CDU verspicht kostenlose Kindergartenplätze
24.03.2006 um 17:12
Mal was zum Nachdenken ...
aus der Süddeutschen ;)
Mit 37 hat man (kaum)noch Träume
Mädels, wie die Zeit vergeht! Für Kinder ist es bald zu spät. Überdas entscheidende Jahr im Leben einer Frau.
Meine Krise begann mit einerStatistik, mit ein paar blanken Zahlen. Mehr als vierzig Prozent der Akademikerinnenhierzulande, las ich in der Statistik, sind kinderlos. Das wissen wir doch, dachte ich.Darüber wird im Moment viel geschrieben, viel gesprochen – der »demografische GAU« wirddas immer genannt.
An jenem Tag aber, an dem ich in die Statistik blickte,stach mir diese Zahl mitten ins Herz. Es war mein 37. Geburtstag. Mir wurde klar: Indieser Statistik, da ging es um mich, um so viele in meinem Freundeskreis: Ich, wir,waren Teil eines ziemlich deprimierenden Zahlenwerks – Teil dessen, was in Deutschlandals Grundübel unserer überalternden Gesellschaft erkannt wird. Plötzlich war klar: Ichwar schuld. Aber warum? Hatten wir nicht alles richtig gemacht? Studieren, arbeiten,Beziehungen führen, Beziehungen beenden, umziehen, Job wechseln, das Leben genießen,manchmal an die Zukunft denken und das Ganze immer wieder von vorn. Gefangen in denunendlichen Möglichkeiten. Und davon hieß nur eine »ein Kind«, klar, irgendwann, später.Ein Kind erschien uns selbstverständlich, bis es plötzlich sehr, vielleicht zu spät war.
Lag es an der Zeit, in der wir geboren waren? 1968. Manche unserer Lehrer warennoch nackt auf Bäume geklettert, um sich oben in der Baumkrone von den Restriktionen derbürgerlichen Gesellschaft frei zu küssen. Eigentlich hatten wir mit den Achtundsechzigernwenig gemein. Die meisten unserer Eltern schlugen sich ja geradlinig durchs Leben. Dochwir wollten Abenteuer. Die konservative Generation Golf begann erst zwei Schulklassenunter uns. Wir gehörten nirgendwo so richtig dazu und trotzdem schien uns alles offen zustehen. Wir kühlen Achtziger-Jahre-Jugendliche gingen sorglos in die Zukunft, wolltenromantische, fordernde Liebesbeziehungen – irgendwas Erlesenes. Bis wir aus unsererSelbstverwirklichung aufwachten, waren wir Mitte dreißig und die Gegenwart hatte unseingeholt: Die wirtschaftliche Krise und eine unbeantwortete Kinderfrage. Plötzlich, mit37, stand man also wieder wie am Anfang: Als hätte jemand die Reset-Taste gedrückt.
Was war passiert? »Wir wurden umprogrammiert«, sagte Frank Schirrmacher kürzlich imSpiegel. Fehlgeleitete materielle Schlüsselreize hätten in die menschliche Biologieeingegriffen, wir hätten vergessen, worum es beim Leben und Überleben geht: die Familie,die Kinder. Draufgänger ohne Familienbindung, so steht es in Schirrmachers neuem BuchMinimum, waren historisch gesehen schon immer die ersten Opfer von Krisen undKatastrophen. Nicht nur, dass wir höllische Egoistinnen einer Genussgeneration wurden,die gewaltig zu den Problemen eines kinderarmen Sozialstaats beiträgt – nein, wir werdenauch schlicht nicht überleben beim nächsten Hotelbrand, der nächsten Überschwemmung oderSintflut. Weil Freunde eben doch nicht die neue Familie sind und uns unser metrosexuellerKumpelfreund niemals mit ins Beiboot nehmen würde. Während die Großfamilien gemütlichabtuckern. Aber kann man eine gesellschaftliche Entwicklung auf Biologie reduzieren, wennman gerade erst einer Frauengeneration, die weder feministisch noch traditionellverankert war, beigebracht hat, dass sie arbeiten darf? Dass wir Kinder bekommen solltenund könnten, das wussten wir schon vor fünfzig Jahren. Schön, dass jetzt Männer kommenund im Zuge ihrer neu propagierten Bürgerlichkeit uns wieder daran erinnern.
Job & Kind: Zunächst erschien uns das Unterfangen so einfach, wie von all denTitelzeilen auf all den Frauenzeitschriften suggeriert. Aber irgendwann in unseremLebenslauf inmitten all der Selbstverwirklichung verschwand der Kind-Teil desJob&Kind-Programms und ward lange Zeit nimmer gesehen. Dabei hatte meine Mutter diesenTeil noch als »das Normalste der Welt« bezeichnet. Mit Anfang dreißig, muss ich sagen,dachte ich noch gar nicht an Kinder. Einmal meinte eine Kollegin, die schwanger wurde, zumir: Eigentlich passt es nie. Warum nicht jetzt? Ich weiß noch, wie mir nur ein Worteinfiel: später. Man hatte doch so viel Zeit. Mit Anfang dreißig war man noch keine 35.Mit 35 noch lange keine vierzig. Aber mit 37?
