SCMP77 schrieb:Ich behaupte hier, dass dies in Wirklichkeit nicht möglich gewesen wäre
Diese Frage ist der zweite Schritt. Der erste Schritt wäre eben zu erforschen, welchen Schaden man mit einer nachlässigen Verfolgung von Unrecht anrichtet. Diesen Schaden muss man dann dem Einsatz gegenüberstellen, der zur Verhinderung oder Reduktion dieses Schadens erforderlich ist.
Wir sind uns sicher alle einig, dass nicht jeder, der nach heutigen Maßstäben während des Dritten Reichs Unrecht begangen hat, dafür hätte zur Rechenschaft gezogen werden können. Es waren - plump gesagt - einfach zu viele.
Aber die Frage ist eben, ob der Umfang, in dem die Verfolgung besonders hervorstechender Unrechtshandlungen erfolgte, auch nur annähernd ausreichte.
Wir reden heir nicht von der Zugehörigkeit zur NSDAP als stilles Mitglied. Aber es gibt irgendwo einen Punkt, an dem ein solches Mitglied aus der grauen Masse der "Mitläufer" hervor stach und vom Unrecht dieser Zeit erheblich profitierte oder aktiv dieses Unrecht mehrte.
Dieses "irgendwo" ist eben der Knackpunkt. Wie viel begangenes Unrecht ist unter Beachtung der Gesamtsituation "verzeihbar" und ab wann überwiegt das Bedürfnis der Gesellschaft nach einer auch gezeigten Ächtung.
Natürlich ist das heute nur noch Makulatur. Die meisten der Täter und der Opfer sind tot und die vielen Jahrzehnte haben auch das Bedürfnis vieler Angehöriger stark verblassen lassen, Gerechtigkeit anzustreben.
Aber dennoch kann man darüber diskutieren, ob es damals schlicht falsch lief. Ob den vielen Opfern durch den Verzicht auf Gerechtigkeit nicht ein zweites Mal Unrecht geschah. Und zwar eines, das man hätte in Teilen vermeiden können und damit auch müssen.
Natürlich gab es faktische Gründe, die eine vollumfängliche Sanktion nach heutigen Maßstäben unmöglich gemacht haben. Aber es ist ja kein "alles oder nichts". Sondern eine Abstufung und ich bin der Meinung, dass wir als Rechtsstaat zu weniger dieser Stufen bedient haben.
Wäre ich ein Opfer des Naziregimes gewesen, wäre es eine Qual gewesen, wenn ich meine KZ-Aufseher wohlbehalten morgens beim Bäcker hätte treffen können, so als wäre das alles nicht passiert.