, es führt ihr Scheitern noch öffentlich vor.
Dennoch: Die Grenzen im Kriegsfall nicht zu öffnen, bedeutet auch, die humanitäre Hilfe für die Bewohner Gazas zu unterbinden. Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah und Irans Ayatollah Khamenei haben erstmals Ägypten namentlich als "Partner" Israels im Krieg gegen Gaza bezeichnet. Wie steht die Hamas dazu?
Ussama Hamdan: Mit der Schließung der Grenzen im Kriegsfall brechen sie ein internationales Gesetz. Ja, sie haben so ihren Teil an der Tötung der Palästinenser. Und alle Araber wissen das. Zudem ist die humanitäre Situation im Gaza wirklich verheerend. In und außerhalb der Krankenhäuser spielen sich Dramen unvorstellbaren Ausmaßes ab. Wenn die Welt das wirklich wissen will, sollte sie sich an die beiden norwegischen Ärzte wenden, die vor drei Tagen den Gazastreifen verließen.
Wie ist die Position der Hamas zu der ägyptischen Initiative, die eine sofortige Waffenruhe, internationale Truppen an der Grenze zwischen Ägypten und Gaza sowie Gespräche über eine Lösung vorsieht?
Ussama Hamdan: Unsere Position ist klar. Wir lehnen internationale Truppen ab. Es gäbe nur eine Ausnahme: Wenn die Besatzung des Gaza, der Westbank und Ostjerusalems durch Israel endet, kann die Option einer internationalen Truppe, die zwischen uns und den Besatzern stationiert ist, diskutiert werden. Aber wenn es nur darum geht, dass diese Truppe die Besatzer beschützt und uns davon abhält, uns selbst vor den Besatzern zu schützen, dann brauchen wir nicht noch mehr Ausländer auf unserem Boden.
Die ägyptische Initiative ist in diesem Punkt nicht auf unserer Linie. Und sie lässt auch den Abzug der israelischen Truppen aus dem Gaza außen vor.
Zwei Daten werden wiederholt als Fristen für eine Beendigung des Krieges genannt: der 20. Januar mit der Amtseinweihung Obamas und der 10. Februar, an dem die Neuwahl des israelischen Parlaments stattfindet. Es heißt auch, Premier Olmert spreche sich für eine Fortsetzung der Angriffe aus, in der Hoffnung, so die Sympathien seiner Landsleute zurück zu gewinnen, um in eventuell verschobenen Wahlen doch noch zu gewinnen.
Ussama Hamdan: Olmert hat keine Chance auf eine neuerliche Rolle im politischen Leben Israels. Er ist nicht einmal mehr der Führer der Kadima-Partei, das ist Tzipi Livni. Aber er mag auf eine Fortsetzung des brutalen Krieges drängen, um dem politischen Ruf von Livni und Ehud Barak zu schaden, denen er verübelt, dass sie seinen politischen Stand nach all seinen Skandalen nicht verteidigt haben.
Israel wird den Krieg nicht lange fortsetzen
Was die Amtseinsetzung Obamas angeht, so glaube ich nicht, dass sie im israelischen Kalkül eine große Rolle spielt. Der künftige Präsident der USA hat die Israelis bislang nicht adressiert oder ermahnt.
Weit entscheidender scheint mir als Stichdatum der 10. Februar. Und selbst wenn die Wahlen in Israel verschoben werden, dann nur um einige Tage.
Dennoch denke ich nicht, dass die Israelis den Krieg so lange fortsetzen. Ich gehe vielmehr davon aus, dass die nächsten drei bis vier Tage sehr hart und entscheidend im Kampf sein werden und dass sich zum Ende der Woche eine Lösung einfinden wird, die zum Abzug der Truppen und zur Öffnung des Grenzüberganges führen wird. Danach kommen die politischen Verhandlungen.
Woher nehmen Sie diese Zuversicht?
Ussama Hamdan: Bislang ist nichts klar. Aber es gibt Initiativen. In bislang geschlossenen Kreisen, zwischen europäischen, islamischen und arabischen Staaten. Ich denke, Israel wird diese Initiativen akzeptieren. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Zu Beginn des Krieges hat die Hamas ca. 80 Raketen täglich auf Israel abgefeuert. Mittlerweile sind es nurmehr 20-30 täglich. Wie geschwächt ist die Hamas militärisch?
Ussama Hamdan: Das Ausmaß des Schadens kann niemand einschätzen. Aber Sie können versichert sein: der Widerstand ist nicht unterzukriegen.
Wie werten Sie die Worte von Hassan Nasrallah, der in einer seiner Ansprachen vor kurzem abermals betonte, dass Palästina "nie allein gelassen" werden darf?
Ussama Hamdan: Palästinenser in aller Welt haben es wohlwollend aufgenommen. Sie wissen, dass Sayyed Hassan Nasrallah den Widerstand unterstützt. Und vielleicht hoffen sie jetzt auf noch mehr. Warten wir ab, was in den nächsten Tagen geschieht.
Wäre die Hamas, die sich ja als der offizielle Widerstand Palästinas begreift, froh über eine militärische Unterstützung durch die libanesische Hizbollah?
Ussama Hamdan: Wir wären froh über eine Unterstützung durch alle Araber. Es geht nicht darum, für uns zu kämpfen, aber mit uns den Widerstand zu tragen.
Wie wird nach Ende dieses Krieges die Beziehung zwischen Hamas und Fatah aussehen?
Ussama Hamdan: Definitiv nicht wie vor dem Krieg. Wir müssen zurück auf die Ebene eines Dialoges um die nationalen palästinensischen Ziele finden. Wenn wir dies nicht tun, hätte Israel eines seiner Ziele erreicht, denn es will keinen Dialog unter den Palästinensern.
Es gibt Gerüchte, Präsident Mahmud Abbus wolle zurücktreten?
Ussama Hamdan: Diese Gerüchte gibt es seit zwei Jahren und bisher tat Abbas nichts dergleichen. Ich würde nicht darauf setzen.
UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ist eine mehrtägige Reise in den Nahen Osten angetreten und wird auch mit Mahmud Abbas sprechen - nicht aber mit Vertretern der Hamas.
Ussama Hamdan: Das wird seine Bemühungen nicht gerade fördern. Anstatt sich nach dem US-Außenministerium zu richten, das die Hamas als Terrororganisation einstuft, sollte er sich am palästinensischen Volk orientieren, das die Hamas in 2006 demokratisch gewählt hat. Als Generalsekretär der Vereinten Nationen sollte er sich die Mühe geben, die Hamas kennen zu lernen und herauszufinden, wer sie ist und was sie will.
Und wie sehen Sie die deutsche Haltung, die sich speziell der israelischen Seite verpflichtet fühlt?
Ussama Hamdan: Die Deutschen leben unter dem Druck des Holocaust, den die verbrecherischen Nazis gegen die Juden verübt haben. Das ist verständlich. Aber nun wird ein neuer Holocaust begangen - und das ist nicht meine Terminologie, sondern die von Matan Vilnai, dem stellvertretenden israelischen Verteidigungsminister, der den Palästinensern eine "Shoah", das hebräische Wort für "Holocaust", angekündigt hat, wenn die israelische Armee neuerlich in den Gaza einmarschiert. Wir sind nicht weit davon entfernt. Daher müssen sich die Deutschen nun - gerade aufgrund ihrer Vergangenheit - selbst fragen: Wollen sie einen neuen Holocaust unterstützen oder sind sie willens, alles dazu beizutragen, ihn aufzuhalten? Haben sie ihre Lektion aus der Vergangenheit wirklich gelernt oder nicht?
quelle: telepolis