Vor zwei Jahren saß ich mitmeinem damaligen Freund in der Küche, wir waren sehr still an diesem Morgen. Am Abendzuvor hatten wir ein Paar besucht, deren Welt nun klar definiert war und einen Namenhatte: Alexander, drei Monate alt. Wir hatten keinen Namen für unser gemeinsames Leben,nicht geheiratet, irgendwie auch kein Ziel, wir waren nirgendwo angekommen. Vermutlichspürten wir beide plötzlich diesen Verlust, der über die Jahre, die so schnell waren,schleichend gekommen war. Und nun war daraus eine Leere geworden, die sich auch nichtmehr durch Gespräche schließen ließ. Eigentlich wollten wir beide eine Familie, dochgeplant hatten wir das nie, darüber geredet selten. Es sollte immer alles perfekt sein,die Wohnung, der Job, das Zusammensein, man lebte auf einer permanenten Baustelle. Undnun war es zu spät, nochmals von vorn anzufangen, zu spät auch für unsere Beziehung.
Wie viele Paare sich wohl wegen der Kinderfrage trennen? Auf jeden Fall scheint eseines der größten Tabus unserer Generation zu sein, die Frage, warum man kein Kind hat.Darüber spricht niemand gern, und wenn, dann bitte ohne Namen. Vielleicht hätte ein Kindbedeutet, endlich erwachsen zu werden. Und damit ließen wir uns Zeit. Aber wenn es dannlangsam zu spät wird? Die Antworten sind bitter. Eine heißt Kinderwunschklinik. Da gehthin, wer sein Leben in letzter Sekunde retten will – als könnte man sich den Nachwuchsnoch termingerecht bestellen, so wie wir es mit unseren Steuervergünstigungen immergemacht haben, gerade noch rechtzeitig vor Ablauf der Frist. Allein im Jahr 2003 stiegdie Zahl der Kinderwunschbehandlungen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um einDrittel an.
Ich begleite also eine Freundin zur Fertilitätsklinik in Berlin, amGendarmenmarkt. Die Freundin ist froh, dass sie nicht allein gehen muss. Als ich in demWartezimmer sitze, verstehe ich, warum: Die Praxis strahlt zwar den Charme einesWellness-Hotels aus – sanfte Musik, Aquarium, Yoga-Broschüren –, und doch hängt in diesenRäumen eine Art kollektive Verzweiflung, die auch das gedimmte Licht nicht übertünchenkann. Man vermeidet Blickkontakt, denn man würde nur in das eigene Gesicht blicken, dasGesicht einer Generation, die sich nun fragt: Warum erst jetzt?
Meine Freundinsagt, dass sie nach jedem dieser Besuche heult. Noch aus dem Behandlungszimmer schicktsie eine SMS an ihren Freund: Wieder nicht. Sie hatte neue Hormonflüssigkeit bekommen,die sie sich täglich mit einem Gerät, das wie ein Schraubenzieher aussieht, durch dieHaut in den Bauch schießt. Jetzt geht also alles wieder von vorn los, wieder ein neuerMonat, wieder neue Präparate, neue Hoffnung. Das geht so seit einem halben Jahr. Immeröfter merkt sie, wie sich dabei ihr Gemüt langsam verdunkelt, vielleicht eineNebenwirkung der Präparate. Vielleicht aber auch Ergebnis dieses wiederkehrendenGedankens, dass es irgendwann zu spät ist, definitiv, endgültig. Meine Freudin willdarüber mit ihrem Freund nicht sprechen. Sie sagt: »Unsere Liebe hat gelitten. Es geht umden pünktlichen Eisprung und nicht mehr um Leidenschaft. Ich weiß nicht, wie lange wirdas durchstehen, diesen technischen überwachten Wettlauf mit der Zeit.«
Wie sind wirin diesen Wettlauf überhaupt geraten? Der Soziologe François Höpflinger von derUniversität Zürich sagt über meine Generation, wir seien »Spätzünder«. Dass wir heute 30-bis 39-Jährigen so kinderlos sind, das zeigten Umfragen, liege daran, dass wir oft trotzunseres fortgeschrittenen Alters immer noch nicht den richtigen Partner gefunden hätten,dass wir zu lange unabhängig bleiben wollten. Auf einer Krisensitzung des DeutschenInstituts für Wirtschaftsforschung rätselten kürzlich Experten über die »deutscheKinder-Dürre«. Die neuesten Erkenntnisse dazu liefert der Soziologe Thomas Klein von derUniversität Heidelberg. Sie sind wahr und banal zugleich: Es liege an der »Instabilitätder Beziehungen«, erklärte Klein in seinem Vortrag, denn in neuen Beziehungen müsse derKinderwunsch immer wieder erst entstehen.
