Der Englische Fanatismus
15.05.2005 um 14:49Lest euch doch bitte einmal diesen Text durch, ihn zusammenfassen oder kürzen möchte ich nicht tun, wenn es euch zu viel ist, versteh ich das, allerdings bitte ich darum, es zu unterlassen, einen Komentar dahingehend zu machen, danke ;)
Nun, ich denke das das was der Author beschreibt, durchaus der Realität entspricht, ich habe als ich in England war ähnliche Erfahrungen gemacht, wie ist das mit euch, habt ihr ebenfalls Erfahrungen sammeln "dürfen"?
Und was denkt ihr über das Britische Verhältnis zu den Deutschen und den Konzentrationslagern, dem II Weltkrieg, und ihrer eigenen Vergangenheit?
Hier also der Text
Mein eigener VE-Day
Der 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus liegt hinter uns. Höchste Zeit für die Briten, ihre Besessenheit mit dem Siegeskult um den Zweiten Weltkrieg aufzugeben, glaubt Matthias Matussek, SPIEGEL-Korrespondent in London.
Natürlich ist es öffentlicher Selbstmord für einen Nachkriegsdeutschen, sich ausgerechnet am VE-Day kritisch zum britischen Umgang mit der Vergangenheit zu äußern. Man wird als Nazi-Nostalgiker oder unverbesserlicher Verlierer beschimpft werden.
Allerdings wird man ohnehin so gesehen als Deutscher, und zwar ganzjährig. Und da mich britische Freunde und Kollegen um eine Polemik zu dem Thema gebeten haben, also: munter zur Sache:
Wir Deutschen sehen im VE-Day den Tag, in dem der Hitlerterror endlich besiegt wurde. Wir haben das Trauern gelernt und die Entschlossenheit, nie wieder einen Genozid zuzulassen.
Viele unserer britischen Nachbarn dagegen haben nicht viel mehr gelernt als das triumphalistische Dröhnen der Sieger.
Wir Deutschen haben die Schuld und die Schande unserer Vergangenheit konfrontiert, täglich, so gründlich und besessen, wie es wohl noch nie getan wurde von irgendeiner Nation auf der Erde. Noch sechzig Jahre nach Beendigung der Schrecken sind wir damit beschäftigt, ja, vielleicht mehr als je zuvor. Gerade eben erst ist mitten im Herzen der Hauptstadt am Brandenburger Tor ein Wald aus grauen Betonpfeilern als Holocaust-Mahnmal eingeweiht worden.
Jedes deutsche Schulkind kennt die Geschichte des Holocaust. In England dagegen amüsiert sich Prinz Harry mit einer Hakenkreuzbinde auf Partys und 80 Prozent der Jugendlichen wissen nichts mit Auschwitz anzufangen. Wohl aber kennt jeder die Heldenfilme um die "Battle of Britain", als habe er höchstpersönlich den Hunnen in den Arsch getreten.
Woher kommt diese Berauschtheit von der eigenen Größe und die Unempfindlichkeit gegenüber den Opfern?
Die Russen sehen uns mittlerweile als Freunde, obwohl sie 25 Millionen Menschen im Kampf mit den Nazihorden verloren haben. Sie respektieren uns als tüchtiges friedliebendes Volk, das aus den Trümmern neu gewachsen ist.
Die Briten dagegen, die nur dank der Russen und der Amerikaner siegten, tun so, als hätten sie Hitlers Horden allein bezwungen. Und sie sehen uns nach wie vor als Nazis, unversöhnlich, als müssten sie jeden Abend diesen Sieg neu erringen. Ja, sie sind geradezu vernarrt in uns, in dieser Eigenschaft als Nazis.
Die Briten lieben es, uns Deutschen zu hassen. So sehr, dass mein zehnjähriger Sohn im Park von englischen Schülern mit "Nazi, Nazi"-Rufen gejagt wurde. Tatsächlich, die Nazijagd ist ein neurotisches englisches Gesellschaftsspiel. Die Briten bewältigen furchtbar gerne die deutsche Vergangenheit, statt sich der eigenen zuzuwenden. Die Psychoanalyse nennt das eine "Ersatzhandlung".
