Kampf um das Recht
Michael Ploese 14.06.2007
Polizeilicher Notstand inHeiligendamm: Warum
Protestkultur ohne Rechtskultur nicht auskommt
Am Montagzogen der Republikanische Anwaeltinnen und
Anwaltverein (RAV) und dieStrafverteidigervereinigung
Mecklenburg-Vorpommern auf ihrer Pressekonferenz
Resuemee.
Rostock-Laage, Dienstag, 5.6.07, 13:30 Uhr: Als Daniel
Beckermit dem Auto unterwegs auf der A 19 am Flughafen
Rostock-Laage vorbeikommt, traut erseinen Augen nicht.
Die hohe Polizeipräsenz war ihm bereits auf der Autobahn
aufgefallen, teilweise waren ganze Busse von der Polizei
angehalten, von Beamtenumringt und die Reisenden zum
Aussteigen veranlasst worden. Durchsuchungen hattensich
angeschlossen. Ein Bus durfte die Fahrt nur im
polizeieskortierten Konvoifortsetzen. Hier am Flughafen
Rostock-Laage – wenige Stunden bevor die AirforceOne
auf dem Rollfeld aufsetzen würde – erscheint ihm die
Situation jedochvöllig skurril:
"Als Berliner ist man ja an einige Polizeieinsätze
gewöhnt, aberwas hier abgeht, ist echt krass. So was
habe ich im Leben noch nicht gesehen", stauntder
wissenschaftliche Mitarbeiter von der Universität
Rostock auf seinem Weg zurArbeit beunruhigt.
Mehrere Kampfhubschrauber der Bundeswehr stehen in der
Luftund verursachen ein mulmiges Gefühl in der
Magengegend. Vor dem Sicherungszaun desFlughafens sind
olivgrüne Schützenpanzerfahrzeuge der Bundeswehr
aufgefahren. DieCrashtore werden von Räumpanzern der
Polizei gesichert. Im nahegelegenenKiefernwäldchen
suchen Polizeibeamte mit Minensuchgeräten den Boden ab.
Alle paarhundert Meter säumen Polizisten die Straße.
Hinter seinem Steuer winkt Becker einembesonders
missmutig dreinguckenden Beamten zu, der daraufhin
zurücklächelt– immerhin.
Rostock-Laage, Dienstag, 5.6.07, 17:05 Uhr:
Als dieantimilitaristische Kundgebung in Weitendorf –
zeitgleich mit denen in dreianderen Orten rund um den
Fliegerhorst der Bundeswehr – startet, wird sie
augenblicklich von Polizeikräften umringt. In Sichtweite
stehen weitere Beamtemit Maschinenpistolen und
vermummte GSG9-Kräfte. Vor den Toren des Flughafens sind
Schützenpanzerwagen aufgefahren. Zwei große
Polizeifahrzeuge versperren amKundgebungsort Weitendorf
die Sicht zum Flughafen.
Rechtsanwalt Schultz, der dieAnmelderin vor Ort
unterstützt, verweist gegenüber dem Einsatzleiter auf
die vomOVG bestätigte Einigung mit der Polizeiführung,
wonach der ungehinderte Blick auf denFlughafen und
damit die Sichtbarkeit der Demo für die landenden
Staatsgästegewährleistet würde. Der aber winkt ab. Er
habe hier nichts zu entscheiden, dieAnweisungen kämen
von der Kavala aus Rostock.
Was sollten wir da machen, wennsich die Polizei nicht
an ihre eigenen Absprachen hält? Einen einstweiligen
Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht erwirken, wäre in
dieser Situation zwarnotwendig, aber kaum sinnvoll
gewesen. Das ist nur ein krasses Beispiel für viele
andere, in denen die Polizei ihre Zusagen bewusst und
rechtswidrig gebrochen hat.Die Polizei vergisst, dass
sie nicht zur Festnahme von vermeintlich Vermummten da
ist, sondern zum Schutz und zur Durchsetzung des
Demonstrationsrechts.
