Kriegsverbrechen im Libanon
06.02.2007 um 19:55
Täglich sterben Menschen im Libanon uner den Folgen der Clustermunition, die Israeleinsetzte
Der Artikel ist vom 25. 9, also gut einem Monat nach dem Krieg
Nabatiyeh. Der Libanonkrieg ist nicht vorbei. Jeden Tag sterben vier Menschen durchjene Minibomben, die die israelische Artillerie in den letzten drei Tagen des Konfliktsmillionenfach auf den Südlibanon abfeuerte, viele Menschen werden durch sie verletzt.
Kommenden Monat wird die Opferzahl rapide ansteigen. Dann beginnen die Bewohnerder Dörfer mit ihrer Olivenernte. Sie werden Oliven pflücken - wo, unter Ästen undBlattwerk verborgen, Bomben liegen, die bei der geringsten Bewegung explodieren. Dielibanesischen Bauern befinden sich in einem großen Dilemma. Sollen sie die riskante Erntewagen oder die Früchte, von denen sie abhängen, auf dem Feld verrotten lassen?
In einem Krankenhausbett in Nabatiyeh liegt ein 70-jähriger im Koma. Er stammt ausdem Dorf Yohmor. Letzte Woche pflückte der Mann Orangen von einem Baum vor seinem Haus,als plötzlich eine Minibombe ins Rutschen kam und explodierte. Bombensplitter drangen ihmin Gehirn, Lunge und Nieren. "Ich weiß, dass er mich hört. Sobald ich mit ihm spreche,drückt er meine Hand", sagt seine Tochter Suwad, die am Krankenbett des Vaters sitzt.Seit der Waffenruhe starben bereits 83 Menschen durch Clustermunition, so unabhängigeBeobachter.
Einige israelische Offiziere haben gegen den Einsatz vonClusterbomben protestiert. Jede Bombe enthält 644 kleine, nichtsdestotrotz tödlicheMinibömbchen, die gegen zivile Ziele im Libanon gerichtet waren. Der Kommandeur einerEinheit der MLRS (Raketensysteme mit multipler Schlagkraft) sagte gegenüber derisraelischen Tageszeitung Haaretz, die Armee habe insgesamt 1800 Raketen mitClustermunition abgefeuert, das entspreche 1,2 Millionen Minibomben auf Häuser undFelder. "Wir haben im Libanon ganze Dörfer mit Clusterbomben bedeckt", so der Kommandeur."Was wir dort taten, war verrückt und monströs." Was macht die Clusterbombe sogefährlich? 30 Prozent der kleinen Bömbchen detonieren beim Aufschlag nicht. Sie könnenjahrelang verstreut liegen - auf Dächern, in Gärten, auf Bäumen, am Straßenrand, imAbfall. Aufgrund ihrer geringen Größe sind sie oft schwer zu erkennen und lauern quasidarauf, bei Kontakt zu explodieren.
Das moderne 100-Betten-Krankenhaus vonNabatiyeh hat seit Kriegsende 19 Opfer von Clusterbomben aufgenommen. Bei unserer Ankunftwird gerade ein neuer Patient eingeliefert: Ahmad Sabah, ein Labortechniker desKrankenhauses. Rasch bringt man ihn in die Notfallambulanz. Sabah ist 45 Jahre alt, einkräftiger Kerl. Jetzt liegt er bewusstlos auf der Bahre. Am frühen Morgen war Sabah aufdas Flachdach seines Hauses gestiegen, um nach dem Wassertank zu sehen. Dort muss er anseinen Holzstapel gekommen sein - Feuerholz für den Winter. Was Sabah nicht wusste: Voreinem Monat war ein Minibömbchen zwischen den Stapel gerutscht. Der Holzstapel bewahrteSabah jetzt vor der vollen Wucht der Explosion. Als wir in der Klinik waren, versuchtendie Ärzte noch herauszufinden, wie schwer seine Verletzungen waren.
"Für unsgeht der Krieg weiter - trotz des Waffenstillstands am 14. August", so Dr. Hassan Wazni,der Leiter der Klinik. "Wären die Clusterbomben alle beim Aufprall explodiert, wäre esnicht so schlimm, so aber töten und verstümmeln sie weiter Menschen".
