Wir nennen uns ja einen Sozialstaat. Die oberste Aufgabe eines sozialen Rechtstaats ist es, dafür zu sorgen, dass es allen Bürgern sozial bzw. finanziell möglichst gut geht. Darüber besteht wohl Konsens. Wer das anders sieht, versteht nicht, was ein sozialer Rechtsstaat ist. Und wenn es bei der Verteilung - ich benutzte jetzt mal @capspauldins feinen Ausdruck - große "Deifizite" gibt, hat er dafür zu sorgen, diese zu minimieren.
Das Problem ist das gigantische Gefälle zwischen dem Bildungsstand bei den Arbeitslosen; es ist genauso groß wie in der Gesamtgesellschaft; dass es viele gibt, die "geistig" nicht mitkommen, ist ein Problem unserer Pädagogik, die es offenbar nicht schafft, die Aufmerksamkeit für den Unterricht und die Motivation aller Schüler zu stärken. Man kann die Leute eben nicht alle über einen Kamm scheren; einige sind so in sich zurückgezogen, dass es fast scghon an Autismus grenzt; die muss man anders anpacken als extrovertierte Schüler. Aber es gibt eben auch eine ganze Reihe hochintelligenter und gut ausgebildeter Leute, die trotzdem in der Arbeitslosigkeit landen.
@capspauldin spricht da gerne (hier in Bezug auf
@Pestsau) von Defioziten und will von diesem User auch noch wissen, worin seine Defizite liegen, weil er andererseits sonst ja nicht arbeitslos wäre. Wie schön simpel die Erklärwelt vieler Leute, wahrscheinlich der meisten, doch ist!
Als ich nach dem Studium - und das mit Prädikatsdiplom - arbeitslos wurde, wunderte mich das gar nicht, weil es sich in den höheren Semestern längst rumgespochen hatte: Soziologen waren damals in den 1980ern ungefähr so nachgefragt wie Schweißfüße. Ich war fürwahr nicht der einzige arbeitslose Soziologe. Zwar hätte ich eine Karriere an der Uni selbst machen und mich bis zum Professor hochschrauben können, aber das wollte ich aus diversen Gründen nicht.
@capspauldin würde es wohl "mein Defizit" nennen. Soll er doch. Wenn man 26 ist, zudem noch antikapitalistisch, was damals bedeutete antistaatlich, und sich dabei auch noch aus politischen Gründen die Aussicht auf ein Berufsverbot zuzieht, hat man im extremen Fall bis zum Professor >30 Jahre, also die Hälfte seines Lebens, "gelernt", nur um anschließend arbeitslos zu werden und als Professor von der Sozialhilfe (damals gabs noch kein H4) bzw. Hartz 4 zu leben. Wir kennen alle die Taxifahrer-Professoren aus der damaligen Zeit.
Nun, heute ist es etwas anders, aber meine Karriere war damals schon beendet, noch bevor ich in den Beruf überhaupt einsteigen konnte. Mein Defizit oder vielleicht doch ein gesellschaftliches?
Um das Hartz 4 Problem - und ich spreche hier insbesondere von der Langzeitarbeitslosigkeit - zu lösen, bieten sich zwei Möglichkeiten an. Die erste wäre, den ganzen Bewerbungsmarkt, der für viele eine hohe Hürde darstellt, weil manche bei Bewerbungen einfach völlig verkrampft sind, umzugestalten, indem er vielfältiger gestaltet wird und in dem "Schnüffeljobs" ohne Bewerbung angeboten werden, außer das man die bisherigen Zeunisse vorlegt, das Ganze in Verbindung mit BGE. Jetzt fallen bei vielen sofort wieder die Vorhänge runter, aber damit muss man halt leben; irgedwann wird es sich ohehin durchsetzen, wenn die Arbeitsplätze immer weniger werden und das soziale Sicherungssystem anders finanziert werden muss. Wir haben hier Dauerbaustellen und betreiben stets Flickwerk, ohne den gesamten Sozialstaat auf den Prüfstand zu stellen und nach Alternativen zu siuchen. (Auch sowas ist Aufgabe eines Soziologen.)