Vielleicht ist VE-Day ja genau der richtige Zeitpunkt für die britischen Freunde, erwachsen zu werden, und sich von Lebenslügen zu verabschieden. Zum Beispiel von der Lüge, daß man den Deutschen den Krieg erklärt habe, um den drangsalierten Juden beizustehen, wie es Tony Blair vor nicht allzu langer Zeit in einem "Observer"-Interview behauptet hatte.
Alles andere als wahr, wie jeder außerhalb der Insel weiß. Die britische Appeasement-Politik hat den Kriegseinssatz endlos hinausgezögert, Nazideutschland hatte vor allem in der britischen Aristokratie große Sympathien. Nein, mit Recht monierte Israels Präsident Mosche Kazaw genau das während der Auschwitz-Feierlichkeiten: die Briten und die übrigen Alliierten unternahmen gerade nichts, um den Holocaust zu stoppen.
In den englischen Geschichtsbüchern ist über die Passivität der Alliierten gegenüber dem Holocaust nichts zu lesen. Auch verschweigen die Geschichtsbücher, wie der "Independent" kürzlich bewies, auch andere Schattenseiten des Empire. Ein neuer Revisionismus, greift um sich. Soeben erklärte Gordon Brown, es gäbe nichts, wofür Briten sich schämen müssten. Stattdessen philosophiert man unter New Labour zunehmend von den Segnungen der Britishness.
Zurück zum Krieg: Tatsächlich lagen der Churchill-Regierung ja bereits 1940 Zeugenaussagen polnischer Widerständler über die Nazivernichtungslager vor. Und spätestens 1944 gab es genaue Luftaufnahmen vom KZ Auschwitz. Einige gezielte Bomben auf die Gleisanlagen hätten genügt, um die Todestransporte ins Stocken zu bringen. Doch nichts dergleichen geschah. Statt Juden zu retten, zerbombten die Briten lieber Köln, Hamburg, Dresden und andere deutsche Städte, um das kulturelle Gesicht des verhassten Nachbarn ein für allemal auszulöschen.
Natürlich ist das schrecklich.
Selbst als die Gräuel der Nazis offen gelegt waren, ging die britische Kolonialmacht nicht sehr schonend mit den Juden um: ich habe nie verstanden, wie die britischen Kolonialherren die ausgemergelten Überlebenden der KZ, die nach Palästina auswandern wollten, wieder zurückschicken konnten - oft wurden sie genau in den KZs wieder untergebracht, denen sie gerade entronnen waren.
Darüber wird nicht geredet. Stattdessen schaut man hingebungsvoll nach, ob die dritte deutsche Generation nach dem Kriege nicht doch vielleicht noch von Nazis durchseucht (contaminated) ist.
Das wurde jüngst wieder evident. Da wurde ich zu einem Panel über Oliver Hirschbiegels Film "Der Untergang" (The Downfall) eingeladen.
Die Panellisten, unter der Moderation Max Hastings, wollten den Film, der die düsteren letzten Tage Hitlers im Bunker zeigt, partout als Beleg dafür nehmen, das es eine neue deutsche Hitler-Nostalgie gäbe.
Das geschah mit den aberwitzigsten Argumenten. Etwa: Die Filmmusik sei sehr tragisch. Was hatte man erwartet von einem Film über Mord und Selbstmord, über sinnlose soldatische Treue und düstere Giftkapsel-Schluckereien? Die Beatles?
Der Film zeigte Jugendliche, die in den Schlusstagen des Krieges Hitler ihre Gefolgschaft aufkündigten. Gab es nicht, befanden die Panellisten. Alle waren begeisterte Hitlerjungen, bis zuletzt. Und das mache auch die Fundamente des neuen Deutschlands höchst verdächtig, bis heute.
