Kriegsverbrechen im Libanon
23.05.2007 um 01:27
Der Libanon, Syrien und Jordanien - alle drei Länder beherbergen palästinensischeFlüchtlinge, und das oft schon seit vielen Jahrzehnten. Die Lebensbedingungen derFlüchtlinge sind allerdings alles andere als einheitlich: Während im Libanon dieZukunftsaussichten verheerend sind, stehen die Chancen in Syrien und Jordanien für die inder Diaspora lebenden Palästinenser weitaus besser. Doch viele haben den Traum von einerendgültigen Rückkehr noch immer nicht begraben.
Zu Besuch in Mar Elyas, einemLager für palästinensische Flüchtlinge am Stadtrand der libanesischen Hauptstadt Beirut.Bei Familie Hamdiyeh wird jedes Abendessen von den Fernsehnachrichten aus der einstigenHeimat begleitet. Der dreijährige Mustafa spricht am Telefon mit seinem Onkel Younis, dervor wenigen Monaten in England Asyl beantragt hat. Im Libanon sah der junge Akademikertrotz exzellenter Abschlüsse für sich keine Zukunft.
Knapp eine MillionPalästinenser wurden nach der Staatsgründung Israels im Jahre 1948 zu Flüchtlingen. Aufmindestens fünf, nach manchen Schätzungen sogar bis zu sieben Millionen ist diepalästinensische Diaspora inzwischen angewachsen. Bis heute säumen ihre übervölkertenQuartiere die Ränder arabischer Hauptstädte wie Amman, Damaskus und Beirut. Am elendestenist die Situation der knapp dreihunderttausend Flüchtlinge im Libanon: Nahezu allequalifizierten Jobs sind ihnen per Gesetz versperrt. Wer nicht von Verwandten in Europaoder Übersee unterstützt wird, muss oft mit weniger mehr als 200 Euro im Monat eineGroßfamilie über Wasser halten.
Auf dem Weg durch die verwinkelten Gassen desLagers erzählt Mustafas Vater Nabil vom Verlust seines Jobs und seiner vergeblichenArbeitssuche. Jetzt bereut er, dass er geheiratet und ein Kind gezeugt hat. Bis in dieneunziger Jahre hinein war das ganz anders: Kinder und ihre Ausbildung galten alsInvestition in die Zukunft - als Vorbereitung auf die Rückkehr in ein unabhängigesPalästina. Doch seit den Friedensverhandlungen von Oslo und Camp David haben die meistenFlüchtlinge die Hoffnung auf Rückkehr verloren. Baha Tayar, eine Mitarbeiterin despalästinensischen Sozialverbands, über die Auswirkungen auf die Kinder.
Die Kinderfragen: Warum sollen wir jahrelang an der Uni sitzen und Studiengebühren zahlen, umIngenieur oder Arzt zu werden, wenn wir dann am Ende für hundert Dollar im Monat arbeitenmüssen - weil es mir als Palästinenser verboten ist, als Arzt zu arbeiten. Es gibtwirklich ausgebildete Ingenieure, die ihr Geld mit dem Verkauf von Gemüse verdienen - dieKinder kennen diese Fälle genauso wie wir und sagen uns: Da verkaufe ich doch liebergleich Gemüse und spar mir den Umweg über die Uni.
Offiziell bekennen sich nahezualle libanesischen Politiker und Parteien zur Sache der Palästinenser. Sie fordern dieRückkehr der Flüchtlinge in ihre heute größtenteils tief in Israel gelegenen Städte undDörfer. Tatsächlich hätte eine endgültige Ansiedlung der im Libanon lebenden, überwiegendmuslimischen Palästinenser verheerende Auswirkungen auf die fragile Balance derReligionen in dem kleinen Mittelmeerland. Insgeheim haben sich viele Libanesen jedochlängst damit abgefunden, dass die ungeliebten Gäste bleiben werden und spekulieren aufden politischen Preis, den der Libanon für dieses Zugeständnis verlangen könnte - wieetwa neue Finanzhilfen zum Abbau der ausufernden Staatsverschuldung. In der Zwischenzeitwird alles getan, um eine Integration der Flüchtlinge zu verhindern - aus Furcht, dassdie internationale Gemeinschaft das Problem sonst als gelöst betrachtenkönnte.
Selbst wenn ich unter freiem Himmel schlafen müsste, selbst wenn ich inPalästina Bürgerin zweiter oder gar zehnter Klasse wäre - wenn ich könnte, würde ichsofort dorthin zurückkehren. Das ist immer noch besser als diese elenden Lager, immernoch besser, als in einem Land zu leben, wo ich ständig daran erinnert werde, dass ichhier nicht hingehöre.
