Negev schrieb:Also: wie stark ist unser Körper im Umgang mit (teils Tiefen-) Wunden?
Das hängt vom Immunsystem des Patienten ab und davon wo genau die Wunde sitzt, und mit welcher Waffe sie verursacht wurde.
Manche Menschen haben ein so starkes Immunsystem, daß sie sogar Verletzungen überstehen, die für die meisten anderen tödlich wären.
Bauchwunden bei denen der Darm verletzt wurde, waren praktisch immer tödlich wegen der entstehenden Sepsis, wenn der Darminhalt mit dem Blutsystem in Berührung kam (wie ein unbehandelter Blinddarmdurchbruch, der ist im Regelfall auch tödlich).
Einfache Knochenbrüche ließen sich schon damals einrichten, nur ein Splitterbruch, der heute in einer aufwendigen OP gerichtet werden kann, führte damals automatisch zur Amputation, wenn man keinen Wundbrand aufgrund der Entzündung riskieren wollte.
Wundbrand weil Schmutz oder Fremdstoffe in der Wunde saßen oder eine Wunde schlecht versorgt wurde, war überhaupt eine häufige Todesursache, auch der Fehlglaube daß Eiter ein Zeichen von Heilung sei und darum in einer Wunde sein "müsse", hat viele das Leben gekostet, weil man den Eiter nicht aufstach und entfernte und er darum irgendwann in den Blutstrom geriet und eine tödliche Blutvergiftung auslöste.
Mit dem Wundbrand verwandt ist das Kindbettfieber, an dem im Mittelalter sehr viele Frauen nach einer Geburt starben, weil der Arzt oder die Hebamme mit schmutzigen Händen an ihnen herumgearbeitet hatten. Eine unter heutigen hygienischen Bedingungen leicht vermeidbare bakterielle Infektion, herausgefunden hat das aber erst der Arzt Semmelweis durch Untersuchungen an Wöchnerinnen, wo er feststellte, daß besonders die Frauen starben, an denen Ärzte gearbeitet hatten, die kurz vorher noch Leichensektionen durchgeführt hatten und sich ganz simpel die Hände nicht gewaschen hatten.
Die Lieblingstätigkeit der genannten "Feldschere" war übrigens die Amputation, mit anschließendem Ausbrennen der Wunde. Auch da fingen sich viele Patienten hinterher den Wundbrand ein und gingen so doch noch zugrunde.
Im mittelalterlichen Krieg wurde Wundbrand übrigens als "stille" Waffe benutzt, indem Schwerter, Messer, Lanzen und später die Kugeln der Feuerwaffen vor dem Einsatz in Kot oder anderem Unrat gewälzt wurden, so daß ein Treffer beim Feind ganz automatisch eiternde Wunden verursachen würde, auch wenn dieser Treffer ursprünglich nicht tödlich war. Man wußte nicht warum das so war - von Bakterien hatte man noch keine Ahnung - sondern kannte diesen Effekt einfach aus Erfahrung, ursprünglich hat man die Waffen einfach aus Bosheit dem Feind gegenüber mit Kot besudelt.
Hautwunden konnte man schon damals nähen - günstig wenn der Patient lange Haare hatte, ein alter Indianertrick: die eigenen Haare als Nähgarn verursachen keine Abstoßungsreaktion, wenn man sie zum Nähen der Wunde benutzt. Alles andere hat mit Sicherheit Entzündungen verursacht, weil nichts davon steril war, vom Sterilisieren wußte man im Mittelalter noch nichts. Penicillin und andere Antibiotika waren noch nicht erfunden, man konnte Wunden daher äußerlich nur mit Heilkräutern und Kompressen behandeln.
Die "regulären" Ärzte im MA waren überwiegend "hochgelehrte" Pfuscher, deren Lieblingsbehandlung im Aderlaß bestand, und zwar oft so lange bis der Patient am Blutverlust wegstarb. Aderlaß ist allenfalls bei chronischem Bluthochdruck wirksam, aber wenn einer sowieso schon an Wundbrand oder einer ansteckenden Krankheit wie Schwindsucht litt, war das oft der letzte Nagel zum Sarg, deswegen haben diese "gelehrten" Ärzte oft sehr viele Patienten ins Jenseits befördert.
Die (häufig als Hexen verfolgten) Kräuterweiblein auf dem Land oder Tierhalter, insbesondere Schäfer (weil die ihre Tiere bei Krankheit oder Verletzung selber pflegten, Tierärzte gab es noch nicht) waren für einen Kranken im MA oft die bessere, auf jeden Fall aber billigere Alternative, da war weniger (oft falsche) "Gelehrtheit", aber sehr viel mehr überliefertes Praxiswissen vorhanden.
Das Problem war, daß es keine Form von einheitlicher Ausbildung gab, egal an wen man sich wandte, Arzt oder Schäfer, der Erfolg hing immer vom Wissen und der Erfahrung des Helfers ab. Manche kannten die Heilkräuter und alles andere und wußten was sie taten, manche waren ahnungslose Pfuscher.