Unter "Schnüffeljob" stelle ich mir vor, dass festgeschrioeben wird, das jede größere Firma, aber auch jede staatliche Institution, verpflichtet wird, ein bestimmtes Kontingent an Arbeitslosen vorübergehend aufzunehmen, um festzustellen, für welche Arbeiten im "Betrieb" er sich eignet bzw. ob er sich überhaupt für eine Arbeit interessiert und eignet. Diese "Schnüffeljobs" sollten aber nicht blind vergeben werden, sondern der Arbeitslose sollte befragt werden, für welche Art von Arbeit er sich besonders interessiert. Wer interessiert ist, der ist automatisch gut (engagiert, bestrebt sich immer weiter zu verbessern) in seiner Arbeit. Viele werden auch arbeitslos, weil ihnen der Job zum Hals raushängt und sie mental verblöden und nur auf die Gelöegenheit warten, gekündigt zu werden. Das heißt, viele sitzen im völlig falschen Job und arbeiten daher lustlos, widerwillig, letztlich also schlecht.
Der vorübergehend Angestellte erhält dann im Betrieb bzw. auf dem jeweiligen Amt, wo er seinen "Schnüffeljob" antritt, nach einigen Gesprächen eine Ausbildung für die Arbeit, die er tun soll, falls die "Schnüffelzeit" positiv ausfällt und man ihn auf Dauer übernehmen will.
Ich bin mir sicher, dass ein großer Teil, wohl mehr als die Hälfte, aller "Schnüffeljobber" im Endeffekt fest übernommen werden, weil es Arbeiten bzw. Berufe sind, die sich die jeweiligen Kandidaten selbst ausgesucht haben und die daher wesentlich motivierter an die Sache rangehen als bei einem Job, der einen anödet, und entsprechend gute Leistungen bringen.
Das würde bedeuten, dass die Quote der Arbeitslosen, insbesondere auch der Langzeitarbeitslosen, ganz erheblich zurückgeht.
Womit wir bei Punkt 2 wären: Das Einkommensgefälle muss unbedingt zurückgefahren werden. Das ginge einerseits durch eine stärkere Besteuerung der Besserverdiener - nur wäre damit den Schlechtverdienern nicht viel geholfen. Die andere Möglichkeit wäre, in allen Unternehmen nicht nur eine Lohnuntergrenze, sondern auch eine Obergrenze einzuführen. Es ist echt nicht hinnehmbar, dass ein einfacher Arbeiter weniger als 2000 € pro Monat verdient und ein Topmanager oder Topfußballspieler eine Million. leider ist sowas nicht national zu bewerkstelligen, weil die dann einfach ins Ausland verschwinden, wo so rigide Obergrenzen nicht gesetzt sind. Sowas müsste also zumindest europaweit geregelt werden.
Wenn also einerseits durch eine nachhaltig geringere Arbeitslosenquote und andererseits durch geringere Nettobezüge der Topverdiener gleich von zwei Seiten mehr Geld in die Staatskasse fließt, können auch Geringverdiener staatlich bezuschusst werden - ob man das nun BGH nennt oder wie auch immer ist zweitrangig - und vor allem aber auch die Hartz 4 Regelsätze können dann ganz erheblich erhöht werden, so dass auch ein Arbeitsloser bei seinen Ausgaben nicht ständig auf den Pfennig schauen muss. Erst dann kann man in einem Wohlfahrtsstaat auch von einem menschenwürdigen Dasein auch als Arbeitsloser sprechen.
Und vor allem sollte es keine Altersarmut mehr geben, d.h. jeder Rentner sollte 50% mehr als die Grundsicherung erhalten - egal, wie viel oder wie wenig er während seiner aktiven Arbeitszeit eingezahlt hat. Das wird sich soweiso grundlegend ändern, wenn bei immer weniger Jobs der Staat früher oder später ohnehin gezwungen ist das Rentensystem auf Steuern umzustellen. Besser, man denkt jetzt schon darüber nach und entwirft einige möglichst praktikable Szenarios dafür.