DieMinibomben sind klein, aber sie explodieren mit verheerender Wirkung. Am Morgen desWaffenstillstands wurde der 11-jährige Hadi Hatab sterbend in die Klinik eingeliefert."Er muss die Bombe eng an sich gehalten haben", so Dr. Wazni. "Sie riss ihm Hände, Beineund den Unterleib weg".
Wir fahren nach Yohmor, um zu sehen, wo der alte HusseinAli Ahmad seine schrecklichen Verletzungen erlitten hat, als er von seinem Baum Orangenpflückte. Das Dorf liegt am Ende einer kaputten Straße, sechs Meilen südlich vonNabatiyeh. Darüber erheben sich - auf einem Bergrücken über einer tiefen Schlucht, durchdie der Litani-Fluss fließt -, die Ruinen der alten Kreuzritterburg Beaufort.
Rund ein Drittel der Häuser des Dorfes sind durch explodierende israelische Bombenund Granaten in Beton-Sandwiches (ein Stockwerk klappt auf das andere) verwandelt worden.Einige Familien kampieren in den Ruinen. Die Dorfbewohner sagen, am meisten fürchten wirdie Clusterbomben, die überall in unseren Gärten, auf unseren Dächern und in denObstbäumen liegen. Auf der Dorfstraße begegnen wir den weißen Fahrzeugen des MAG, einerMinenberatungsfirma mit Sitz in Manchester. Die Teams versuchen, die Minibomben zuräumen.
Kein leichter Job. Sobald einer aus dem MAG-Team eine Minibombe gefundenund geräumt hat, steckt er einen Stock in die Erde. Die Stöcke sind markiert - oben rot,darunter gelb. Hier im Dorf sieht man so viele davon, dass es aussieht, als hätte inYohmor ein übles Unkraut Wurzeln geschlagen und blühe nun im Dorf. "All dieseClusterbomben sind in den letzten Kriegstagen gelandet", so Nuhar Hejazi, eineüberraschend gut gelaunte 65-jährige. "Auf unserem Hausdach waren es 35, und 200 liegenin unserem Garten, daher können wir nicht zu unseren Olivenbäumen". Die Menschen inYohmor hängen von ihren Olivenbäumen ab. Die Ernte sollte noch vor dem Regen starten,aber noch hängen die Bäume voller Bomblets. "Mein Mann und ich produzieren 20 Kanister Ölim Jahr, das wir verkaufen müssen", so Hejazi. "Jetzt wissen wir nicht, was wir machensollen". Die schiere Masse an Minibömbchen macht eine komplette Räumung fast unmöglich.
Der Minenräumexperte Frederic Gras ist Leiter des MAG-Teams in Yohmor. Früherwar er bei der französischen Marine. Er sagt: "In der Region nördlich vom Litani-Flusswerden täglich drei bis vier Leute durch Clusterbomben getötet. Die israelische Armeeweiß, dass 30 Prozent nicht explodieren, nachdem sie abgefeuert wurden, so dass sie zuAntipersonenminen werden."
Warum handelt die israelische Armee so? Insgesamtmüssen es mehr als 1,2 Millionen Bomben gewesen sein. Schließlich wurden sie nicht nurmit Raketen abgefeuert, sondern auch mittels Artilleriegranaten des Kalibers 155mm. Einisraelischer Grenadier sagte, er sei angewiesen worden, das Zielgebiet zu "überfluten",spezifische Ziele seien nicht genannt worden. Frederic Gras - der persönlich täglichzwischen 160 und 180 Bomblets entschärft -, sagt, es sei das erste Mal, dass er sehe, wieClusterbomben gegen dichtbesiedelte Dörfer eingesetzt wurden.
Laut einesLeitkommentars der Haaretz war der massive Einsatz der Clusterbomben durch die IDF(israelische Armee) ein verzweifelter Versuch in Torschlusspanik, das Raketenfeuer derHisbollah auf Nordisrael zu stoppen. Was immer der Grund für den Beschuss gewesen seinmag: Im Südlibanon werden noch jahrelang Dorfbewohner durch Clusterbomben sterben oderverletzt werden, während sie ihre Oliven ernten und Orangen pflücken.