Die einen fanden Hitler sei zu menschlich dargestellt, die anderen meinten, er sei zu unmenschlich vorgeführt gewesen. Gerade seine Unmenschlichkeit, so nun der neue Einwand, ließe das deutsche Volk als Opfer erscheinen. Und so weiter. Man kann solche absurden Interpretationspirouetten ja endlos weiterdrehen. Fest steht immer nur das pädagogische Ziel: den deutschen Barbaren klar zu machen, dass sie bis heute nicht zivilisiert sind. Die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nannte das jüngst mit Recht "moralische Arroganz".
Dabei hätten die Briten doch genug Gesprächsstoff. Wie wäre es, schlug ich auf jenem Panel vor, wenn sich meine britischen Freunde einmal mit der problematischen britischen Vergangenheit des Empire auseinandersetzten? Mit den Massakern im Buren-Krieg, mit den infamen Opium-Kriegen, mit den Konzentrationslagern in Kenia noch in den fünfziger Jahren?
Es gab einige Aufregung darüber in der Presse. Doch am Abend selber erhielt ich Applaus für diese Bemerkung. Von einem einsichtsvollen britischen Publikum.
Ich glaube, dass der offizielle britische Triumphalismus aus mit dem Irak-Krieg zu tun hat. Wer sich endlos betört an der eigenen Größe des zweiten Weltkriegs, wer sich berauscht in dieser endlosen Inszenierung der "Finest Hour", dem ist der Blick für die moralischen Probleme der Gegenwart verstellt.
Ein Großbritannien, dass sich allzu sehr im Besitz der Tugend wähnt, hat gefährlich selbstherrliche Züge. So kann es kommen, dass man mit Täuschungen und Manövern in einen Krieg zieht, der gegen das Völkerrecht verstößt und tausenden unschuldiger Zivilisten das Leben kostet - ganz einfach, weil man zu unkritisch an die eigene historische Mission glaubt. Für Tony Blair, so scheint mir, gilt auch auf moralischem Gebiet "Rule, Britannia rule".
Ich habe aus der Geschichte gelernt, dass Deutschland nicht am VE-Day unterging, sondern an dem Tag, als Hitler die Macht übernahm. An dem Tag, als ein Führer und Manipulator auftrat, der überzeugt war von der eigenen historischen Mission, und Recht und Menschlichkeit mit Füßen trat.
An diesem Tag hatte die deutsche Kultur, der Geist, der Anstand verloren. Verloren hatten Luther und Goethe und Bach. VE-Day dagegen ist der Tag, an dem auch sie wieder gewannen, mit Hilfe der Russen, der Amerikaner, der Briten.
Im Übrigen: Ohne den VE-Day gäbe es auch mich nicht. Mein Vater, der als Katholik dem Regime misstraute und sich doch anfänglich blenden ließ, hat mir erzählt, wie er diesen VE-Day herbeigesehnt hat. Schon allein deshalb, weil er nicht in einem sinnlosen Krieg, der bereits zwei Jahre zuvor in der Schlacht um Stalingrad verloren war, sterben wollte.
Für mich ist der VE-Day ein Grund für Freude und Dank, aber auch der Verstörung. Wie so viele andere aus meiner Generation habe ich - in der Nähe von Weimar, in dem Goethe und Schiller die Blüte der deutschen Klassik ausbildeten - das Konzentrationslager Buchenwald besucht und ich war bis ins Mark getroffen darüber, dass Menschen Menschen so etwas antun können.
Das Schlimme: es wird weiter getan. Krieg, Massaker, Holocaust. Vielleicht ist das eine der Lehren, die wir alle aus dem VE-Day ziehen können: Daß sich auch diejenigen mitschuldig machen, die geschehen lassen und nicht eingreifen, wenn ein Volk hingemetzelt wird, seien es die Juden, die Tutsis, die Armenier, die Kambodschaner, die Russen, die Chinesen.
lg Kikuchi
Wirf deine Gedanken wie Herbstblätter in einen blauen FLuss. Schau zu, wie sie hineinfallen und davontreiben, und dann:
Vergiss sie!
