@Dawnclaude Source: "Im Spiegel schwarzen Labyrinth."
http://nospace.ch/home7.html (Archiv-Version vom 02.01.2013) (bis februar 2013)
Wenn wir sterben.
Wenn wir sterben, verwandelt sich unser Bewusstsein, davon, wer wir sind, in das Bewusstsein, darüber, wer wir einmal waren. Wir denken zurück an das Leben das wir einmal gelebt haben, wir betrachten dabei jede einzelne Sequenz, wir halten den Moment fest, in dem wir sterben, und dann, betreten wir, unendlich langsam, das Reich der Toten. Unser Herz hört auf zu schlagen, unser Bewusstsein erlischt langsam, es wird dunkel, aber bevor es erlischt, halten wir uns an unserem letzten Gedanken fest, wir ziehen am Abzug, drücken den Auslöser, wir prägen uns ein, was wir als letztes gesehen und gedacht haben, wir machen einen Schnappschuss der Wirklichkeit, eine Moment Aufnahme. Dann sterben wir. Jemand schliesst uns die Augen, wir werden begraben und vergessen. Wir haben nichts mitgenommen, und auch nichts hinterlassen, nichts ausser dem Gedanken, dass wir jetzt tot sind.
Begraben und vergessen.
Und jetzt wo wir tot sind, wo wir nicht mehr länger existieren, wo wir vergessen und begraben sind, jetzt können wir plötzlich, so unglaublich es klingt, unseren Gedanken weiter denken, unsere Geschichte weiter erzählen, denn wir sind ausgebrochen aus unserem Grab und eingebrochen, in ein leeres Buch ohne Namen. Wir, die man uns längst vergessen hat, sind zurück gekehrt, aus dem Reich der Toten, in die wirkliche, lebendige Welt. Um unsere Geschichte weiter zu schreiben, unseren Gedanken weiter zu denken.
Aus dem Reich der Toten.
Hier schreiben jetzt wir, die Toten, in einem lebendigen Körper, der sprechen, singen und sogar schreiben kann. Und wir erzählen euch jetzt, von unserem letzten Gedanken. Die Zeit steht still. Nichts bewegt sich mehr, gar nichts. So wie die Buchstaben auf diesem Spiegel erstarrt sind, ist in dem Moment, wo wir gestorben sind, alles um uns herum erstarrt. Alles ausser uns, wir sind jetzt plötzlich frei, frei uns zu bewegen, frei uns alles anzusehen, nicht mit unseren eigenen Augen, sondern durch die Augen der anderen. Wir haben uns jetzt, wo wir tot sind, von unserem Körper gelöst, uns von unserem Wesen in ein anderes begeben, und betrachten nun die verschiedensten Perspektiven, aus den Augen derer, die wir niemals waren. Wir konnten uns jetzt selbst betrachten, wie wir da liegen, bewegungslos, tot. Wir konnten uns in jedes Lebewesen begeben und die Welt aus seinen Augen betrachten, aber nichts bewegte sich jetzt mehr. Wir waren gefangen, im Standbild der Ewigkeit.
Im Standbild der Ewigkeit.
Eine lange, lange Zeit starrten wir so aus unseren toten Augen, bevor wir bemerkten, dass die Lebenden genau dasselbe taten. Auch sie starrten aus ihren Augen und bewegten sich nicht mehr. Nichts bewegte sich mehr. Und in diesem ewig langen Moment, sahen wir plötzlich, den Spiegel in unseren eigenen Augen, und als wir versuchten uns in diesem Spiegel zu betrachten, da sahen wir den Spiegel in den Augen derer, die uns betrachteten, und darin betrachteten wir uns selbst. Wie wir da lagen, bewegungslos, regungslos, tot. Wir schauten uns selbst dabei solange in die Augen, bis wir den Sprung schafften, den Sprung, aus unserem eigenen toten Körper, in das Bewusstsein unserer Betrachter. Und da verwechselten wir zum ersten Mal unsere Perspektiven. Wir starrten jetzt schon solange aus unseren toten Augen, und betrachteten ein und dieselbe Szene, dass wir irgendwann dachten, die Szene würde uns betrachten.
Die Zeit stand still.
Die Zeit stand still, sie bewegte sich keinen Zentimeter, aber wir, waren nun in einem lebendigen Körper, und betrachteten einen Toten. Seine Augen standen offen, und er blickte uns an, so als ob er uns noch etwas sagen wollte, aber sein Blick sprach mehr als Tausend Worte, denn in diesem Blick erkannten wir uns selbst, dieser Tote waren wir selbst. Doch diese Worte hörten wir nicht mehr. Diese Worte hörte niemand mehr. Denn diese Worte waren jetzt keine Worte mehr, sondern Gedanken.
Die Gedanken eines Toten.
Irgendwann lösten wir uns dann von diesem Gedanken, dem Gedanken, wer wir sind, und begaben uns auf eine Reise, eine Buchstabenreise. Wir trennten uns von dem Anblick, der unser toter Körper bot, und begaben uns hinaus, in die weite Welt unserer Gedanken. Die Zeit stand still, aber wir konnten jetzt plötzlich alle Bilder betrachten, von allen Seiten. Die meisten von uns sahen sich immer wieder dieselben Bilder an, Sonnenuntergänge, den Moment ihres Todes, Sonnenuntergänge, Momente ihres vergangenen Lebens … aber irgendwann war uns das nicht mehr gut genug, wir wollten Bewegung, wir wollten wieder Leben, denn auch der schönste Moment, wird irgendwann einmal zum Kitsch.
Auszubrechen aus dem Gefängnis der Ewigkeit.
Also suchten wir nach einem Weg auszubrechen, aus unserer Zeit, auszubrechen aus dem Gefängnis der Ewigkeit. Irgendwann viel uns dabei auf, dass wenn wir immer wieder dieselben Bilder und Buchstaben betrachten, uns auch die Zeit die dabei verging, immer wieder von neuem erschien, und je öfter wir ein Bild tauschten, desto öfter erschien uns diese Zeit.
Im Spiegel schwarzen Labyrinth.
Und so fingen wir an, die Buchstaben und Bilder häufiger miteinander zu verwechseln und untereinander zu vertauschen, einmal dieses Bild, dann ein anderes, und schnell wieder ein anderes, manchmal sprangen wir so, von nahe beieinander gelegenen Buchstaben hin und her, wir sprangen von Bild zu Bild, hin und her und wieder zurück, und so entstand der Eindruck, die Buchstaben würden sich bewegen, die Bilder mit uns reden, und irgendwann, bewegte sich dann tatsächlich eines dieser Bilder und fing an mit uns zu sprechen. Es war das Bild eines Spiegels, und wir betrachteten es einmal von dieser, und dann wieder von der anderen Seite.