@fumo Sie sind seinerzeit aus ihrer Heimat geflohen oder vertrieben worden - und wurden hier als genau so fremd empfunden und feindselig behandelt wie spätere Geflüchtete.
"Der Koblenzer Regierungspräsident Wilhelm Boden war Ende 1945 besorgt. Er hatte Angst vor der Durchsetzung der rheinischen Bevölkerung mit Bevölkerungsmassen aus dem Osten“, vor der „andersgearteten Mentalität“ der oft protestantischen Flüchtlinge.
Er warnt vor einer Durchsetzung der Bevölkerung durch Massen von Flüchtlingen. Der Charakter des Landes würde durch den Zuzug stark verwässert. Die politischen Gefahren einer derartigen Durchsetzung lägen in der andersgearteten Mentalität der Flüchtlinge.
Ich habe das jetzt im Präsens formuliert. Aber diese Warnungen sind über 70 Jahre alt. Sie stammen aus einem Brief von Dezember 1945. Geschrieben hat diesen Brief Dr. Wilhelm Boden, damals Regierungspräsident in Koblenz. Wilhelm Boden wurde später der erste Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.
Im Dezember 1945 waren Millionen Deutsche nach Westdeutschland geflohen. Oder sie wurden vertrieben. Diese Flüchtlinge mussten im Westen auf die Regionen verteilt werden. Mit offenen Armen wurden die Habenichtse aus Schlesien oder Ostpreußen nirgendwo empfangen. Als zuständiger deutscher Politiker schreibt Wilhelm Boden an Oberstleutnant Balade, den Kommandanten der französischen Militärregierung.
„Da mit einem größeren und ungeregelten Andrang solcher Flüchtlinge zu rechnen ist, möchte ich nicht verfehlen, auf die ernsten Gefahren hinzuweisen, die die Durchsetzung der rheinischen Bevölkerung mit Bevölkerungsmassen aus dem Osten mit sich bringt. Abgesehen von den wirtschaftlichen und ernährungspolitischen Schwierigkeiten sind es das konfessionelle und das politische Moment, die zur Sorge Anlass geben. In konfessioneller Beziehung würde der katholische Charakter des Rheinlandes durch den Zuzug der meist protestantischen Ostdeutschen stark verwässert werden…“
Boden geht es um seine Heimat, um seine katholische Heimat. Die soll so bleiben, wie sie ist. Und Boden schreibt weiter:
„Die politischen Gefahren einer derartigen Durchsetzung liegen in der andersgearteten Mentalität der Ostbevölkerung begründet.“
Auch wenn das für heutige Ohren anders klingen mag: Wilhelm Boden war ein konservativer Demokrat, ein Erzdemokrat, ein frommer Katholik und alles andere als ein Nazi. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten all seiner Ämter enthoben und für sieben Monate inhaftiert. Er hat in seinem Brief an die Militärregierung die Ängste der besorgten Bürger formuliert, der alteingesessenen Bevölkerung. Und natürlich: seine eigenen Ängste. Vor wirtschaftlichen und ernährungspolitischen Schwierigkeiten, vor höherer Arbeitslosigkeit, vor Lebensmittelmangel. Das war damals in ganz Deutschland ein Problem.
Doch schwingt noch eine ganz andere Angst mit: die „Angst vor Durchsetzung“, wie Boden das nannte. Die Angst davor, dass eine weitgehend homogene Bevölkerung aufgemischt wird. Durch andere, durch Fremde, die anders glauben, anders ticken, anders Gottesdienst feiern. Einheitlichkeit wollte Boden bewahren. Eine Gesellschaft von Menschen gleicher Herkunft, die ähnlich glauben und sonntags zur gleichen Messe gehen."
Von mir gekürzt, Langtext unter Quelle:
https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/am-sonntagmorgen/die-mentalitaet-der-anderen-9455