[Zen Weisheit]
Nun, ich denke das das was der Author beschreibt, durchaus der Realität entspricht, ich habe als ich in England war ähnliche Erfahrungen gemacht, wie ist das mit euch, habt ihr ebenfalls Erfahrungen sammeln "dürfen"?
Und was denkt ihr über das Britische Verhältnis zu den Deutschen und den Konzentrationslagern, dem II Weltkrieg, und ihrer eigenen Vergangenheit?
Hier also der Text
Mein eigener VE-Day
Der 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus liegt hinter uns. Höchste Zeit für die Briten, ihre Besessenheit mit dem Siegeskult um den Zweiten Weltkrieg aufzugeben, glaubt Matthias Matussek, SPIEGEL-Korrespondent in London.
Natürlich ist es öffentlicher Selbstmord für einen Nachkriegsdeutschen, sich ausgerechnet am VE-Day kritisch zum britischen Umgang mit der Vergangenheit zu äußern. Man wird als Nazi-Nostalgiker oder unverbesserlicher Verlierer beschimpft werden.
Allerdings wird man ohnehin so gesehen als Deutscher, und zwar ganzjährig. Und da mich britische Freunde und Kollegen um eine Polemik zu dem Thema gebeten haben, also: munter zur Sache:
Wir Deutschen sehen im VE-Day den Tag, in dem der Hitlerterror endlich besiegt wurde. Wir haben das Trauern gelernt und die Entschlossenheit, nie wieder einen Genozid zuzulassen.
Viele unserer britischen Nachbarn dagegen haben nicht viel mehr gelernt als das triumphalistische Dröhnen der Sieger.
Wir Deutschen haben die Schuld und die Schande unserer Vergangenheit konfrontiert, täglich, so gründlich und besessen, wie es wohl noch nie getan wurde von irgendeiner Nation auf der Erde. Noch sechzig Jahre nach Beendigung der Schrecken sind wir damit beschäftigt, ja, vielleicht mehr als je zuvor. Gerade eben erst ist mitten im Herzen der Hauptstadt am Brandenburger Tor ein Wald aus grauen Betonpfeilern als Holocaust-Mahnmal eingeweiht worden.
Jedes deutsche Schulkind kennt die Geschichte des Holocaust. In England dagegen amüsiert sich Prinz Harry mit einer Hakenkreuzbinde auf Partys und 80 Prozent der Jugendlichen wissen nichts mit Auschwitz anzufangen. Wohl aber kennt jeder die Heldenfilme um die "Battle of Britain", als habe er höchstpersönlich den Hunnen in den Arsch getreten.
Woher kommt diese Berauschtheit von der eigenen Größe und die Unempfindlichkeit gegenüber den Opfern?
Die Russen sehen uns mittlerweile als Freunde, obwohl sie 25 Millionen Menschen im Kampf mit den Nazihorden verloren haben. Sie respektieren uns als tüchtiges friedliebendes Volk, das aus den Trümmern neu gewachsen ist.
Die Briten dagegen, die nur dank der Russen und der Amerikaner siegten, tun so, als hätten sie Hitlers Horden allein bezwungen. Und sie sehen uns nach wie vor als Nazis, unversöhnlich, als müssten sie jeden Abend diesen Sieg neu erringen. Ja, sie sind geradezu vernarrt in uns, in dieser Eigenschaft als Nazis.
Die Briten lieben es, uns Deutschen zu hassen. So sehr, dass mein zehnjähriger Sohn im Park von englischen Schülern mit "Nazi, Nazi"-Rufen gejagt wurde. Tatsächlich, die Nazijagd ist ein neurotisches englisches Gesellschaftsspiel. Die Briten bewältigen furchtbar gerne die deutsche Vergangenheit, statt sich der eigenen zuzuwenden. Die Psychoanalyse nennt das eine "Ersatzhandlung".