Immer wieder. Und immer wieder vonvorn. »Reset« sei ein gutes Wort für das Bauchgefühl unserer Generation, sagt eine andereFreundin. Ich hole sie ab, wir wollen ausgehen, sie tippelt auf hohen Absätzen ins Bad,schminkt sich. Alles ist wie früher und so oft erlebt. Ich sitze auf der Couch und warte.Wie oft sind wir schon in Bars oder Clubs gewesen? Und was haben wir dort von einem aufdas andere Mal gesucht? Westbam, der Berliner DJ, hatte mal die Losung »We never stopliving this way« ausgegeben und dies als etwas Erstrebenswertes erscheinen lassen. Aberist es das? Und glauben wir wirklich noch daran, dass wir zwischen zwei Gläsern Wein denTraummann finden? Oder die neue Telefonnummer, in eine Zigarettenschachtel gekritzelt,nicht verlieren – bis wir uns schließlich zum hundertsten Mal fragen, ob der erste Freundnicht vielleicht schon der richtige war.
Aus dem Bad sagt meine Freundin, sie werdedas Thema nun viel ökonomischer angehen. Zu oft sei sie mit Männern zusammen gewesen, dienoch nicht reif waren für die Kinderfrage. Und natürlich hätte sie auch nie gefragt. »DerNächste muss es sein«, sagt sie. Die Suche nach dem richtigen Mann werde sie nunmindestens so ernsthaft und professionell betreiben wie einen Job. Oft sitzt sie bis spätin die Nacht vor dem Computer, Stunden zwischen Glück und Verzweiflung in den Chaträumenvon Internet-Partner-Börsen, bis sie sich dann traut zu fragen: »Wie denkst du überKinder?« Sie sagt: »Das ist doch eine gute Technik, um nicht dauernd sein Herz an denFalschen zu verlieren.«
An diesem Abend sehe ich unserer Generation dabei zu, wie sieversucht etwas nachzuholen, was ihr langsam entgleitet. Eine Party für Singles, Menschenüber dreißig zahlen keinen Eintritt. Eine Stimmung wie kurz vor dem Kehraus. Wer hierniemanden findet, und sei es nur für eine Nacht, der braucht sich keine weiterenIllusionen über sein Leben zu machen. Jetzt oder nie. Oder wie Harald Schmidt mal überdie Frauen ab 35 in seiner Branche sagte: »Die haben mit Glück einen One-Night-Stand miteinem Beleuchter, sozusagen Last Minute in Sachen Kinderwunsch.« Ich habe das in denGesprächen für diese Geschichte erschreckend oft gehört: die Hoffnung auf eine Affäre,Sex am richtigen Tag. »Dann wäre ich nur eine mehr von den vielen allein erziehendenMüttern«, sagt eine der interviewten 37-Jährigen. »Hauptsache, dass ich es noch geschaffthabe. Ein Kind. Sonst würde mir etwas fehlen, ich würde unglücklich werden.« Sie istnicht die Einzige.
Dass sich Akademikerinnen bewusst gegen ein Kind entscheiden,angeblich ein Drittel – so behaupten es die Statistiken –, habe ich in den Interviews niegehört. Ich hörte nur von Tränen, schlaflosen Nächten, Depressionen, Psychotherapie, derAngst, die Zeit für ein Kind endgültig zu verpassen. Aber man wollte doch nie auf etwasverzichten. Obwohl die 1968 Geborenen mit den Achtundsechzigern wenig gemein hatten, warder Gedanke doch präsent: Ein Kind könnte eine Belastung sein. Verwirkliche dich erst malselbst! Zugleich bescheinigt der Soziologe Ulrich Beck den gleichaltrigen Männern eine»verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre«. Was heißt: Man konnte gutfür die Emanzipation sein, denn zwecks Gleichberechtigung musste man auch keineVerantwortung übernehmen. Ein Kind hätte Verantwortung bedeutet. Da entwickelte dieGeneration der 68-Geborenen sich selbst wunderbar aneinander und der Kinderfrage vorbei.Und nun gibt es das bittere Erwachen, Reset, in einer wirtschaftlichen Krise, wenn derJob kein Halt mehr ist. Aber eine Familie könnte Halt geben. Das ahnen wir langsam undverfallen in eine kollektive Torschlusspanik. Die Mitte-Zwanzig-Jährigen haben dasvermutlich längst erkannt, dachte ich kürzlich. Ist doch genau richtig: ein Kind in einemalten, runden Kinderwagen aus der Zeit des Wirtschaftswunders durch das angeschlagene,arbeitslose Berlin zu schieben.
tu (franz/ital.) ...du
Wir wissen gar nichts von der Frau.
Rene Descartes ;)