Rechtsanwalt Eberhard Schultz, Bremen
Auch nach Beendigung der Kundgebung gehen dieSchikanen
weiter. Als abziehende Versammlungsteilnehmer
kurzfristig eine Kreuzungan der B 103 blockieren,
werden sie von einem massiven Polizeiaufgebot in die
Böschung neben der Straße abgedrängt und über eine
Stunde durch ein massivesPolizeiaufgebot mit
Polizeihunden usw. am Weggehen gehindert. Die Straßen
sinddamit für den Durchgangsverkehr praktisch gesperrt.
Wieder versucht RechtsanwaltSchultz zu vermitteln. Der
Einsatzleiter garantiert schließlich den ungehinderten
Abzug der Versammlungsteilnehmer. Doch die Einsatzkräfte
der Polizei riegeln dieStraße weiterhin ab. Ein
Wegkommen ist nicht möglich. Derweilen [extern] ertönt
über den Lautsprecher eine letzte Aufforderung der
Polizei an dieVersammlungsteilnehmer zum Verlassen des
Ortes und eine Androhung polizeilicherMaßnahmen,
insbesondere körperlichen Zwangs, im Falle des
Verweilens.
Rostock, Dienstag, 5.6.07, nachmittags:
Im Büro desAnwaltlichen Notdienstes ruft jemand vom
Telefondienst nach einem Anwalt mit Kenntnisim
Presserecht. Rechtsanwalt Moritz übernimmt. Schnell
stellt sich heraus, hiergeht es nicht um Presserecht,
es geht wie so oft um die Frage danach, wie weit die
Polizei gehen darf. Ein Kamerateam ist dran, es hat die
Ankunft derUS-amerikanischen Delegation gefilmt und war
sofort von einer Polizeieinheit zurHerausgabe des
Materials sowie der Technik gezwungen worden, weil sie
mit ihrenFilmaufnahmen die Sicherheit des Gipfels
gefährden würden.
Während am anderenEnde der Leitung der Kameramann den
Polizisten davon abhalten will, auch noch dasStativ zu
beschlagnahmen, versucht Moritz dem Redakteur Argumente
für dessenAuseinandersetzung mit dem Einsatzleiter zu
liefern. Nach einigem Hin und Her wirdden Journalisten
die Kamera samt den Aufnahmen zurückgegeben. Nicht immer
läuftalles so glimpflich ab in diesen Tagen.
Im Laufe der Tage und insbesonderenach den
Ausschreitungen vom Samstag spitzte sich die
Konfrontation zu.
"Die Polizei wirkt im Detail sehr professionell, aber
auch sehr aggressiv. Insgesamtgesehen scheint sie
jedoch unkoordiniert, weil es einfach zu viele Beamte
sind,die nicht wissen, was sie machen sollen. Das führt
u.a. dazu, dassVersammlungsteilnehmer auf 500 Metern
bis zu drei Mal komplett durchsucht werden,weil alle
paar Hundert Meter eine Einheit aus einem anderen
Bundesland steht,"berichtet einer der RAV-Organisatoren
des Legal Teams, Rechtsanwalt Peer Stolle. UndHilbrans
ergänzt: "Die Polizei weiß gar nicht, wohin mit ihrer
Power. Sie sind imEinsatz unberechenbar und arbeiten
mit extrem niedriger Reizschwelle."Polizeikommissar
Christian Zimmer von der Pressestelle der BAO Kavala
dementiert:"Die eingesetzten Kräfte sind professionell
auf ihre Aufgaben vorbereitet worden underfüllen sie
vorbildlich. Wenn die Polizei gelegentlich einen
ungeordnetenEindruck macht, so liegt dies zweifellos
daran, dass sich Beobachtern das taktischeVorgehen der
Polizei in seiner Gänze nicht erschließen kann, weil sie
immer nurAusschnitte des komplexen Einsatzgeschehens
erleben."
Rostock, Montag,4.6.07, nachmittags: Mehrere Anwälte
des Legal Teams begleiten die Organisatoren
der "Demonstration für globale Bewegungsfreiheit und
gleiche Rechte in Rostock".Die Polizei hat acht
Wasserwerfer und Räumfahrzeuge aufgefahren. Statt der
angemeldeten 2000 Teilnehmer strömen 10.000
Demonstranten auf den Platz. Siemüssen intensive und
wiederholte Durchsuchungen über sich ergehen lassen. Wer
auch nur den Anschein erweckt, sich vermummen zu wollen,
wird sofort in Gewahrsamgenommen. Mitunter kann für
diesen Verdacht bereits das Mitführen einer Sonnenbrille
genügen.
