fischersfritzi schrieb:"Zigeuner" war nie "neutral".
das will ich mal herausgreifen, weil mir das besonders spannend erscheint:
doch, "Zigeuner" war mal neutral, und zwar vor gar nicht so langer Zeit, eine Diskussion um diesen Begriff begann erst in den 1970ern. Ja, es ist eine Fremdbezeichnung, die schon lange AUCH negativ verwendet wurde, daher verstehe ich, dass die derart Bezeichneten damit nicht glücklich sind, aber es war bis dahin ein neutraler Begriff, schon allein, weil es der Standardbegriff war, der auch zB. in der Verwaltung verwendet wurde!
Spannend finde ich nun aber noch mehr, dass meinem persönlichen Sprachempfinden nach "Zigeuner" ein positiver besetzter Begriff ist als zB. "Roma".
Wenn ich den Begriff "Zigeuner" höre, assoziere ich damit Begriffe wie "Zigeunerromantik", "freies Zigeunerleben", "Zigeunerschmuck", "Zigeunermusik", oder auch "Zigeunersoße" und "Zigeunerschnitzel", ich denke an Alexandra "Zigeunerjunge" usw. Sicher einige unsinnige Assoziationen, aber das sind eben die Dinge oder Begriffe, an die ich bei "Zigeuner" denke.
Wenn ich nun aufgefordert werde, mir einen "Zigeuner" vorzustellen, dann denke ich an jemanden, der ehrlich und hart seinen Lebensunterhalt mit traditionellem Handwerk verdient und von Dorf zu Dorf zieht, um seine Dienste zB. als Scherenschleifer, Kesselflicker, Schmied, Korbbinder, Ledergerber, Ofenreiniger o.ä. anzubieten. Oder ich denke an Familien, die zB. mit einem kleinen Zirkus umherziehen und mit lustiger Musik, Tanz und originellen Darstellungen, aber auch Wahrsagerei und Verkauf von selbst hergestelltem Schmuck für Unterhaltung sorgen. Kurzum, ich denke eher an Positives.
Wenn ich hingegen "Sinti und Roma" höre, dann denke ich zuerst an Bettlerbanden und Metalldiebstähle. Anschliessend an runtergekommene Siedlungen wie Lunik IX und organisierte Kriminalität... Kurzum, "Sinti und Roma" klingt für mich negativ, ich verknüpfe damit nichts Ansprechendes.
Natürlich ist diese Teilung unsinnig und sehr klischeebehaftet, aber ich glaube, ich bin keineswegs der Einzige, der derart den Begriff "Zigeuner" positiver empfindet als den Begriff "Sinti und Roma".
Was zu dem eigentlichen Kernproblem führt: durch die Änderung von Sprache, durch Begriffe kann man nur die äussere Hülle, nicht aber das Denken ändern. Rassismus kann nicht durch neue Bezeichnungen bekämpft werden, im Gegenteil, neue, angeblich nicht-diskriminierende Bezeichnungen laufen Gefahr, noch mehr negativ besetzt zu werden, zum Sammelbecken aller Vorurteile zu verkommen. Nachdem Martin Schulz (SPD) 2016 zB. Flüchtlinge als "wertvoller als Gold" bezeichnete, ist der Begriff "Goldstücke" zu einem Hetz- und Hasswort gworden!
Echte sprachliche Veränderungen entstehen dadurch, dass zunächst einige eine bestimmte Formulierung, einen Begriff, eine Assoziation o.ä. verwenden, dass dann immer mehr Menschen dies aus freien Stücken gut finden und übernehmen und erst, nachdem sich diese Verwendung im Sprachraum etabliert hat, Medien und Institutionen wie zB. Duden sich dem Volksmund anschliessen und ganz am Schluss Bildungseinrichtungen wie Schulen diese Sprache lehren. Solcherlei gewachsene sprachliche Änderung geht dann auch sehr oft mit einem veränderten Denken einher.
Der Versuch, diesen Prozess umzudrehen, also in Medien, im Duden, in Schulen sprachliche Veränderungen vorzuschreiben, die nicht der gewachsenen Sprache entsprechen, sind hingegen lächerlich und werden auch keine Veränderung des Denkens bewirken!