Vielleicht ist VE-Day ja genau der richtige Zeitpunkt für die britischen Freunde, erwachsen zu werden, und sich von Lebenslügen zu verabschieden. Zum Beispiel von der Lüge, daß man den Deutschen den Krieg erklärt habe, um den drangsalierten Juden beizustehen, wie es Tony Blair vor nicht allzu langer Zeit in einem "Observer"-Interview behauptet hatte.
Alles andere als wahr, wie jeder außerhalb der Insel weiß. Die britische Appeasement-Politik hat den Kriegseinssatz endlos hinausgezögert, Nazideutschland hatte vor allem in der britischen Aristokratie große Sympathien. Nein, mit Recht monierte Israels Präsident Mosche Kazaw genau das während der Auschwitz-Feierlichkeiten: die Briten und die übrigen Alliierten unternahmen gerade nichts, um den Holocaust zu stoppen.
In den englischen Geschichtsbüchern ist über die Passivität der Alliierten gegenüber dem Holocaust nichts zu lesen. Auch verschweigen die Geschichtsbücher, wie der "Independent" kürzlich bewies, auch andere Schattenseiten des Empire. Ein neuer Revisionismus, greift um sich. Soeben erklärte Gordon Brown, es gäbe nichts, wofür Briten sich schämen müssten. Stattdessen philosophiert man unter New Labour zunehmend von den Segnungen der Britishness.
Zurück zum Krieg: Tatsächlich lagen der Churchill-Regierung ja bereits 1940 Zeugenaussagen polnischer Widerständler über die Nazivernichtungslager vor. Und spätestens 1944 gab es genaue Luftaufnahmen vom KZ Auschwitz. Einige gezielte Bomben auf die Gleisanlagen hätten genügt, um die Todestransporte ins Stocken zu bringen. Doch nichts dergleichen geschah. Statt Juden zu retten, zerbombten die Briten lieber Köln, Hamburg, Dresden und andere deutsche Städte, um das kulturelle Gesicht des verhassten Nachbarn ein für allemal auszulöschen.
Natürlich ist das schrecklich.
Selbst als die Gräuel der Nazis offen gelegt waren, ging die britische Kolonialmacht nicht sehr schonend mit den Juden um: ich habe nie verstanden, wie die britischen Kolonialherren die ausgemergelten Überlebenden der KZ, die nach Palästina auswandern wollten, wieder zurückschicken konnten - oft wurden sie genau in den KZs wieder untergebracht, denen sie gerade entronnen waren.
Darüber wird nicht geredet. Stattdessen schaut man hingebungsvoll nach, ob die dritte deutsche Generation nach dem Kriege nicht doch vielleicht noch von Nazis durchseucht (contaminated) ist.
Das wurde jüngst wieder evident. Da wurde ich zu einem Panel über Oliver Hirschbiegels Film "Der Untergang" (The Downfall) eingeladen.
Die Panellisten, unter der Moderation Max Hastings, wollten den Film, der die düsteren letzten Tage Hitlers im Bunker zeigt, partout als Beleg dafür nehmen, das es eine neue deutsche Hitler-Nostalgie gäbe.
Das geschah mit den aberwitzigsten Argumenten. Etwa: Die Filmmusik sei sehr tragisch. Was hatte man erwartet von einem Film über Mord und Selbstmord, über sinnlose soldatische Treue und düstere Giftkapsel-Schluckereien? Die Beatles?
Der Film zeigte Jugendliche, die in den Schlusstagen des Krieges Hitler ihre Gefolgschaft aufkündigten. Gab es nicht, befanden die Panellisten. Alle waren begeisterte Hitlerjungen, bis zuletzt. Und das mache auch die Fundamente des neuen Deutschlands höchst verdächtig, bis heute.