Die Demonstration kommt nicht voran, zwei Stunden
stehen dieMenschen in der prallen Sonne und werden von
der Polizei eingekreist. Mitten durchsie hindurch führt
ein Gleisbett der Straßenbahn mit vielen, vielen
Steinen. Dochnichts passiert; selbst dann nicht, als
ein bayerisches Unterstützungskommando (USK)in schwarz
entlang der Bahnschienen Aufstellung nimmt und den
verwundertenDemonstranten zuraunt: "Heut abend gibt's
Rache für gestern."
Als derDemonstrationszug sich endlich in Bewegung
setzt, wird er schon bald wieder gestoppt.Dem
Nürnberger Polizeieinsatzleiter vor Ort, der sich über
den Verlauf derVersammlung mit den Anwälten abspricht,
wird von Seiten der BAO Kavala erklärt, die
Demonstration dürfe nicht in die Rostocker Innenstadt,
weil die Anzahl derangemeldeten Teilnehmer weit
überschritten sei. Weder die Anwälte noch den
Polizeiführer vor Ort überzeugt das Argument, er fragt
nach. Wenig später heißtes aus der Pressestelle von
Kavala, die Demonstration sei aufgehalten worden, da
sich darin 2.500 vermummte, gewaltbereite
Teilnehmerbefänden. Vor Ort erklärtjedoch der
Gesamteinsatzleiter vor laufender Kamera, dass es zu
keinerleiStraftaten gekommen sei und sich in der
Demonstration kein einziger Vermummterbefinde. Seine
Remonstration bei der Dienststelle hat keinen Erfolg.
Gegen 17.15Uhr muss er Anwälten und Anmeldern
mitteilen, dass die genehmigte Route auf Anordnungder
Versammlungsbehörde verboten sei. Auch die angebotenen
Ersatzrouten werdennicht gestattet. Statt dessen sollen
sich die Demonstrationsteilnehmer/innen in Zwei-bis
Dreiergruppen vom Versammlungsort entfernen. Nicht nur
angesichts der Massean Menschen eine unerhörte
Provokation, sondern weil sich unter ihnen viele
Migrant/innen mit ungesichertem Aufenthaltstitel
befinden, die nur im Schutz derDemonstration vor einer
drohenden Abschiebung sicher sein können.
Wir haben dieDemonstration daraufhin für beendet
erklärt. Die von der Polizei vorgeschlagenen
Ausweichrouten haben wir nicht akzeptiert, denn wenn es
Schule macht, dass diePolizei genehmigte
Demonstrationen nach Belieben verbieten oder abändern
kann,wird das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einem
dauerhaften Prozess der Aushöhlungausgesetzt.
Rechtsanwalt Peer Stolle, RAV
Der Gesamteinsatzleiter gibt auf, erfühlt sich von der
BAO Kavala entmachtet. Jetzt könnte es knallen. Doch es
bleibtruhig. Die Demonstrant/innen umgehen die
Polizeisperren und setzen ihren Weg zunächstin
kleineren Gruppen, schließlich als Demonstrationszug
vereint auf verbotenemWege fort. Es bleibt friedlich.
Ein erschöpfter Polizeibeamter telefoniert mit seiner
Freundin und macht seinem Unmut Luft: "Erst lassen sie
die Leute hier alle aufden Platz marschieren und dann
geht's nicht los. Klar, dass die sich verarscht
vorkommen. Die Einsatzleitung geht voll auf
Konfrontation und wir müssen den Kopfhinhalten."
Die Polizei hat keine Deeskalationsstrategie gefahren,
sie hat nurnicht gleich angefangen zu prügeln. Es ist
allein dem besonnen Verhalten derDemonstranten zu
verdanken, dass das konfrontative Verhalten der Polizei
nicht zueiner gewalttätigen Eskalation geführt hat.
Rechtsanwalt Eberhard Schultz, Bremen:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25500/1.html