Gerlind sagt, er habe keinen Begriff davon, was Wahrheit ist, er verwende bloss Sprache und komme damit gut zurecht.
Er setzt aber (wie Sky_watcher gut gesehen hat) den Begriff der Wahrheit in seiner Sprachverwendung voraus (stillschweigend und von ihm gar nicht bemerkt), denn er sagt im Grunde genommen:
"Es ist nicht wahr, dass ich einen Begriff davon habe, was Wahrheit ist."
Es gibt etliche Menschen, die wie Gerlind sehr wohl einen Begriff von der Wahrheit haben und das sogar durch ihre eigene Sprachverwendung zum Ausdruck bringen, während sie dabei zugleich sagen, sie hätten keinen Begriff von der Wahrheit.
Angenommen, Gerlind bekommt beim Bäcker seine zwei bestellten Brötchen und der Bäcker sagte "Beide Brötchen sind mit Schoko-Thunfisch gefüllt", so kennt Gerlind im Augenblick noch nicht die Wahrheit dieser Aussage.
Aber sofern er die Aussage des Bäckers versteht, weiss er, welche Situation in der Welt gegeben ist, WENN die Aussage wahr ist (egal, OB sie wahr ist). Diese Situation liegt ausserhalb der Sprache, denn es ist ein in der Welt existierender Sachverhalt, der die Aussage wahr macht: die altbekannte Tatsache, in unserem Fall die Beschaffenheit des Brötchens.
Demnach ist das Verstehen einer Aussage auf Gedeih und Verderb mit dem Begriff der Wahrheit verknüpft!
Die Tatsache ist nicht das Gleiche wie die formulierte Tatsache. Und die Tatsache existiert unabhängig davon, wie Gerlind sie auffasst. Gerlind ist auf seine eigene Überschätzung der Sprache hereingefallen.
Wenn jemand zu Gerlind sagte "Sie haben keine Eltern", so würde Gerlind wohl antworten (auch wenn er sein Eltern nicht kennen sollte):
Jeder Mensch hat Eltern.
Ich bin ein Mensch.
Daher habe ich Eltern.
Da die ersten beiden Aussagen wahr sind, überträgt sich ihre Wahrheit kraft der logisch gültigen Schlussform auf die dritte Aussage: die Schlussfolgerung.
Zwar braucht Gerlind - wie jeder von uns - die Sprache, um wahre Aussagen machen zu können (worin ja Tatsachen zur Darstellung kommen). Aber Aussagen sind wahr, weil sie eine Situation in der Welt darstellen, die unabhängig von diesen Aussagen existiert.
Wir brauchen also Sprache, um Tatsachen zu beschreiben. Zugleich existieren die Tatsachen unabhängig von unseren Beschreibungen.
Natürlich können wir uns bemühen, bestimmte hochtrabende Wörter nicht auszusprechen oder nicht hinzuschreiben (wie "Wahrheit", "Realität" oder "Tatsache" u.a.m.).
Wir kommen wie Libuda vielleicht an jedem vorbei, aber am Begriff der Wahrheit kommen wir nicht vorbei, ob wir sie nun aussprechen oder nicht.
Sogar wenn wir uns der Wahrheit (unausgesprochen) zu entledigen versuchen, brauchen wir sie.