Die einen fanden Hitler sei zu menschlich dargestellt, die anderen meinten, er sei zu unmenschlich vorgeführt gewesen. Gerade seine Unmenschlichkeit, so nun der neue Einwand, ließe das deutsche Volk als Opfer erscheinen. Und so weiter. Man kann solche absurden Interpretationspirouetten ja endlos weiterdrehen. Fest steht immer nur das pädagogische Ziel: den deutschen Barbaren klar zu machen, dass sie bis heute nicht zivilisiert sind. Die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nannte das jüngst mit Recht "moralische Arroganz".
Dabei hätten die Briten doch genug Gesprächsstoff. Wie wäre es, schlug ich auf jenem Panel vor, wenn sich meine britischen Freunde einmal mit der problematischen britischen Vergangenheit des Empire auseinandersetzten? Mit den Massakern im Buren-Krieg, mit den infamen Opium-Kriegen, mit den Konzentrationslagern in Kenia noch in den fünfziger Jahren?
Es gab einige Aufregung darüber in der Presse. Doch am Abend selber erhielt ich Applaus für diese Bemerkung. Von einem einsichtsvollen britischen Publikum.
Ich glaube, dass der offizielle britische Triumphalismus aus mit dem Irak-Krieg zu tun hat. Wer sich endlos betört an der eigenen Größe des zweiten Weltkriegs, wer sich berauscht in dieser endlosen Inszenierung der "Finest Hour", dem ist der Blick für die moralischen Probleme der Gegenwart verstellt.
Ein Großbritannien, dass sich allzu sehr im Besitz der Tugend wähnt, hat gefährlich selbstherrliche Züge. So kann es kommen, dass man mit Täuschungen und Manövern in einen Krieg zieht, der gegen das Völkerrecht verstößt und tausenden unschuldiger Zivilisten das Leben kostet - ganz einfach, weil man zu unkritisch an die eigene historische Mission glaubt. Für Tony Blair, so scheint mir, gilt auch auf moralischem Gebiet "Rule, Britannia rule".
Ich habe aus der Geschichte gelernt, dass Deutschland nicht am VE-Day unterging, sondern an dem Tag, als Hitler die Macht übernahm. An dem Tag, als ein Führer und Manipulator auftrat, der überzeugt war von der eigenen historischen Mission, und Recht und Menschlichkeit mit Füßen trat.
An diesem Tag hatte die deutsche Kultur, der Geist, der Anstand verloren. Verloren hatten Luther und Goethe und Bach. VE-Day dagegen ist der Tag, an dem auch sie wieder gewannen, mit Hilfe der Russen, der Amerikaner, der Briten.
Im Übrigen: Ohne den VE-Day gäbe es auch mich nicht. Mein Vater, der als Katholik dem Regime misstraute und sich doch anfänglich blenden ließ, hat mir erzählt, wie er diesen VE-Day herbeigesehnt hat. Schon allein deshalb, weil er nicht in einem sinnlosen Krieg, der bereits zwei Jahre zuvor in der Schlacht um Stalingrad verloren war, sterben wollte.
Für mich ist der VE-Day ein Grund für Freude und Dank, aber auch der Verstörung. Wie so viele andere aus meiner Generation habe ich - in der Nähe von Weimar, in dem Goethe und Schiller die Blüte der deutschen Klassik ausbildeten - das Konzentrationslager Buchenwald besucht und ich war bis ins Mark getroffen darüber, dass Menschen Menschen so etwas antun können.
Das Schlimme: es wird weiter getan. Krieg, Massaker, Holocaust. Vielleicht ist das eine der Lehren, die wir alle aus dem VE-Day ziehen können: Daß sich auch diejenigen mitschuldig machen, die geschehen lassen und nicht eingreifen, wenn ein Volk hingemetzelt wird, seien es die Juden, die Tutsis, die Armenier, die Kambodschaner, die Russen, die Chinesen.
lg Kikuchi
Wirf deine Gedanken wie Herbstblätter in einen blauen FLuss. Schau zu, wie sie hineinfallen und davontreiben, und dann:
Vergiss sie!
[Zen Weisheit]