Berichte über die Lage der palästinensischen Flüchtlingekonzentrieren sich oft auf den Libanon, wo die ökonomische Lage besonders verzweifelt,das politische Problem besonders offensichtlich ist. Doch weniger als ein Zehntel allerFlüchtlinge lebt dort. Im Nachbarland Syrien leben etwa eine halbe Million Palästinenser- die hier außer dem Wahlrecht alle Bürgerrechte besitzen, in allen Berufen arbeiten undGrund und Boden ebenso besitzen dürfen wie jeder Syrer auch.
In einerbescheidenen Parterrewohnung im Viertel Dscheramana am Stadtrand von Damaskus erhitzensich die Gemüter. Hausherr Bassam, selbst Syrer, arbeitet als Redakteur für einepalästinensische Zeitschrift. In seinem winzigen Wohnzimmer debattiert ein rundes Dutzendsyrischer und palästinensischer Freunde und Kollegen über die jüngsten Entwicklungen inIsrael. Für Außenstehende ist weder am Dialekt noch an den politischen Standpunkten zuerkennen, wer Syrer und wer Palästinenser ist. Anders als in allen Nachbarländern ist diegroße Mehrheit der Flüchtlinge vollkommen in das soziale Gefüge des Gastlandesintegriert. Bassams Ehefrau Assya, selbst Palästinenserin, amüsiert sich über dasErstaunen der ausländischen Besucher.
Das ist doch völlig normal, wieso wundertdich das? Meine Eltern leben hier seit 57 Jahren. Ich habe mehr syrische alspalästinensische Freunde. Mein Mann ist Syrer… Ich denke darüber nicht einmal mehr nach.Ich bin hier in Damaskus geboren und liebe diese Stadt sehr, ich fühle, dass ein Teil vonmir hierher gehört. Das heißt aber nicht, dass Syrien mir meine Heimat Palästina ersetzenkann.
Über Jahrzehnte hat das syrische Baath-Regime sich selbst als Vorkämpfer derpalästinensischen Sache präsentiert und palästinensische Organisationen für die eigenenZwecke instrumentalisiert. Der verstorbene PLO-Chef Jassir Arafat, der sich nicht in denDienst der syrischen Außenpolitik stellen mochte, wurde von den Herrschern in Damaskusebenso hartnäckig bekämpft wie der in Oslo eingeleitete Friedensprozess. OhneEinbeziehung Syriens, so die Botschaft an Israel und die USA, wird es im Nahen Ostenkeinen Frieden geben. Bis heute beherbergt Damaskus Vertreter von palästinensischenOrganisationen wie der Hamas, dem Islamischen Dschihad und der "Volksfront für dieBefreiung Palästinas". Immer wieder beschuldigen Israel und die USA Syrien, mit Hilfedieser Gruppierungen Anschläge in Israel zu organisieren. Deren Büros befinden sichdeshalb stets in unauffälligen Gebäuden tief im Gassengewirr der Lager - so wie dasHauptquartier der "Demokratischen Volksfront für die Befreiung Palästinas", für derenParteizeitung Assyas Ehemann Bassam als Redakteur arbeitet. Herausgeber Moatasim Hamadehhat demographische Studien in Auftrag gegeben, um die Einstellungen der Flüchtlinge zurRückkehr nach Palästina zu erforschen.
Die alten Leute haben jede Hoffnung aufRückkehr aufgegeben - sie wissen, dass sie es nicht mehr erleben werden. Die mittlereAltersgruppe hält am Rückkehrrecht fest, aber ihre Erfahrungen mit den arabischen Regimesmachen sie sehr skeptisch, ob es jemals dazu kommen wird. Die Jugendlichen dagegenbestehen besonders entschlossen darauf. Sie haben romantische Vorstellungen von ihrerHeimat, die Alten erzählen ihnen vom Leben im Dorf, von ihren Feldern und Bäumen.
Meine Eltern haben mir soviel von Palästina erzählt von unserem Dorf Tireh beiHaifa. Mutter und Vater haben mir von den Bergen erzählt, dass es nicht viele Kühe gibt,weil unsere Gegend so bergig ist. Oft träume ich von etwas, das nicht eindeutig Palästinaist - ein Phantom von Palästina, ich sehe Berge, die grün bewachsen sind - seit ich kleinbin erzählen sie mir von Arak Al-Sheikh, dem höchsten Berg in unserer Gegend, von Kharrabal-Ain, dem fruchtbarsten Land in der ganzen Gegend, wo auch unser Land war.
Assya und Bassam sind mit zwei Einkommen, nur zwei Kindern und einer kleinenEigentumswohnung außerhalb des Lagers für syrische Verhältnisse zu bescheidenem Wohlstandgekommen. Weil ihr Ehemann Syrer ist, könnte auch Assya die syrische Staatsbürgerschafterwerben. Ihre Kinder haben sie schon bei der Geburt automatisch erhalten. Ganz praktischgesehen wäre das Flüchtlingsproblem in dieser Familie damit gelöst. Doch faktisch werdenauch ihre Kinder dazu erzogen, weiter von Palästina zu träumen.