Problematik der völkerrechtlichen Anerkennung von Staaten
(Aus Anlass des IGH – Gutachtens zur Frage der Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos)
1. Was versteht man allgemein unter der völkerrechtlichen Anerkennung?
Darunter versteht man die Erklärung eines Völkerrechtssubjekts, dass ein bestimmter Tatbestand, eine bestimmte Rechtslage oder ein bestimmter Anspruch außer Streit gestellt bzw. als rechtmäßig erachtet wird.
In der völkerrechtlichen Praxis haben sich spezielle Fallgruppen in der Anerkennung herausgebildet: zum einen die Anerkennung von Staaten, zum anderen die Anerkennung von Regierungen sowie die Anerkennung als aufständische oder als Krieg führende Partei.
2. Ist eine konkludente Anerkennung möglich? Wenn ja, welche Anforderungen muss eine konkludente Anerkennung erfüllen?
Eine konkludente Anerkennung ist möglich. Es bedarf jedoch eines besonderen, das heißt auf Herbeiführung der Rechtsfolgen der Anerkennung gerichteten, Willens, der aus den dafür in Frage kommenden Handlungen des betroffenen Organs deutlich hervorgehen muss. So ist beispielsweise die bloße Kontaktaufnahme nicht ausreichend.
3. Was versteht man unter einer Anerkennung „de iure“, was unter einer Anerkennung „de facto“?
Beide Formen der Anerkennung unterscheiden sich in ihren Rechtswirkungen. Bei der „de iure“ Anerkennung erfüllen der anerkannte Sachverhalt oder das anerkannte Rechtsverhältnis die formellen Anforderungen, die das Völkerrecht an seinen bzw. ihrem Bestand knüpft.
Die "de facto" Anerkennung erfolgt nur vorläufig und provisorisch. Insoweit wird ein einschränkendes Werturteil über die Stabilität des tatsächlichen "Jetzt" - Zustands zum Ausdruck gebracht.
4. Was sind die Voraussetzungen der Anerkennung von Staaten?
Der neue Herrschaftsverband muss die Voraussetzungen in der 3- Elementen - Lehre (Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt) erfüllen.
5. Welche Rechtswirkungen entfaltet die Anerkennung von Staaten?
Dies ist in der völkerrechtlichen Literatur umstritten.
Nach der sog. konstitutiven Theorie begründet ausschließlich der Rechtsakt der Anerkennung die Staatseigenschaft eines Herrschaftsverbands. Argumentiert wird, dass erst die Anerkennung den neuen Staat befähige, mit anderen Staaten in offizielle Beziehungen einzutreten. Erst dann sei der Staat als Völkerrechtssubjekt zu werten.
Nach der deklaratorischen Theorie hat der Herrschaftsverband bereits vor und unabhängig von dem Rechtsakt der Anerkennung als einen formalen Akt die Staatseigenschaft.
Die vermittelnde Ansicht sieht in dem Akt der Anerkennung sowohl konstitutive als auch deklaratorische Elemente. Die Feststellung des Bestehens eines neuen Staates sei rein deklaratorisch. Konstitutives Element sei die Aufnahme der amtlichen Beziehungen zum neuen Staat.
6. Wie ist eine vorzeitige Anerkennung von Staaten völkerrechtlich zu bewerten?
Die vorzeitige Anerkennung ist völkerrechtswidrig. Es handelt sich hierbei um ein völkerrechtliches Delikt in Form einer Intervention in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates.
http://justitiaswelt.com/Examenstipps/ET34_201008_NA_1.html (Archiv-Version vom 19.05.2017)